Felix

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Name: Felix Chons
Alter: 23 Jahre
Eingewiesen wegen:
Trauma
(Flashbacks, leichte Erschreckbarkeit, Fähigkeit zu freuen u. trauern stark eingeschränkt)

Geburtstage waren vielleicht mal etwas tolles gewesen, man konnte mit Familie und Freunden feiern. Felix hatte keines von beidem mehr. Von dem Psychatrieteam hatte er Shirts, einen Mantel und Bücher geschenkt bekommen. Er hatte gelächelt, sich bedankt und war danach wieder in seinen, inzwischen normalen, Zustand zurückgekehrt.
Jetzt feierte er seinen Geburtstag für sich in einer abgeranzten Bar nicht weit von der Psychiatrie. Nicht umsonst wurde er auch von den Eingewiesenen "Kater" genannt, sein Spitzname aus Valos. Er kam und ging wann er wollte, niemand konnte ihn hindern, ungesehen und wie ein schwarzer Schatten.
Keine Wachmänner, Hunde oder Kameras konnten ihn davon abhalten einmal in der Woche in die Bar zu flüchten.
An seinem Geburtstag hatte er vom Barkeeper irgendwas stark alkoholisches bekommen, denn er fühlte sich sturzbesoffen.
Mit einem Zahnstocher fuhr er die Rillen auf der Theke nach, was ziemlich schwierig war, wenn sein Sichtfeld immer wieder verschwamm.
Einen Versager und Verlierer schimpfte er sich. Nach seinem ersten Tod war er schwach und verängstigt geworden, weder im Stande Samuel zu rächen, noch Sara zu beschützen.
Ein Feigling war er geworden, ein Weichei.
Obwohl es schon seltsam war, in der ersten Runde hatte er Samuel getötet, in der zweiten wollte er Ovid für den Mord an ihm rächen.
Er erinnerte sich genau an jeden der 7 Messerstiche von Tim, an das Beil in seinem Brustkorb von Ovid geworfen und die kräftigen Hände von Ari an seinem Schädel bevor sein Genick brach.
Dreimal war er gestorben, hatte verloren wie schon sein ganzes Leben zuvor.
Jeden Tag warf er sich das vor und es wurde, wer hätte es gedacht, dadurch nicht besser.
Stattdessen bestätigte sich seine Meinung was für ein schlechter Mensch er doch war.
Er seufzte leise und trank noch einen Schluck des ekligen Gebräus. Hinter ihm ging die Tür auf und fiel viel zu laut wieder zu. Felix zuckte kaum merklich zusammen und drehte leicht den Kopf. Verschwommen sah er drei Männer, ein kleiner, hässlicher Kerl, ein dünner Riese und ein Bulle von Mann.
Der Kleine kam auf ihn zu, während die anderen sich in der Bar umsahen.
"Ey Schlitzauge. Gib mal ne Runde aus."
Felix brauchte einen Moment bis er begriff, dass er gemeint war.
Er drehte sich um, schwankte leicht und versuchte zu fokussieren.
"Hast du nicht gehört Pissgesicht?", schnauzte der Lange. Die drei kamen nun auf ihn zu. Felix klammerte sich mit einer Hand an die Theke.
"Der ist vollkommen dicht Jungs.", knurrte der Bulle. "Den könnt ihr ausrauben und vögeln, der bemerkt das frühstens Morgen."
Felix zog die Augenbrauen hoch.
Er taumelte vorwärts und wollte an den dreien vorbei, doch der Bulle packte ihn und presste ihn gegen die Theke.
Felix stöhnte leise.
Scheiße bin ich besoffen.
"Na los Gelbgesicht, spendier uns einen Drink."
Felix holte tief Luft und die Welt schwankte etwas weniger.
Dann griff er nach seinem halbleeren Glas und schüttete den Inhalt dem Bullen ins Gesicht, während er ihm gleichzeitig zwischen die Beine trat.
Der fette Kerl knurrte und stolperte rückwärts, Felix zögerte nicht und schlug dem Kleinen das Glas auf den Kopf, dass es zerbrach. Scherben regneten zu Boden und der Kleine jaulte auf.
Leider handelte es sich nicht um einen Bierkrug, sondern eher um ein hübsches Cocktailgläschen, welches weniger Schaden anrichtete.
Für den Großen war der Kater zu langsam und dieser packte ihn am Hals und knallte seinen Kopf auf die Theke.
Felix ächzte leise, als er zu Boden stürzte. Der Lange half derweil dem Bullen auf die Füße.
Felix versuchte bei Sinnen zu bleiben und den Brechreiz zu unterdrücken, als er zu dem Kleinen kroch. Er schlug ihm hart gegen die Schläfe, mehrmals ehe sein Gegner ohnmächtig wurde. Bis dahin schmerzte seine Hand heftig.
Der Bulle packte ihn von hinten und zerrte ihn zu sich und hob ihn fast von den Füßen.
"So du kleiner Bastard. Stress suchen aber kein Karate und Judo können. Ich dachte ihr Asiaten werdet schon als Ninjas geboren."
Felix versuchte nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, als er mit aller Macht den Ellenbogen zurückriss und ihm dem Bullen gegen die Kehle donnerte.
Dieser ließ ihn los und röchelte, Felix schubste ihn zwischen die Tische und Stühle. Gerade noch rechtzeitig wich er der Faust des Langen aus und taumelte unter einem Schwindelanfall.
Keinen Moment später befand er sich in einem Ringkampf mit dem Langen.
Dennoch hatte Felix aus seinem Kampf mit Ari gelernt und etwas umständlich brachte er seinen Gegner zu Fall und schlug ihm ins Gesicht.
"Du Wichser!", fauchte der Liegende und spuckte ihm Blut ins Gesicht.
Felix brach ihm die Nase, trat ihm in die Rippen und fiel dann neben dem Langen auf die Knie.
Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, ihm war kotzübel und sein ganzer Körper schmerzte.
Da beförderte ihn ein Tritt auf den Rücken und eine Faust krachte gegen seinen Kiefer.
Felix biss sich heftig auf die Zunge, er spürte Zähne splittern und seinen Knochen knacken.
Mit Mühe und so flink wie möglich sprang er zwischen den Beinen des Bullen hindurch und machte eine Rolle über den Langen hinweg.
Er kam allerdings alles andere als elegant auf und stolperte und rollte erneut über den Boden.
Sein Kampflehrer wäre enttäuscht gewesen.
Rasch rappelte Felix sich auf, er hörte schon den Riesen hinter sich, da fuhr er herum, riss den Arm hoch und entsicherte die Waffe mit einem Klicken.
Sofort trat Stille ein, nur das Gewimmer des Langen tönte durch die Bar. Er hatte die Waffe im Gürtel des Großen gesehen und sie ihm während der Rolle abgenommen.
Felix musste sich am Stuhl festhalten, die Welt schwankte wie ein Schiff bei hohem Wellengang vor seinen Augen.
Der Bulle stand knapp zwei Meter von ihm entfernt und sah ihn wachsam an.
"Du traust dich nicht Kleiner. Das würdest du nicht tun, auf einen Menschen schießen. Dazu hast du ein viel zu weiches Herz."
Felix schluckte.
"Ach ja?" Der Bulle lachte leise.
"Wie alt bist du, Jackie Chan? 16? Du tötest keine Menschen."
Felix war trotz des Alkohols plötzlich sehr ruhig und fokussiert.
"Glaubst du das?", fragte er mit kalter Stimme.
"Denkst du ich würde nicht auf dich schießen?"
Ich nicht, Mann. Aber der Kater, glaub mir, der Kater würde dich sofort töten.
"Jetzt gib mir die Waffe und geh wieder Reis pflücken, wir vergessen das alles."
Sie würden es nicht vergessen, so dumm war Felix nicht.
"Du bist ein Rassist und mit allem was ich erfahren habe auch ein schlechter Mensch. Darin sind wir uns gar nicht so unähnlich."
Er musste kurz aufstoßen.
Der Bulle zog eine Augenbraue hoch, er glaubte ihm nicht.
"Jetzt mach du Bastard." Und er machte einen Schritt nach vorne. Felix zögerte keine Sekunde, senkte die Waffe und schoss.
Der Bulle stöhnte und sackte auf ein Knie, aus dem anderen strömte Blut.
Und plötzlich war da etwas wie Angst in seinen Augen, als er begriff, dass Felix es ernst meinte.
Das reicht.
Felix atmete zitternd durch.
Dann drehte er sich um und verließ die Bar, der Barkeeper war während des ganzen Geschehens nicht aufgetaucht.
Draußen schleuderte Felix die Waffe nach rechts von sich und es platschte leise, als sie im Fluss versank.
Der Kater trat an den Straßenrand, beugte sich vorn über und erbrach seinen Mageninhalt.
Zwei Zähne und etwas Blut kamen mit hinaus, doch Felix interessierte das wenig.
Keuchend richtete er sich auf und wischte sich über den Mund. Der Nachgeschmack bereitete ihm schon wieder Übelkeit, dennoch wollte er nicht in die Bar zurück um es wegzuspülen.  Er machte sich leicht schwankend und gedankenleer auf den Weg zurück zur Psychiatrie.
Spürte er da leichten Stolz auf sich, als er die Straße entlang torkelte? Er hatte es immer noch drauf, drei Männer hatten ihn in besoffenem Zustand nicht fertig machen können.
Heute Abend war er ein Sieger gewesen.

Felix wachte am nächsten Morgen erst sehr spät auf.
Er fuhr sich durch die schwarzen Haare und bemerkte wie schrecklich er stank. Nach Alkohol und Erbrochenem.
Felix setzte sich auf und schwankte leicht. Erst als das warme Wasser der Dusche über seinen schmerzenden Körper floss, kehrten die Erinnerungen zurück. Ein Teil zumindest, denn er erinnerte sich nicht mehr was nach seinem Heimweg geschehen war. Er hatte blaue Flecken und eine sehr hässliche Schwellung am Kiefer. Er spürte die Stellen wo seine Vorderzähne hätten sein sollen.
Er hatte sich mit drei erwachsenen Männern geprügelt. Seltsamerweise verspürte er keine Reue oder Gewissensbisse, der Stolz kehrte zurück.
Er war nicht schwach, er war kein Feigling, kein Opfer.
Felix wusste sich zu wehren.
Und er wusste etwas wesentlich wichtigeres: Der alte Felix war tot. Er kannte nun die Wahrheit, kannte Mord und Vertrauen, Lügen und Zwang.
Die Steinmauer um sein Herz war niedergerissen, sie war durch eine Titanmauer ersetzt.
Schwäche hatte er hinter sich gelassen, genau wie Hilflosigkeit.
Als Felix aus der Dusche kam, fühlte er sich wie ein anderer Mensch.
Das Trauma würde dadurch nicht weggehen, aber immerhin müsste er nie wieder nach dem Warum fragen.
Als er angekleidet in sein Zimmer zurück kehrte, warteten dort ein Arzt und sein Psychiater.
Schweigend setzte Felix sich Alessandro gegenüber und ließ den Arzt seinen Kiefer untersuchen.
"Die Zähne wachsen wieder. Ich gebe dir ein Mittel, dann hast du sie in sechs Tagen wieder.", stellte der Arzt schließlich fest und drückte Felix noch ein Kühlpack in die Hand, ehe er das Zimmer verließ.
Alessandro beugte sich vor.
"Du weißt wie ich zu gestern Abend stehe. Ich habe dir oft genug gesagt, dass du das unterlassen sollst, damit genau so etwas nicht passiert!"
Felix lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Alessandro seufzte leise.
"Ich will dir helfen. Aber das geht nicht wenn du wegläufst, vor dir selbst fliehst."
Das Kühlpack wirkte angenehm auf seiner Wange.
"Aber Alessandro, du weißt nicht wie wichtig der letzte Abend war."
Der Psychiater legte den Kopf schief. "Was war so wichtig?"
Felix holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen.
"Ich habe gewonnen. Ich habe seit Jahren des Scheiterns gewonnen."
Nicht länger ein Opfer, ein Feigling, ein Hilfloser, ein Verlierer.
Alessandro nickte langsam.
"Wie fühlt sich das für dich an?"
Felix' Gesicht blieb eine Maske, wie stets.
"Gut. Sehr gut."
Es lohnt sich tatsächlich nicht aufzugeben. Irgendwann kommt der Sieg, und wenn es nur einer ist.
Er hatte den alten Felix besiegt, den Kater neugeboren, hatte Valos in die Hölle verbannt in die es gehörte und die Gruppe in die hinterste Ecke seiner Gedanken gesteckt.
Ja, er würde wieder Flashbacks haben, beim kleinsten Geräusch erschrecken, doch auch das konnte er besiegen, daran glaubte er.
Nur weil er einmal sehr tief gefallen war, hieß das nicht, dass er liegen blieb. Er stand auf, egal wie oft und schmerzhaft der Fall war.
Nur wenn sich immer wieder erhob, konnte er etwas erreichen.
Valos hatte die Ruine seines Lebens zerstört, doch jetzt hatte er Platz für eine ganz neue Festung zu schaffen.
"Es geht mir gut Alessandro."
Und dieses eine Mal meinte er es sehr ernst.
Er erhob sich und trat an sein kleines Fenster, von welchem er aus nur die Straße sehen konnte.
"Ich weiß nicht, woher diese plötzliche Veränderung und Stärke kommt, aber ich habe noch eine wichtige Frage an dich."
Felix schwieg und hörte einen Stuhl rücken, dann räusperte sein Psychiater sich.
"Denkst du, du bist ein Monster, so wie Ovid es sagte?"
Felix dachte eine Weile darüber nach, dann drehte er sich um.
"Ja. Ja, das glaube ich. Aber es nicht schlimm ein Monster zu sein, oder?"
Alessandro beugte sich vor und sah Felix aus seinen hellen Augen an.
"Wieso ist es nicht schlimm?"
Felix verschränkte die Arme und lehnte sich gegen das Fensterbrett.
"Warum? Weil wir alle Monster sind, Doktor. Jeder Mensch ist ein Monster. Ich bin nur eines von vielen."
Und es war der Kater der antwortete.

I'm only a man with a chamber, who's got me. I'm taking a stand to escape what's inside me.
A monster, a monster, I've turned into a monster.
A monster, a monster and it keeps getting stronger.
(Monster)

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt