Kapitel 22

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Das Geräusch vieler, hektischer Schritte weckte Majara. Ein erster Schrei und sie wusste es. Sie waren hier. Sofort sprang sie auf. Schnell, nicht panisch. Noch nicht, denn ihre Mutter war nicht hier. Im selben Moment stürmte jemand in ihre Hütte. Ein Weißer. Doch viel  Angst einflößender als seine Hautfarbe war seine Waffe. 

,,Na los, raus hier!", rief er, während er mit der Spitze seines Gewehres herumfuchtelte. Ein falscher Schritt und sie wäre entweder ein Auge oder ein ganzes Leben los. Noch eines. 

,,Na los!"

So schnell wie es ging, ohne dem Dorn ähnlichen Metall zu nahe zu kommen verließ Majara die Hütte. Bajonette. Sie erinnerte sich, das Wort schon einmal gehört zu haben. Doch was brachte ihr das, wenn es ihr an den Nacken gehalten wurde? Draußen sah sie, dass es den anderen nicht besser ergangen war als ihr. Sie alle wurden aus ihren Hütten gescheucht und zusammen getrieben wie Tiere. Ein Mann links von ihr versuchte sich zu wehren. Sekunden später lag er reglos auf dem Boden. Ein Kind schrie und weinte. Majara wagte nicht,  den Befehlen der Weißen auch nur einmal nicht zu folge zu leisten. Sie wusste, das würde alles nur noch schlimmer machen. Einige andere waren nicht so klug gewesen. Schon jetzt saugte die kalte Erde gierig Blut. Und dabei war das gerade erst der Anfang. Sie waren noch nicht einmal losgegangen. Genau wie Majara es in ihren Büchern gelesen hatte, wurden sie ohne Diskussion eingepfercht. 2017 würde das, was hier geschah allein bei Schweinen schon als Tierquälerei gelten. Dicht an dicht, stand sie mit Menschen, mit denen sie teils nur flüchtig bekannt war. Sie hatte sich immer vorgestellt, ihre Familie leiden sehen zu müssen, stattdessen wusste sie nicht einmal, wo sie gerade waren oder ob sie noch lebten und diese Ungewissheit war viel schlimmer. Die Weißen tigerten um die Pferche herum, wie Raubkatzen die ihre Beute betrachteten. Und so etwas nannte sich Bundeswehrsoldaten. Majara hätte ihnen vor lauter Verachtung in ihr Gesicht spucken könne. Allerdings würde das von ihrem derzeitigen Standpunkt aus schwierig werden. Jeden Millimeter zwischen ihr und den anderen brauchte sie zum Atmen. Es roch unerträglich, der Geruch von Schweiß mischte sich mit dem von Angst. Eine gefühlte Ewigkeit standen sie so. Wenigstens war ihnen nicht kalt. Noch nicht.

Irgendwann kam Bewegung in die Menge. Sicher wurden jetzt die kleinen Kinder und Alten aussortiert. Sie hoffte Anevay war dabei. Wenn sie den meisten Teil der Strecke auf Schienen zurücklegen würde, hatte sie zumindest noch den Hauch einer Chance. Ihr Bein war noch immer nicht abgeheilt. Mütter riefen verzweifelt nach ihrem Kindern, die ihnen einfach mit roher Gewalt entrissen wurde.  Dann wurden auch alle anderen heraus gelassen. Menschen drängten in Richtung Ausgang, wollten den Pferch so schnell wie möglich verlassen. Dabei wussten sie was hierauf folgen würde. Es war ihnen oft genug gedroht worden. Zum ersten Mal überlegte Majara, ob es vielleicht besser für den Stamm gewesen wäre ihre Heimat freiwillig zu verlassen. Ehre und Stolz währen auf ewig gebrochen gewesen. Aber es hätte ihnen so viel Leid erspart.

Der Schrei der EuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt