Epilog

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Noch lange starrte Jennifer auf die Stelle, an der ihre Freundin so plötzlich verschwunden war. Einfach so. Zwar war sie es gewohnt, etwas zusehen, dass eigetlich nicht da sein sollte, andersherum jedoch nicht. Unsicher machte sie ein paar Schritte vorwärts. Da war nichts, kein magisches Portal, oder womit auch immer sie sonst gerechnet hatte. Dieser eine Quadratmeter Waldboden, der sich in keinster Weise vom restlichen Wald unterschied, erschien ihr viel unwirklicher. Erfürchtig wich sie diesem kleinen Fleck Erde aus, kam sich dabei aber gleichzeitig albern vor. Es war doch nur Erde. Erde und Laub. Keine Majara. Sie wusste, es wäre am besten, jetzt einfach nach Hause zu gehen. Dort könnte sie in Ruhe über alles nachdenken, um schließlich festzustellen, dass sie zu keinem Ergebnis kam. Aber es zog sie zurück zu dem Stein. Sie kniete davor nieder und wieder überraschte sie ihre eigene Erfurcht. Es war ein Stein, nur ein dummer, langweiliger Stein. Und dennoch schien alles von ihm abzuhängen. Er konnte ihr Antworten geben. Kurz fragte sie sich, ob sie dafür überhaupt schon bereit war, aber dann meinte sie platzen zu müssen, falls sie noch länger warten musste. Eilig umfasste sie ihn mit beiden Händen, ihre Finger rutschte am Moos entlang, bis sie schließlich Halt fanden. Sie rollte den tein zur Seite und hielt erwartungsvoll inne. Kein Brief. Was konnte das alles bedeuten? War Majara gar nicht in ihrem anderen Leben angekommen? Hatte sie es doch geschafft, aber war aus irgendeinem Grund nicht dazu gekommen ihr einen Brief zu schreiben? Oder war sie vielleicht -sie zwang sich den Gedanken zuende zu denken- war sie vielleicht tot? Angst und Schuldgefühle überrollten Jenny erbarmungslos und sie meinte keine Luft mehr zu bekommen. Sie taumelte einen Schritt nach vorne und erst da, bemerkte sie den kleinen Gegenstand, der halb aus der Erde herausragte. Es war eine kleine Truhe aus hellem Stein. Hoffnungsvoll grub Jenny mit ihren bloßen Händen in der Erde, bis sie die Truhe herausnehmen konnte. Sie nahm vorsichtig den Deckel ab und atmete erleichtert aus. Eine vergilbte Papierrolle wartete nur darauf von ihr gelesen zu werden. Ganz behutsam rollte sie das Papier ausseinander und beann zu lesen.


Liebe Jenny,

es kommt mir seltsam vor dir nach all den Jahren zu schreiben, denn ja, für mich sind schon viele Jahre vergangen. Ich konnte mich nicht eher überwinden einen Brief zu schreiben, denn es bedeutet endgültig Abschied zunehmen und der Tatsache ins Auge zu blicken, dass ein Teil meines Lebens nun wirklich vorbei ist und zwar für immer. Ich weiß, für dich spielt es keine Rolle, denn du wirst diesen Brief erst viele, viele Jahre später lesen, nachdem ich ihn versteckt habe. Wie ich dich kenne wirst du in deiner Zeit allerdings keine Sekunde warten können und sofort nach ihm suchen. Da du ihn in genau diesem Moment liest, sind zwei Dinge offensichtlich. Erstens: du hast ihn gefunden. Zweitens: Ich habe den Trail of Tears überlebt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es war, wirklich nicht. Niemand kann das, der nicht selbst dabei war. Ich finde keine Worte für das, was ich gesehen und erlebt habe. Nur so viel kann ich dir sagen, mein Bruder und ich sind gemeinsam mit ein paar Weiteren entkommen und lebten viele Jahre in den Bergen. Zuerst war es ungewohnt. Alles war so anders und fremd. Wir stießen auf immer mehr Menschen, die entkommen waren und schlossen uns zusammen. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die neuen Umstände. Es dauert, aber es wird. Inzwischen habe ich einen Mann und zwei Kinder, eine Tochter etwa so alt wie du jetzt. Das wird dir seltsam vorkommen. Und mir erst. Aber keine Angst, ich bin immer noch die Selbe, nur eben ein bisschen anders. Dein Leben wird sich nun, da ich nicht mehr da bin ebenfalls auf dem Kopf stellen. Ich weiß du schaffst das, weil du das klügste Mädchen bist, das ich kenne. Demnächst werde ich aus den Bergen zum See reisen um den Brief zu verstecken. Vergiss mich und die Zeit die wir gemeinsam hatten nicht. Ich werde dich niemals vergessen.

In Liebe

Majara


"Niemals"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 24, 2020 ⏰

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Der Schrei der EuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt