Kapitel 2

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Manchmal ist es schwer diese Leere, die irgendwann einfach entstanden ist, je wieder komplett zu füllen.

Ein Junge mit fast schwarzen Haaren kam auf unseren Tisch zu und blieb dann direkt davor stehen.
"Hey, ich bin Finn." stellte er sich lächelnd vor.
Ich lächelte zurück und dann richtete er seine volle Aufmerksamkeit auf Noah.
"Soll ich dir einen Kaffee mitbringen?"
"Ja, bitte." sagte Noah mit belegter Stimme und ließ seinen Kopf dann auf seine, auf dem Tisch verschränkten Arme sinken.
Finn lachte kurz und wuschelte durch Noahs Haare, welcher mit es mit einem genervten brummen über sich ergehen ließ.
Als Finn verschwand drehten sich die beiden Jungs in der Reihe vor uns auf ihren Stühlen zu uns um und drei weitere stellten sich ebenfalls dazu. Anscheinend saß ich hier neben einem von den beliebten. Leute von denen ich mich seit Jahren eher ferngehalten hatte, als ich selber beschlossen hatte, nicht mehr dazu zu gehören.
"Leute, man stellt sich normalerweise neuen Leuten vor." sagte Noah mit einem seufzen und richtete sich dann wieder auf.
"Also, das sind Tobi, Felix, Lukas, Maurice und Leon. Finn hast du ja eben schon gesehen und Raffael ist heute krank, den lernst du morgen kennen."
Die anderen nickten oder lächelten mir freundlich zu und ich erwiderte.

Ich versuchte mir die Namen und Gesichter genau einzuprägen. Normalerweise fiel mir sowas nicht besonders schwer.  
Tobi hatte ein schmales Gesicht, welches gute Laune ausstrahlte. Seine Haare waren dunkelbraun, ihm Licht sahen sie ein bisschen aus wie Kastanien. Felix hatte ebenfalls ziemlich dunkle Haare und war ziemlich groß. Für seine Größe war er ein bisschen dünn und man sah in seinem blassen Gesicht deutlich seine Wangenknochen. Lukas hatte strahlend blonde Haare und dazu noch extrem blaue Augen. Seine Kleidung war genau das Gegenteil, er war komplett schwarz angezogen, was einen ziemlichen Kontrast abgab. Maurice hatte schwarze kurz geschorene Haare und diverse Piercings in seinem Gesicht. Seine Kleidung war bunt und ausgefallen, was aber zu ihm passte. Zu guter Letzt landete mein Blick auf Leon. Er hatte ein kindliches Gesicht, welches ihn ziemlich jung erscheinen ließ. Seine Haare waren blond gefärbt, was man an dem leichten dunklen Ansatz erkennen konnte. Alles in allem, sah er aus wie jemand, den man am liebsten den ganzen Tag knuddeln möchte. Ich musste ein lachen unterdrücken und sah mich dann wieder in der Klasse um.

"Die anderen stelle ich dir jetzt nicht alle mit Namen vor, die lernst du schon früh genug kennen. Aber im großen und ganzen sind hier eigentlich alle echt in Ordnung. Die Mädchen sind nicht zu oberflächlich und zum Glück auch nicht anhänglich. Jedenfalls die meiste Zeit. Die beiden Typen vorne in der ersten Reihe sind ein wenig gewöhnungsbedürftig, von denen solltest du dich vielleicht fernhalten." sagte Noah und die anderen stimmten ihm lachend zu.
Wie schon vorhin fiel mein Blick wieder auf den jungen in der letzten Reihe. Dieser hatte seinen Kopf jetzt auf den Tisch gelegt und schien zu schlafen.
"Und der da hinten? Das Opfer der Klasse?" fragte ich, da Noah ihn anscheinend vergessen hatte. Ich blickte wieder in die Runde und mir fielen sofort die geschockten Blicke der anderen auf, die Noah ansahen. Dieser sah etwas zerknirscht auf seine Hände und antwortete mir nicht.
Ich merkte sofort, dass ich etwas falsches gesagt hatte und bereute es sofort. Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, kam Finn wieder und stellte einen Pappbecher Kaffee vor Noah auf den Tisch. Gleich danach kam Herr Sandels wieder rein und alle setzten sich wieder auf ihre Plätze und bearbeiteten die Aufgaben weiter.
Noah sah weiterhin auf seinen Block und wirkte ziemlich abwesend.
"Tut mir Leid, falls ich was falsches gesagt habe. Ich dachte nur, weil er da ganz alleine sitzt und naja..." Zuerst schien es, als hätte Noah mich gar nicht gehört, aber dann antwortete er doch.
"Das ist Stegi und nein, er ist nicht das Opfer der Klasse, aber er redet mit niemandem. Eines solltest du gleich zu Anfang wissen, falls du ihn je beleidigen solltest, kriegst du es mit mir zu tun." sagte er leise und sah mich dabei nicht an.
"Seid ihr befreundet?"
"Nein, nicht mehr. Er war mal mein bester Freund, aber das ist schon ne Weile her."  Damit war das Thema für ihn anscheinend erledigt, denn er widmete sich jetzt wieder seinen Aufgaben. Ich sah wieder nachdenklich nach hinten, zu Stegi, welcher immer noch schlafend an seinem Tisch saß. Während ich meine Aufgaben weiter bearbeitete, fragte ich mich weshalb die beiden keine Freunde mehr waren und vor allem warum er mit niemandem redet. Gleich darauf verbannte ich diese Gedanken aber wieder, es ging mich ja nichts an.
Und eigentlich interessierte es mich jetzt auch nicht so brennend. Ich hatte beschlossen mich von solchen Leuten wie Stegi fern zu halten. Das gehört definitiv zu meinem Neuanfang dazu.

Es klingelte relativ schnell zur ersten Pause und gemeinsam mit den anderen ging ich auf den Schulhof. Der Hof war ziemlich groß und es waren nicht besonders viele Leute hier draußen. Wir stellten uns in eine etwas abgelegenere Ecke und mir fiel auf, dass die meisten rauchten. Ich holte mir selber eine Zigarette aus meiner Tasche und zündete sie mir dann an.
Gegenüber von uns, ca. 30 Meter von uns entfernt, stand eine Bank unter einem Baum, auf welcher Stegi alleine saß. Normalerweise ziehen mich solche Leute direkt an, denn eigentlich war ich auch lieber alleine, aber ich versuchte dieses Gefühl zu verdrängen.
Hier würde alles anders werden.
Hier würde ich jemand anders sein. In mir drinnen breitete sich wieder diese alt bekannte Sehnsucht aus, welche einfach nicht verschwinden wollte, egal was ich tat.
Dieses mal war es schlimmer.
Dieses Gefühl schnürte mir schier die Kehle zu und es fühlte sich an, als würde ich daran ersticken.

Ich versuchte mich auf die Gespräche der anderen zu konzentrieren, was mir aber nur halbherzig gelang. Viel zu schnell klingelte es wieder zum Unterricht und die anderen Stunden vergingen quälend langsam.
Als es nach der sechsten Stunde endlich klingelte, holte ich mir schnell die Unterlagen von Herrn Sandels ab und ging dann zu Fuß nach Hause. Erst als ich in meinem Zimmer angekommen bin, konnte ich mich ein wenig entspannen.
Ich hatte so sehr gehofft, das dieses Gefühl, irgendwas würde fehlen, hier einfach verschwinden würde, aber das war anscheinend nicht der Fall. 

Stexpert - Don't give up (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt