So viel. An einem Tag war so viel passiert. Robin saß auf seinem Bett und sah aus dem Fenster. Sara saß neben ihm und kümmerte sich um seine Wunde. Drei Verletzte, ein Toter. Maxi ging es inzwischen besser. Gestern hatte er mit Felix Luis ins Haus getragen und am Abend war Robin in Maxis Zimmer gekommen. Der Tiger lag zu der Zeit mit ein paar Prellungen im Bett und sie hatten sich leise unterhalten. Robin wusste nicht wie es Tim ging, da er ihn nicht gut genug leiden konnte hatte er ihn auch nicht besucht.
An diesem Morgen hatte er selbst Besuch von Sara und Malin bekommen. Malin holte gerade nochmal Wasser während Sara die Pflaster zuschnitt. Sie hatten beide zu wenig Ahnung wie man einen Peitschenhieb versorgte und deshalb mussten sie etwas improvisieren. "Haben Tim und Maxi sich vertragen?", fragte Robin leise. Sara antwortete ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen.
"Nur um der Gruppe Willen. Ich glaube sie werden sich wohl eher aus dem Weg gehen." Robin nickte kaum merklich. Sein eines Auge war leicht zu geschwollen und er hatte eine dicke Lippe. Er war wütend auf sich selbst, dass er bei Paul nicht achtsamer war. "Die Gruppe ist sicher enttäuscht von mir.", murmelte er leise. Sara hob zackig den Kopf. "Das stimmt doch gar nicht! Du warst der Einzige der reagiert hat! Robin du warst sehr mutig." Dieser schüttelte nur den Kopf. "Luis und Yannik sind tot." Sara nickte. Sie sah etwas traurig aus. "Daran hättest du nichts ändern können. Es werden vielleicht noch weitere sterben." Malin kam wieder ins Zimmer und begann Robins Wunde mit einem nassen Tuch zu betupfen. Es schmerzte höllisch.
"Magst du diese Gruppe?", fragte Robin immer noch an Sara gewandt. Sie zuckte mit den Schultern und reichte Malin eine Wundsalbe. "Ich kenne die Menschen ja kaum. Was weiß ich schon über sie." Der junge Mann blieb beharrlich. "Du hast meine Frage nicht beantwortet." Sara seufzte und reichte Malin die Pflaster.
"Wenn ich sie nicht unter diesen Umständen kennengelernt hätte, sicher. Aber hier geht es um Vertrauen, wir sind Mörder und Opfer und kennen nur unsere Namen. Was soll ich da schon über die Gruppe oder einzelne Menschen sagen?" Robin biss sich vor Schmerz auf die Lippe, obwohl Malin vorsichtig war. "Du hast dir doch sicher...aua...eine eigene Meinung zu jedem hier gebildet?" Diesmal antwortete die Blondine.
"Meinung ist heutzutage ein kritisches Thema Robin." Daraufhin schwiegen die drei. Der junge Mann erinnerte sich an eine Erzählung seiner verstorbenen Großmutter. Diese hatte ihm berichtet, dass in der Zeit nach dem 20. Jahrhundert soviel Akzeptanz geherrscht hatte, viel mehr als heutzutage. Die Menschen hatten sich um Frieden und Klima bemüht, waren kaum rassistisch. Und nun? Das Klima war vergessen und das Wort Friede war mit der Existenz eines Vampirs vergleichbar. Religion war ein kritisches Thema geworden und in den letzten fünfzig Jahren waren mehr als zweihundert Tierarten ausgestorben. Das einzige was anstieg waren Geld, Möglichkeiten und neue Technik. Robin schreckte aus seinen Gedanken hoch, als Malin und Sara aufstanden.
"Bis später!" Er nickte ihnen zu und richtete seinen Blick wieder auf das Fenster. Der Schmerz in seiner Wange pulsierte leicht. Er schüttelte den Kopf, so entsetzt darüber, dass er so schlecht über die Gegenwart nachdachte. Was hatten die Menschen nicht alles erreicht? Was hatten sie nicht alles verloren dafür?Paul saß in einem der Schaukelstühle und hatte die Füße auf das Terrassengeländer gelegt. Alex hatte es sich mit einer Decke im Schneidersitz neben ihm bequem gemacht. "Wer geht heute runter?", fragte er leise. Paul öffnete die Augen und blinzelte zu ihm herüber. "Ovid wollte gehen." Alex nickte nur, den Blick gesenkt. "Macht er sich schon fertig?" Paul zuckte mit den Schultern.
"Du wirst auch runtergehen.", sagte er leise. Es war eine Frage und eine Aufforderung zugleich. "Natürlich.", murmelte der braunhaarige Mann. Paul sah ihn scharf an und nahm die Füße vom Geländer. "Wann?" Seine Stimme klang schneidend. Alex antwortete ohne zu zögern. "Morgen." Paul war noch nicht fertig mit Fragen stellen.
"Wen wirst du töten?" Alex hob den Blick und seine braunen Augen trafen auf Pauls grünblaue. "Malin." Paul schmunzelte. "Warum?" Alex ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. "Weil jeder von ihnen irgendwann stirbt." Sein gegenüber nickte nur langsam. "Zeig keine Schwäche." Alex schüttelte heftig den Kopf. "Niemals."
Paul grinste. Er wirkte zwar klein und süß, aber Autorität hatte er. Seinen letzten Angriff auf die kleinen Kaninchen genoss er immer noch. Tim und Maxi waren in Streit geraten, ohne Pauls zutun. Dank ihnen hatte er Luis vor der gesamten Gruppe töten können und Robin verletzten können. Den Respekt hatte er jetzt. Wahrscheinlich würden diese Waschlappen nun begreifen wie hilflos sie wirklich waren.
In diesem Moment trat Ovid zu ihnen auf die Terrasse. Er trug weiße Stoffhandschuhe, eine schwarze Jacke mit Totenkopf (der Druck war auf jedem ihrer Kleidungsstücke zu sehen) und eine Cap die sein Gesicht im Schatten stehen ließ. Um seinen Hals lag ein bemustertes Stofftuch, welches er später überziehen würde. An seinem Gürtel hing das Messer, in der Hand hielt er ein Beil. Sein Blick wies keine Spur von Unsicherheit auf. Paul stand auf und trat vor ihn. Sie waren etwa gleich groß. "Viel Glück. Komm lebend zurück." Ovid zuckte mit den Schultern. "Ich bemühe mich." Paul und Alex sahen ihm hinterher wie er zwischen den Felsen verschwand. "Ein Beil?", fragte Alex und konnte das Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Paul nickte. "Sieht hässlich aus, geht aber viel schneller." Alex schluckte. Ihm war etwas übel. Er erhob sich und faltete seine Decke sorgsam zusammen. "Ich...leg mich etwas hin." Paul zog eine Augenbraue hoch, schwieg aber. Alex sprintete die Treppe hinauf und verkroch sich in seinem warmen Schlafsack. Sein Blick war starr auf die Holzwand ihm gegenüber gerichtet. Er beobachtete eine kleine Spinne die sich von der Decke seilte. Ihr Faden glänzte in der Sonne silbern. Alex versuchte seine Gedanken auf das kleine Tier zu lenken und nicht an Ovid zu denken. War er ein Feigling weil er das tat? Wieso war er Mörder? Insgeheim wünschte er sich Samuel oder Ari hier im Team, lieber als Paul. Das kleine Großmaul zeigte plötzlich so eine andere Seite, als er sie in der ersten Runde kennengelernt hatte. Alex zog sich den Schlafsack über den Kopf. Was wusste er schon über das Teufelchen?Ovid hockte im Schutz der Bäume. Er hatte sich eines der kleinen Ferngläser mitgenommen, nicht gerade das Qualitativste. Trotzdem, er konnte damit bis zu der Hütte sehen und damit sogar erkennen ob jemand am Fenster stand. Momentan sah er niemanden auf den Zimmern, jedoch im Wohnzimmer. Dort standen etwa fünf Leute und schienen sich zu unterhalten. Jetzt verschwanden sie und kamen dafür zur Haustür hinaus. Ovid fluchte leise. Zu seinem Glück jedoch wandte die Gruppe sich in die entgegengesetzte Richtung um den Hügel zu erklimmen. Ovid sah noch einmal in jedes Fenster. Als er sich sicher war, dass alles ruhig war holte er tief Luft und sprintete los. So lautlos wie möglich und darauf bedacht, dass niemand seine verreckende Lunge hörte, schlich er durch das Wohnzimmer und schließlich die Treppe hinauf. Bevor er das zweite Stockwerk betrat lugte er über die letzte Stufe. Er sah gerade noch wie Samuel in einem der Zimmer verschwand. Dann wurde es wieder still. Vorsichtig schlich er weiter, lauschte an jeder Zimmertür. Aus einem Zimmer hörte er Geräusche. Zwei Personen sprachen miteinander, er konnte aber nicht erkennen welche. Aus dem Badezimmer hörte er auch etwas und schließlich blieb er vor der Zimmertür stehen hinter der Samuel verschwunden war. Ovid umklammerte das Beil, als hinter ihm Schritte ertönten. Verschreckt sprang er hinter die nächstbeste Zimmerpflanze und machte sich so klein wie möglich. Es war die einzige Versteckmöglichkeit im Flur. Felix kam aus dem Bad und ging in Gedanken verloren an ihm vorbei in das letzte Zimmer des Ganges. Ovid blieb noch kurz sitzen um den kleinen Herzinfarkt zu verarbeiten den Felix ihm verpasst hatte. Schließlich steckte er das Beil in den Gürtel und tauschte es gegen das Messer. Dann schlich er zu Samuels Zimmertür und lugte durch das Schlüsselloch. Samuel saß mit dem Rücken zu ihm auf dem Bett. Ovid holte tief Luft, dann drückte er die Klinke möglichst lautlos hinunter und betrat auf Zehenspitzen das Schlafzimmer. Er schätzte sein unendliches Glück ziemlich, denn Samuel bemerkte ihn immer noch nicht und keine der Dielen knarzte. Ovid lehnte die Tür nur an, zu mehr Lärm traute er sich nicht. Er hielt den Atem an, während er auf das Bett zu schlich. Er hatte es fast erreicht, als dann doch eine der Holzlatten unter seinen Füßen knarrte.
Es fühlte sich an als würde Ovids Herz stehen bleiben, als Samuel sich zu ihm umdrehte. Einen Moment starrten sie sich an, Samuels Augen weiteten sich. Dann hechtete Ovid vor. Er sprang über das Bett, krachte gegen Samuel und beide fielen zu Boden. Samuel schlug Ovid ins Gesicht und der dunkelhäutige Junge stach blind mit dem Messer auf ihn ein. Samuel stöhnte und Ovid sah zu ihm herab. Sein Messer hatte ihn knapp unterhalb des Halses getroffen. Ovid zögerte nicht lange und rammte die Klinge zwischen Samuels Augen. Das war schwerer als gedacht, aber der Professor behielt recht; die Klinge schnitt auch durch Knochen. Der Körper des jungen Mannes unter ihm bäumte sich ein letztes Mal auf, lag dann ruhig, die vorwurfsvollen Augen starr auf die Decke gerichtet. Ovid erhob sich zitternd auf seine Beine. Das war der ekeligste Anblick den er je hatte.
Kaum das er stand wurde die Zimmertür aufgerissen und Felix stand im Türrahmen. Der Kater hat ihn gehört. Er starrte den Mörder an. Ovid sah wie die Luft um Felix Hand flimmerte, dann erschien ein Messer in darin. Die Spielemacher wollten, dass er sich wehrte! Ovid zerrten mit zitternden Händen das Beil aus dem Gürtel, während der Kater sich schon in Bewegung setzte. Die Halbaxt rutschte ihm eher aus den Fingern, als das er sie warf. Zu seinem und Felix Überraschen traf das Teil...mit der Klinge.
Die Axt bohrte sich erstaunlich weit in Felix Brustkorb und der Asiate knickte nach kurzem Taumeln auf die Knie. Ovid zog seine Klinge aus Samuels Schädel und trat vor den Kater. Dieser versuchte mit den Händen das Blut aufzuhalten, doch es verbreitete sich rasend schnell über sein Hemd. Die Klinge lag vor ihm auf dem Boden und seine zitternden Finger erreichten es nicht. Langsam sah Felix auf, sein Atem ging rasselnd. Mühsam schüttelte er den Kopf als Ovid und sein Blick sich trafen.
"Selber Monster.", knurrte er und brach dann gänzlich zusammen. Ovid zerrte an seinem Beil und wischte es rasch an Samuels Bettdecke ab. Dann steckte er es sich in den Gürtel und rannte los. Er setzte über den leblosen Körper des Asiaten hinweg, hetzte den Flur entlang ohne auf den Lärm zu achten. Er packte das Geländer und sprang hinunter. Kaum das er gelandet war, stürzte er durch das Wohnzimmer zur Tür hinaus. Zu seinem Entsetzten erkannte er rechts von sich die fünf Personen die vorher das Haus verlassen hatten. Sie starrten sich gegenseitig einen Herzschlag lang an, dann stürmte Ovid wieder los wie ein gehetztes Reh. Hinter sich hörte die Rufe, doch er konzentrierte sich auf seine Schnelligkeit. Sein Herz raste und seine Lungen brannten. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis er den Baumhain erreichte. Er wagte einen Blick nach hinten und erkannte, dass seine Verfolger weit zurück lagen. Er gönnte sich nur eine kurze Verschnaufpause ehe er weiter hetzte. Als er das Gewirr aus Steinfelsen erreichte, schätzte er sich in Sicherheit und atmete auf.
Doch kaum, dass die Anspannung ihk verließ, überkam ihn eine Wucht aus Emotionen, geführt von Ekel und Selbsthass.
Und die einzelne Träne, die sich ihren Weg über seine braune Wange bahnte, ließ er laufen.
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Der Geruch von Regen
Science Fiction"Valos" oder auch "Virtuell Avatar 01" genannt, ist ein neues Projekt, dass ein großer Schritt für die moderne Technologie werden soll. Doch bevor es auf den Markt kommt, wird es von 14 Testpersonen geprüft. Allerdings wird es für die kleine Gruppe...