Kapitel 68

145 17 2
                                    

Ich halte deine Hand, selbst wenn jeder andere sie losgelassen hätte.

"Was fällt dir ein. Kannst du denn gar nichts?" schrie er ihn an und bevor ich es verhindern konnte, landete seine Faust in seinem Gesicht.
Stegi gab keinen einzigen laut von sich, er reagierte eigentlich überhaupt nicht.
Lediglich sein Kopf flog zur Seite.
Ich spang dazwischen und schubste Stegis Vater grob weg, der jetzt notgedrungen seinen Arm los ließ.
Kurz sah dieser mich geschockt an, als würde ihm gerade klar werden, das ich noch hier bin, dann loderte wieder diese alles verschlingende Wut in seinen Augen auf.
"Raus hier." schrie er mich an.
Nichts lieber als das, dachte ich nur und zog Stegi dann hinter mir die Treppe hoch.
Ich zog mir die Schuhe an und nahm meinen Rucksack, dann griff ich wieder nach Stegis Hand, aber er riss sich los und blieb verloren in der Mitte seines Zimmers stehen.
"Komm jetzt, du musst hier raus." sagte ich ungeduldig, meine Stimme zitterte vor Wut und Adrenalin.
Er schüttelte energisch den Kopf und sah mich entschlossen an.
"Nein Tim, du musst hier raus. Ich muss hier bleiben."
"Du kannst doch nicht hier bleiben, dein Vater hat dich gerade geschlagen."
"Wenn ich jetzt gehe, dann wird es nur noch schlimmer. Er regt sich gleich wieder ab, er hat nur ein bisschen viel getrunken." vereidigte er ihn.
Wie konnte er ihn denn jetzt noch in Schutz nehmen?
Ich verstand das einfach nicht, in seinem Augen lag so viel Angst, er glaubte seine Worte doch nicht einmal selber.
"Das ist doch keine Entschuldigung dafür." rief ich aufgebracht und sah ihn entgeistert an.
"Tim, du verstehst das einfach nicht.
Bei dir war immer alles perfekt.
Die perfekten Freunde, die perfekte Familie.
Und dann sieh mich an.
Ich bin ein Stück Dreck, ich passe nirgends richtig rein. Ich habe das alles verdient, auch wenn du das nicht glaubst.
Diese Welt, dieses Leben, das alles hat mich doch schon völlig kaputt gemacht. Und es geht immer weiter.
Jeden Tag mehr und mehr und ich kann mich einfach nicht wehren, ich kann ihm, allem, einfach nicht entkommen.
Und dann ist da dieser Moment, in dem ich mir wünsche tot zu sein.
Kennst du dieses Gefühl?
Weißt du wie das ist, wenn da nichts ist?
Wenn alles dunkel ist und du gefangen bist?
Wenn alles aussichtslos erscheint?
Und dann sagt dir jemand alles wird gut, aber das wird es nicht. Du sagst ständig, das alles gut wird, aber nicht für mich.
Wie soll es denn gut werden?
Ich bin kaputt und das kann niemand ändern, auch nicht du.
Ich bin ein Versager, ein niemand.
Ich bin nichts Wert und auch das kannst du nicht ändern." zum Schluss brach seine Stimme und er versuchte nicht mehr die Tränen zurück zu halten, sie liefen ihm unentwegt übers Gesicht.
"Das stimmt nicht. Komm einfach mit, wir kriegen das alles hin." sagte ich verzweifelt und ging ein Stück auf ihn zu.
Er wich ängstlich zurück und schüttelte wieder den Kopf.
"Tim, geh jetzt einfach. Ich ertrage dich hier nicht mehr."
"Nein ich gehe nicht ohne dich." sagte ich panisch.
Mittlerweile konnte ich  die Tränen selbst nicht mehr zurück halten.
"Wovor hast du Angst? Warum kannst du nicht einfach aufgeben? Warum lässt du nicht einfach los? Merkst du denn nicht das ich verloren bin, das du mich schon längst verloren hast, weil ich nicht zu retten bin?"
"Ich kann dich nicht los lassen, ich kann dich nicht verlieren. Das würde ich nicht überleben."
Ich zitterte und mir wurde schlecht.
In mir breitete sich erneut diese beängstigende Leere aus, dabei dachte ich, sie wäre jetzt endlich weg.
Weil ich das gefunden hatte, was so lange gefehlt hat.
Das was mich wieder ganz macht, wodurch ich wieder glücklich sein kann, ist er.
Das wurde mir in diesem Moment so schmerzhaft bewusst, das es mir die Luft zum Atmen nahm.
Und wenn ich ihn verliere, dann gehe ich kaputt, dann hält mich nichts mehr zusammen.
"Was wäre so schlimm daran mich zu verlieren? Warum würdest du das nicht überleben?" er sah mich aus seinen kalten stechenden Augen aus an.
Er wollte, das ich das ausspreche, was wir doch beide eigentlich schon wussten.
Also tat ich es.
"Weil ich dich Liebe." ich sprach diese Worte wie in Trance aus und mein Mund wurde trocken.
Jetzt gab es kein zurück mehr.
Er schloss die Augen und die Tränen liefen ihm weiterhin ununterbrochen übers Gesicht.
"Du kannst mich nicht lieben. So jemanden wie mich kann man einfach nicht Lieben."
"Aber ich tue es und daran kannst du nichts ändern."
"Geh jetzt einfach." sagte er und er klang so erschöpft.
"Ich werde nicht ohne dich gehen."
"Ich komme nachher zu dir, aber bitte geh jetzt einfach."
"Versprichst du mir das?"
"Ja."
Ich sah ihn unschlüssig an.
"Vertraust du mir?" fragte er.
"Ja." sagte ich, aber es klang eher wie eine Frage.
"Dann geh jetzt bitte."
"Wann kommst du zu mir?"
Ich wollte eine Uhrzeit, damit ich wusste ab wann ich in Panik ausbrechen konnte, so verrückt das auch war.
"Gegen 9." sagte er und drückte mir dann meinen Rucksack in die Hand.

Als ich bei mir zu Hause ankam, empfing mich meine Mutter mit einem strahlenden Lächeln, welches jedoch erstarb, als sie mir ins Gesicht sah.
"Was ist passiert? Wo ist Stegi?" fragte sie ein wenig panisch und sah dann hinter mich, obwohl die Haustür schon längst wieder zu war.
"Bei sich zu Hause." sagte ich müde und rannte dann schon fast die Treppe hoch in mein Zimmer.
Sie kam mir nicht hinterher, sie wusste schon immer, wann ich am besten meine Ruhe brauchte.
Eigentlich wollte ich jetzt keine Ruhe, ich wollte nur das Stegi hier wäre, damit ich mich endlich wieder beruhigen konnte.
Ich setzte mich auf meine Fensterbank und zog meine Knie an meinen Körper, um meinen Kopf darauf legen zu können.
Ich konnte nicht verhindern, das nach und nach immer mehr Tränen flossen.
Meine schmerzende Hand erinnerte mich daran, dass das heute wirklich passiert war.
Der stechende Schmerz ließ es nicht zu, zu verdrängen.






Stexpert - Don't give up (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt