Kapitel 1

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1838

Als alle Tiere und Pflanzen der Welt erschaffen worden waren, wurde von den Tieren verlangt, sieben Nächte zu wachen. Sie alle gaben sich große Mühe, doch in der siebten Nacht waren nur noch die Eule, der Panter und einige wenige anderen Tiere wach. Als Belohnung wurde ihnen die Fähigkeit verliehen im dunkeln zu sehen.

Majara saß auf einem umgestülbten Korb und sah Annevay bei ihrer Arbeit zu. Ihre Hände waren flink und geschickt, auch wenn sie schon alt war. Majara nannte sie immer nur Anevay. Nie Großmutter, wie andere es getan hätten. Sie fand der Name passte viel besser zu ihr. Ee bedeutete soviel wie die Nachdenkliche und nachdenken tat Anevay den ganzen Tag. Ohne Zweifel auch jetzt, während ihre Hände weiter einen Krug verziehrten.

,,Sei so lieb und gib mir die blaue Farbe",sagte sie.

,,Sicher." Majara griff nach dem kleinen Farbtöpfchen und ging zu ihr. Jetzt konnte sie das Kunstwerk genauer betrachten.

,,Eine Eule", stellte Majara überrascht fest. Eulen wurden bei den Cherokee nicht gerade vergöttert und oft sogar als böses Omen angesehen.

,,Ja eine Eule",sagte ihre Großmutter, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.

,,Alle glauben immer Eulen sind durch und durch böse. Glaubst du das auch?", fragte Majara sichtlich neugierig, warum sie gerade dieses Motiv ausgewählt hatte.
Anevay überlegte kurz, wie sie es immer tat, bevor sie etwas sagte. 'Lasse stets deinen Verstand über deine Zunge walten' sagte sie immer.

,,Das würde ich so nicht sagen. Vielleicht sind nur die böse, die in wirklichkeit Menschen sind."

Auch das war etwas, woran die Cherokee glaubten. Das Menschen die nichts als Böses im Sinn haben sich in Eulen verwandeln können. Majara erinnerte sich jedoch an eine andere Sage.

,,Aber sie können doch im Dunkeln sehen. Also gehören sie zu den Tieren, die wach geblieben sind, nachdem die Erde erschaffen wurde. Wie können sie da böse sein?"

Anevay hob den Kopf und sah Majara mit durchdringendem Blick an.
,,Der Feind wacht Majara",sagte sie, "verlass sich darauf."

Majara setzte sich wieder auf den Korb.
,,Meine Mutter meint, dass es bald vorbei ist. Das die Weißen bald genug Land besitzen und sich zufrieden geben werden", erzählte sie und strich sich dichtes, schwarzes Haar hinter die Ohren.
Anevay schnaubte. ,,Tsss...Chenoah ist blind und naiv, wenn sie das tatsächlich glaubt. Die Weißen kommen her und reißen alles an sich, so wie es ihnen passt. Wenn sie nur das nehmen würden, was sie wirklich brauchen, währen sie da geblieben, wo sie herkommen. Einige von uns sind freiwillig gegangen. So weit ist es schon gekommen. Und eines Tages, das sage ich dir, werden die Weißen hierherkommen und uns alles nehmen, was wir haben. Unsere Heimat."

Majara gefiel es nicht, wie ihre Großmutter von ihrer Mutter redete. Aber sie verstand, warum ihr Hass auf die Weißen so groß war. Sie hatten ihren Mann getötet. Und ihren einzigen Sohn.
Majara wusste, es wäre jetzt besser zu schweigen, aber eine Sache musste sie noch loswerden: ,,Ich dachte immer alle Tiere sein unsere Brüder. Auch Eulen."

Anevay antwortete nicht, was bedeutete, dass sie wieder einmal in Gedanken versunken war. Majara beschloss sie nicht weiter zu stören und ging nach draußen.

Der Schrei der EuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt