Kapitel 39

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That feeling when you're not necessarily sad, but you just feel really empty.

Heute wachte ich erst spät auf, Stegi lag schon nicht mehr im Zelt.
Als ich gestern zurückgekommen war, hatte er noch nicht geschlafen, aber wir hatten kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt.
Ich hatte mal wieder totale Scheiße gebaut und das in jeder Hinsicht.
Wieso kam ich immer wieder auf diese selten dämliche Idee ihn zum Reden bringen zu wollen?
Er hatte mehr als einmal klar gemacht, dass er darüber nicht reden wollte und ich sollte es einfach akzeptieren.
Zumindest vorerst. 
Ich hatte wirklich gehofft, dass wir nach diesem Wochenende Freunde sein würden, auch von seiner Seite aus, aber jetzt fing alles wieder von vorne an.
Und dann war da natürlich noch die Sache mit Killian, definitiv keine meiner Sternstunden.
Einen wildfremden Jungen küssen, mehr als einmal und dann einfach verschwinden.
Denn genau das hatte ich gemacht.
Ich bin aufgestanden und gegangen, ohne etwas zu sagen.
Kaum hatte ich mich abreagiert und meine Wut war verraucht, ist mir klar geworden was ich da tat und bin gegangen.
Nicht gerade die feine Art, vor allem weil ich ihn mochte.
Aber leider war das Glück, wenn ich einen Menschen mochte, nie auf meiner Seite.
Also lieber ohne ein Wort verschwinden und ihn verletzen, bevor er es mit mir tat.
Aber egal wie ich es drehen und wenden würde, es war einfach eine absolute scheiß Aktion von mir gewesen, für die ich mich wirklich schämte.
Aber wahrscheinlich würde ich ihn eh nie wieder sehen, was mich einerseits erleichtern würde, andererseits aber auch enttäuschen würde.
Denn irgendwie wollte ich ihn ja schon wieder sehen.
Ich verwarf meine Gedanken fürs erste und ging dann zum Wohnwagen, wo bereits alle draußen saßen und aßen.
Wenig begeistert setzte ich mich neben Stegi, welcher mich natürlich komplett ignorierte.
Mir verging fast sofort der Appetit und ich bekam mit Mühe und Not ein Toast runter und trank meinen Kaffee.
„Wir würden gleich anfangen alles einzupacken und dann gerne los fahren, okay?" fragte mich meine Mutter und lächelte mich an.
Ich nickte ihr nur zu und rang mir ein halbwegs glaubwürdiges lächeln ab.
Ich hatte jetzt keine Lust darauf auch noch von ihr ausgefragt zu werden, auch wenn sie es nur gut meinen würde, könnte ich das jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Ich trank den letzten Schluck meines Kaffees und ging dann wieder zum Zelt, wo ich anfing alles einzupacken.

Da Stegi sich auch nach zwanzig Minuten noch nicht blicken ließ, packte ich auch seine Sachen ein und fing dann an das Zelt abzubauen.
Als ich gerade alles wieder in die Tasche packte kam er und fing an die Luftmatratzen einzurollen, aus welchen ich die Luft schon raus gelassen hatte.
„Wirst du heute irgendwann noch mit mir reden?" fragte ich ihn jetzt und stellte die Tasche neben die anderen.
Wie erwartet antwortete er nicht, aber verübeln konnte ich es ihm nicht.
„Stegi jetzt komm schon." sagte ich noch einmal flehend, aber er sah mich weiterhin nicht an.
Mit einem seufzen schnappte ich mir die Taschen und ging dann zum Auto.
Ich packte alles in den Kofferraum und half dann noch den anderen beim Einpacken.
Als wir alles hatten setzte ich mich auf den Beifahrersitzt, stöpselte mir meine Kopfhörer ins Ohr und drehte die Musik auf.
Ich schrieb Raffael noch, wann er zu mir kommen kann und machte dann die Augen zu.
Ich bekam nicht viel von der Fahrt mit, denn ich schlief kurz nachdem wir los gefahren waren, auch schon ein.

Erst als wir zu Hause parkten wachte ich wieder auf.
Müde rieb ich mir die Augen und stieg dann aus.
Stegi stieg kurz nach mir aus und ich reichte ihm seine Tasche.
Er war schon ein paar Schritte gegangen, als er sich wieder umdrehte und zurückkam.
„Ich will das du mir was versprichst, okay?"
„Wenn du mir zuerst sagst was, dann ja."
„Nein versprich es einfach Tim."
„Was wenn nicht?"
„Dann werde ich jetzt gehen und glaub mir, dann komme ich nicht mehr wieder. Dann werde ich nie wieder auch nur ein einziges Wort mit dir wechseln."
Entsetzt sah ich ihn an.
Ich wusste, dass er es ernst meint, sein kalter Blick ließ keinen Zweifel und genau das tat so weh.
Er sah mich an wie zuvor, als hätten wir nie miteinander geredet, nie zusammen gelacht und als würden wir uns überhaupt nicht kennen.
So leicht würde es ihm also fallen, zu gehen?
Aber was hatte ich anderes erwartet, er hatte es bei allen anderen doch ganz genau so gemacht.
Noch immer sah er mich abwartend an und ich blinzelte ein paar Mal, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
„Okay, ich verspreche es." sagte ich monoton und sah ihn abwartend an.
„Du wirst mich nie wieder fragen warum ich mit keinem mehr rede. Du wirst mich nicht darauf ansprechen, wenn ich ein blaues Auge oder sonstiges habe, denn das ist nicht dein Problem.
Du wirst nicht fragen, warum ich nicht in die Schule komme, denn wenn ich nicht da bin hat das seine Gründe.
Du wirst mich nicht auf meine Familie ansprechen oder überhaupt versuchen darüber zu reden und am allerwichtigsten, du wirst niemals zu mir nach Hause kommen, denn dort will ich dich nicht haben. Und wenn du dein Versprechen brichst, dann bin ich weg. Denn das ist eines der Dinge, wahrscheinlich sogar das einzige, was ich gut kann."
Er sagte das alles ohne eine Regung in seiner Stimme.
Völlig stumpf stand er da und sah mich kalt an und als er fertig war, verschwand er.
Wie in Trance nahm ich meine Sachen aus dem Auto, ging ins Haus und in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett fallen ließ.
Und nicht mal als ich alleine dort lag, kamen die Tränen.
Viel zu geschockt war ich von seinen Worten.
Und vor allem von seiner Ernsthaftigkeit, denn ich zweifelte keine Sekunde am dem, was er gesagt hat.
Das war meine letzte Chance, aber es fühlte sich bereits an wie das Ende,
Denn ich war mir sicher, ich würde niemals herausfinden, was ihn so kaputt gemacht hat.
Warum seine Seele zerbrochen war, denn das war sie, damit war ich mir hundertprozentig sicher.
Ich war mir sogar sicher, das nichts und niemand jemals in der Lage sein würde, sein inneres zu heilen.
Den Menschen zurück zu holen, der er mal war, denn der war unwiderruflich weg, verloren.
Er bestand nur noch aus Schmerz und Hass und alles was ihn hielt war seine Hülle.
Und auch wenn er lachte und redete, nichts davon war echt.
Schmerz verändert Menschen so sehr und je mehr jemand davon erfährt im Leben, desto stumpfer und trister wird sein inneres.
Je mehr Schmerz, desto echter sein lachen.
Warum bin ich so blind gewesen? Oder wollte ich einfach nicht sehen, das er zerbricht, das er alles nur vorspielt, um den Schein zu wahren?
Und am Ende war da die Frage, wie lange würde er das alles noch aushalten, wie lange dauert es, bis seine inneren Dämonen den Kampf gewonnen haben?
Die Tränen fanden jetzt ihren weg auf mein Gesicht, hinterließen nasse Spuren und verschleierten meine Sicht.
Und nach und nach wiegte ich mich schluchzend in den Schlaf.

Stexpert - Don't give up (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt