Runde 3, Tag 1

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Tim wachte auf, doch er ließ die Augen geschlossen. Unter sich fühlte er kühles, weiches Gras, das seine nackten Arme kitzelte.
Er lauschte, lauschte dem Rauschen des Meeres und dem Tosen der Brandung. Ein warmes Gefühl bereitete sich in ihm aus.
Tim blinzelte schließlich doch. Über ihm war strahlend blauer Himmel, weiße Wolken zogen mit dem Wind dahin. Es war ein sommerlich, warmes Klima. Tim setzte sich vorsichtig auf.
Er lag auf einer winzigen Klippe, ein paar Meter unter ihm goldener Sandstrand. Türkisblaues Wasser floss mit leisem Rauschen in den Sand, kleine Wellen überschlugen sich. Hinter sich sah Tim Hügel. Wie die Meerwellen wölbten sich die grünen Hügel über die Landschaft, etwas weiter hinten begann ein Wald. Tim hätte ewig hier bleiben können, wäre es nicht Virtuell und ein Mörderspiel.
Der junge Mann erhob sich und strich sich das blonde Haar aus der Stirn.
Er schien alleine zu sein. Nun musste er also sein Teammitglied finden. Tim setzte sich vorsichtig in Bewegung, blieb immer an der Küste. Schließlich fand er sogar eine Stelle an der er hinunter zum Sand konnte.
Fast schon gelassen spazierte er den Strand entlang, spürte den Wind auf der Haut und lauschte dem Meerwasser.
Mit den Gedanken war er ganz woanders, konzentrierte sich gar nicht auf die Gegend.
Erst ein Ruf riss ihn aus den Gedanken.
Tim drehte sich um. Ein junger Mann kam den Strang entlang auf ihn zugejoggt. Der Blondschopf kniff die Augen zusammen, um zu erkennen um wen es sich handelte.
Erst als der andere ihn schon fast erreicht hatte, erkannte er ihn.
"Luis!", sagte Tim erfreut, als der junge Mann keuchend vor ihm stehen blieb.
Allerdings schien Luis nicht ganz so gelassen wie Tim.
"Gott, bin ich froh dich gefunden zu haben. Ich dachte, dass es länger dauern könnte."
Tim stimmte ihm zu, es war ziemlich schnell gegangen.
"Wir sind gar nicht in einem Haus oder Zelt aufgewacht...und ein Messer haben wir auch nicht.", sagte Luis und da erst wurde Tim sich seiner Lage bewusst. Luis hatte Recht gehabt, sie hatten nichts außer Kleidung.
Sein Teampartner sah leicht besorgt aus.
"Was machen wir jetzt?"
Tim kratzte sich am Arm und dachte kurz nach.
"Einfach weitergehen. Vielleicht müssen wir die ganzen...Items finden." Luis steckte die Hände in die Taschen seiner luftigen Jacke. "Leuchtet ein."
Gemeinsam setzten sie sich wieder in Bewegung.
"Immerhin haben wir schon mal uns. Den Rest können wir noch suchen.", murmelte Luis. Tim nickte. "Das ist irgendwie eine ganz andere Runde."
Luis kickte etwas Sand durch die Luft.
"Ja, aber mit dem selben Ziel. Tote." Tim schluckte. Am liebsten hätte er diese Tatsache vergessen. Es war unmöglich, denn dies sollte das einzige Ziel sein, nach dem sie strebten.
Schweigend trotteten sie weiter, suchten die Umgebung mit den Augen ab, Tim konnte die Umgebunge nicht mal mehr so genießen wie vor Luis' Auftauchen.
Bald schon wurde der Sand immer weniger, stattdessen begannen Felsen sich vor ihnen aufzutürmen.
Die beiden mussten von Zeit zu Zeit klettern und sich über die spitzen Brocken helfen.
Einmal sah Luis in der Ferne jemanden, doch die Person war alleine und weit entfernt.
"Solange ich kein Messer habe, muss ich niemanden jagen.", sagte Tim schulterzuckend. Luis grinste und wandte sich ebenfalls ab. "Hast recht."
Wieder verging eine ganze Weile, in der sie nur schweigend zwischen den Felsen herumliefen und manchmal von ein paar Gischttropfen erwischt wurden. Doch irgendwann war es Luis zu viel des Kletterns.
"Wir haben nichts gefunden. Lass uns lieber oben bei den Hügeln schauen." Tim sah bedrückt aus und sein Partner bemerkte es.
"Wir können auch in der Nähe der Küste bleiben.", sagte Luis und verdrehte die Augen. Tim lächelte nur und nickte.
"Dann mal los Kleiner." Luis starrte ihn an. "Tschuldigung?"
Tim kletterte flink die Felsen hinauf, zu der Graslandschaft.
"Du bist fast einen Kopf kleiner, ich darf das sagen." Luis fluchte leise und folgte seinem Teampartner.
Immerhin hatte er einen.

Robin lief durch den hellen Wald. Die Bäume standen weit auseinander, das Sonnenlicht wärmte ihn selbst durch das Geäst hindurch. Er versuchte selbst möglichst lautlos zu sein um möglichen Teams aus dem Weg zu gehen oder jemand anderen zu hören. Doch um ihn herum war nichts. Vögel zwitscherten, Zweige knackten und der Wind raschelte in den Bäumen. Unwillkürlich musste Robin daran denken, dass die zweite Runde genauso unbeschwert angefangen hatte. Gutes Wetter, eine schöne Landschaft...schließlich war es zu einem Horrorspiel geworden, für alle Anwesenden. Blut, Versagen, Tod und Fallen, dass war die zweite Runde gewesen, mehr nicht. Viele Gedanken hatten ihre Köpfe zermürbt, das würde sich auch hier nicht ändern.
Aber alle guten Dinge sind drei.
Obwohl man nun echt nicht sagen konnte, dass Valos gut war. Nichts hieran war gut und es würde auch in der Realität nicht besser werden. Sie waren gefangen, von etwas, dass sie angenommen hatten.
Narren, so konnte man die Gruppe beschreiben. Immerhin waren sie gutmütige Narren...hiernach wahrscheinlich eher Wahnsinnige. Nach allem was ihnen angetan worden war, wozu sie gezwungen wurden. Erpressung, mehr nicht.
Er war erpresst worden andere zu töten oder selber zu sterben falls er versagte.
Versager!
Robin fuhr sich mit einer Hand durch die blonden Haare.
Er war ein Versager und es war seine Schuld, dass Sara mit ihm gestorben war.
Er hasste Paul nicht, weil er der Mörder war, er hasste die Leute die Valos geschaffen hatten.
Robin blieb stehen und starrte zwischen die Bäume.
"Das ist Verstoß gegen das Gesetz was ihr Drecksschweine begeht.", sagte er, weil er wusste, dass sie ihn hörten.
"Verstoß gegen Paragraf 212, 253 und gegen Paragraf 1.", kratzte er sein Schulwissen zusammen. Irgendwas hatte er sicher vergessen, aber drei Paragrafen reichten hoffentlich für eine harte Strafe. Von allen wichtigen die sie gelernt hatten, hatte er sich nur diese gemerkt.
Paragraf 212 Totschlag. Wer einen Menschen tötet ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
Aber er war sich nicht sicher ob dieser Paragraf galt. Fünf Jahre waren zu wenig.
Paragraf 253, Erpressung. Wer eine oder mehrere Personen durch Drohung oder mit Gewalt zu einer Tat zwingt. Der schwerere Fall wäre, wenn ein Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt.
Robin war erstaunt wie viel er über die Gesetzte noch zusammenkratzen konnte. Dabei hatte er sein Studium abgebrochen und die Ausbildung gemacht.
Paragraf 1.
Jeder Deutsche konnte dieses Gesetz auswendig, das erste und oberste Gesetzt seit langer Zeit.
Die Würde eines Menschen ist unantastbar.
Robin setzte sich wieder in Bewegung und starrte dabei düster auf den Boden.
Falls sein Plan nach Runde 1 gewirkt hatte, würden die Entwickler von Valos noch lange mit den Folgen zu kämpfen haben. Doch ob seine Tat den Feuermelder auszulösen wirklich etwas ausgerichtet hatte, dass konnte niemand sagen.
Er schluckte. Er war jung, hatte sein ganzes Leben vor sich gehabt. Jetzt waren seine Chancen beendet.
Robin fluchte ungnädig und trat einen Ast kaputt. Das laute Krachen des Holzes störte die Friedlichkeit des Waldes, doch das war Robin egal.
Ihm blieb nun nichts anderes übrig, als am Leben zu bleiben und zu hoffen nicht noch ein drittes Mal sterben zu müssen.
Nicht schon wieder.
Dafür brauchte er aber ein Teammitglied, denn alleine würde es nur schwieriger werden. Robin ließ sich gegen einen Baum sinken und schloss die Augen.
Wo es Hoffnung gibt, gibt es auch Leben...solange bis der Mörder kommt. Den letzten Teil mit dem Mörder hatte Robin sich zu dem Spruch dazugedacht, aber es traf zu. Ein lautes Knacken ließ ihn aus den Gedanken fahren.
Nicht weit von ihm stand jemand...alleine.
Robin nickte langsam, war zufrieden mit dem neuen Partner.
"Maxi."

Yannik hätte jeden finden können und er wäre mit allen zufrieden gewesen...nur nicht mit ihm. Das schien Paul aber genauso zu gehen.
"Desto schneller wir die anderen töten, desto schneller endet die Runde."
Yannik verschränkte die Arme.
"Du bist doch nur auf ihr Blut aus." Paul fluchte und schüttelte den Kopf. Er musste daran denken, was er Ovid und Alex in der zweiten Runde erzählt hatte.
"Es ist besser für uns alle, wenn diese Runde schnell endet."
Yannik hatte die Arme immer noch verschränkt und sah ihn aus seinen grauen Augen düster an.
"Es ist besser nochmal zu sterben?"
Paul fuhr auf und packte Yannik am Kragen, obwohl dieser knapp größer war als er.
"Yannik reiß dich zusammen! Ich hätte auch lieber einen anderen Partner und ich würde auch lieber ein anderes Spiel spielen!"
Yannik schlug Pauls Hand zurück, erwiderte aber nichts.
Der kleine Teufel hob den Beutel vom Boden auf und warf ihn sich über die Schulter.
"Schön das wir uns einigen konnten."
Yannik trottete hinter seinem Partner her. Den Beutel hatte Paul schon gehabt, als sie sich getroffen hatten. Der junge Mann hatte ihn in einer Grube unter einem Baum entdeckt.
Darin waren eine Decke, ein Feuerzeug und ein Messer.
Immerhin würde Yannik nun wohl nicht so schnell sterben und außerdem hatten sie auch Items.
Ihr Vorteil war also deutlich größer, zumindest hoffte Yannik das.
Trotzdem konnte er sich einfach nicht damit abfinden, in einem Team mit seinem Mörder aus der vorherigen Runde zu sein. Es war wie ein schlechter Scherz der Spielemacher.
Yannik hatte nicht einmal eine Ahnung wohin sie gingen, er folgte Paul einfach blind.
Er ignorierte jedes Geräusch um sich herum, versuchte tief in sich selbst zu versinken.
Dort lebte nur eine Person, die er ertragen musste und das war es selbst. Der treue, verstoßene Bruder, das blutgefärbte Opfer, die um Hilfe schreiende Kreatur, die Seele die ihn zerfraß.
Getötet hatte er nicht, nein, aber gestorben war er. Zu oft für einen Menschen. Er hatte Tote gesehen. Solche Anblick hatten heutzutage nur Soldaten. Selbst diese waren auf Medikamenten um gar nicht zu realisieren was sie taten oder sahen.
Yannik hatte es realisiert und das hatte die Mauer um seinen Verstand herum gesprengt.
Wie ein Virus hatte sich diese Realisierung durch sein Hirn gebrannt, bis es in jeder Ecke auf ihn lauerte.
Stets wartete der Gedanke auf ihm, der nur eines Verkündete:
Du warst tot. Zweimal.
Zweimal ist zu viel.
Yannik wusste das, alle wussten das. Menschen sterben zu sehen war schlimm, selber zu sterben und danach wieder aufzuwachen war schlimmer.
Er wollte gar nicht wissen wie es Robin, Maxi oder Tim ging.
Jenen die getötet hatten und gestorben waren.
Zu viel.
In der realen Welt wäre Yannik jetzt vielleicht ohnmächtig geworden, aber die Welt um ihn herum war nicht real.
Während sie so liefen bekam er gar nicht mit wie dunkel und kalt es plötzlich wurde.
Er wachte erst aus seinen Gedanken auf, als er mit voller Wucht in Paul hineinrannte.
"Pass auf!", fauchte dieser und Yannik entschuldigte sich rasch.
Gleich darauf gab Paul ihm Anweisungen. Yannik sammelte Steine und grub schließlich ein Loch in den Boden um welches er die Steine herum legte.
Kurz darauf kam Paul mit toten Ästen und etwas Zunder.
Der junge Mann bekam es tatsächlich hin ein Feuer zu entfachen. Die Decke war groß genug für beide und schließlich lagen sie neben dem Feuer, die Decke über sich und den Moosboden unter sich. Yannik suchte den Mond und die Sterne, doch keines von beidem war zu sehen.
Kein Licht in der Dunkelheit.

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt