Sie schwiegen einander an, bis sie es nicht mehr aushielt und mit einem leisen Räuspern die unangenehme Stille durchbrach.
"Was genau ist passiert?", verlangte sie zu wissen.
Das Seufzen, das Yoongis Lippen verließ, war tiefer als alles, was sie je vernommen hatte.
"Es ist kompliziert...", wimmelte er sie ab.
"Yoongi. Ich glaube, ich habe ein gutes Recht darauf, zu erfahren, was geschehen ist", teilte sie ihm mit fester Stimme mit.
Er lehnte sich mit seinen Ellenbogen auf seine Knie und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
"Geht es ihm wirklich gut?", hauchte er.
Sie wurde weich. Er sorgte sich mehr als jeder andere.
Langsam setzte sie sich auf, sodass sie direkt neben ihm saß.
Sie warf einen schnellen Blick auf Jungkook, der auf ihrer anderen Seite ruhte.
"Ja, er wird wieder. Er ist stark", bekräftigte sie und aus ihrer Stimme waren keinerlei Zweifel herauszuhören.
Wieder purzelte ein tiefes Ausatmen über seine Lippen.
"Jimin und er haben sich nach der Schule getroffen und sind gemeinsam durch die Straßen gestreift", begann er nun mit monotoner Stimme zu erzählen.Urplötzlich rammte er seine Faust auf den Tisch und sie zuckte zusammen.
"Sie haben gewartet.
Sie haben ihnen aufgelauert."
(D/N) schwieg.
"Ich hätte wissen müssen, dass dies passieren würde. Sie haben mir von Anfang an Probleme gemacht", zischte Yoongi.
Sie war neugierig, doch sie traute sich nicht nachzuhaken.
"Ich hatte damals beschlossen, sie in Ruhe zu lassen", teilte er ihr mit.
Er ließ seine Knöchel knacken und das markerschütternde Geräusch hallte von den Wänden wider.
Er stand auf.
"Ich werde sie vernichten!", grollte er und schlug seine Faust gegen den Handteller seiner anderen Hand.
Sie konnte die Entschlossenheit beinahe sehen, die von ihm ausging.
Sie schluckte schwer.
Er schaute sie über die Schulter hinweg an und sie blickte entsetzt in seine vom Hass zerfressenen Augen.
"Aber zuvor..."
Er machte einen Schritt auf sie zu, packte sie mit einer Hand am Kragen und zog sie grob auf die Beine.
Sie sog schmerzerfüllt die Luft ein.
"Verrätst du mir erstmal, was für ein verdrehtes Spiel du mit mir spielst, Prinzessin oder sollte ich lieber sagen Verräter?!"
Sie verschluckte sich beinahe an ihrem Atem und starrte ihn mit großen Augen an.
"Was glaubst du eigentlich, wer ich bin huh?!", knurrte er.
"Bitte was?", brachte sie zittrig zustande.
"Bitte was?! Willst du mich total verarschen?!", er tobte, doch seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
"Was? Yoongi? Was redest du da?", fragte sie perplex.
Er hob die Hand und war kurz davor, ihr eine Ohrfeige zu verpassen, als er sich selbst bremste und sie stattdessen zähneknirschend anfunkelte.
"Das Theater kannst du dir sparen, Prinzessin. Ich weiß, dass du zu ihnen gehörst."
Ihr Herz setzte aus.
"Deine Seifenoper hatte enorme Defizite. Bist wohl doch nicht so klasse, wie du dachtest, was?", schnaubte er ironisch.
"Yoongi", murmelte sie leise.
Er schüttelte sie gewaltsam und verstärkte seinen Griff an ihrem Kragen.
"Nenn' mich nie wieder bei meinem Namen. Weißt du, was der Unterschied zwischen dir und diesem Gang Leader ist?"
Sie schüttelte leicht den Kopf und sah gen Boden.
Sein Blick war zu intensiv, zu dunkel, als dass sie diesem standhalten könnte.
"Du bist absoluter Abschaum!", donnerte er und von seinen Worten triefte die Abscheu.
Sie biss sich auf die Zunge.
Seine Worte schmerzten mehr als jeder Schlag von ihm es jemals könnte.
Doch sie hatte es verdient.
Sie hatte jedes Wort, jeden Satz verdient.
Es hatte sie zerrissen, doch sie hatte es trotzdem getan.
"Schau dich an, du bist einfach nur widerwärtig", schnalzte er abgeneigt und ließ von ihr ab, als hätte er sich eine unheilbare Krankheit eingeholt.
Sie spürte die Tränen, die sich still und leise einen Weg über ihre Wangen bahnten.
Er hatte recht, so recht.
"Wenn du glaubst, ich hätte Mitleid mit dir, nur weil du heulst, dann hast du dich total geschnitten. Ich bin niemand, der Tränen romantisiert. Du solltest dankbar sein, dass ich dich nicht blutig schlage", spuckte er rigoros.
Sie schüttelte den Kopf.
Sie erwartete kein Mitleid von ihm.
Das hätte sie auch nicht verdient.
Sie hatte ihm mehr angetan, als seine Worte jemals auslösen könnten, auch wenn sie schmerzten.
Sie wollte sich nicht ausmalen, was Yoongi gerade durchmachte.
Ein lautes Schluchzen ließ ihren Körper erzittern, doch mutig wischte sie sich die Tränen mit ihren Ärmeln weg und sah auf.
Sein Ausdruck war wutentbrannt und seine Augen brannten förmlich.
Seine Fäuste ballten sich, öffneten sich, nur um sich anschließend wieder verkrampft zu schließen.
Noch nie hatte sie ihn so in Rage gesehen.
Langsam richtete sie sich auf und stellte sich auf ihre Füße, auch wenn es sie einiges an Überwindung kostete.
"Hör' mich an. Ich weiß, dass du mich hasst und ich verstehe deinen Groll, doch bitte, lass mich erklären", sagte sie und versuchte ihre Stimme so fest wie möglich erklingen zu lassen.
"Nenne mir einen guten Grund, warum ich dir, einem Verräter, zuhören und besser noch, Glauben schenken sollte?", höhnte er voller Missgunst.
"Es gibt keinen Grund, warum du mir glauben solltest, ich kann nichts beweisen, aber ich habe jedes Wort, das ich jemals gesagt habe, so gemeint."
Keiner von ihnen sagte ein Wort.
Er schnalzte mit der Zunge und verschränkte seine Arme vor seiner Brust.
"Halt' dich kurz", brummte er missmutig.
Sie atmete erleichtert auf.
Zumindest konnte sie nun aufzeigen, warum sie tun musste, was sie getan hatte.
"Es fing alles damit an, als meine Mutter wegen eines unvorhersehbaren Herzinfarkts starb", begann sie. Noch nie hatte sie jemandem ihre Geschichte in dieser Gänze erzählt, wie sie es nun tun würde. Sie wusste nicht, wie er reagieren und ob er ihr überhaupt glauben würde, doch er hatte es verdient.
Er hatte die Wahrheit verdient, und zwar die ganze Wahrheit.
"Sie war alleinerziehend musst du wissen und die einzig lebende Familie, die ich hatte.
Als sie also von uns gegangen war, war ich allein. Ich wollte nicht ins Heim, weshalb ich mich auf die Suche nach einem Job machte. Ich dachte, ich könnte es schaffen. Natürlich war dem nicht so und ehe ich mich versah, landete ich auf der Straße. Mir blieb nichts."Sie atmete zittrig aus, bevor sie fortsetzte: "Eines Abends, als ich mal wieder in einer dunklen Gosse übernachtete, war da plötzlich dieser Mann. Er streckte die Hand nach mir aus und versprach mir Essen, ein Dach über dem Kopf und Geld. Ich war dumm und naiv und ergriff sie. Er nahm mich mit und früher als mir lieb war, wurde mir klar, was für einen riesigen Fehler ich begangen hatte. Doch ich hatte keine Chance zu entkommen und so wurde ich zu seinem Eigentum. Glücklicherweise hat er mich nur verprügelt. Ich war ihm anscheinend nicht entwickelt und hübsch genug, worüber ich mehr als nur froh war. Trotzdem hielt ihn das nicht davon ab, mir wehzutun und mich zu narben. Er benutze mich für seine Drecksarbeiten und ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu gehorchen. Er drohte mir damit, mich umzubringen und tut es immer noch."
Langsam wandte sie ihm den Rücken zu und hob zögerlich ihr Oberteil an.
Ihre Haut war durchzogen von Narben aller Art, groß, klein, fein, dick, manche waren lang, die von ihrem Schulterblatt bis zur Hüfte reichten, andere wiederum waren rund und tief.
"Wovon sind die runden Narben?", wollte er wissen und sowohl sein Ton, als auch sein Gesichtsausdruck waren frei von jeglichen Emotionen.
Sie erinnerten ihn an Brandwunden, doch er konnte sich nicht erklären, woher sie herrühren könnten.
"Er drückt gerne seine Zigaretten an mir aus", ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch.
Sie zog ihr Shirt wieder zurecht und drehte sich um.
Sie erwartete keinerlei Reaktion von ihm, weshalb sie weitersprach ohne ihn anzusehen: "Ich weiß nicht, warum diese Drohung überhaupt zieht, zumal meine gesamte Existenz sinnlos und überflüssig geworden ist, doch ich kann mir nicht helfen."
Sie ballte ihre Fäuste und vergrub ihre Fingernägel gewaltsam in ihrer Haut.
"Ich will leben."
"Und ich bin bereit, alles dafür zu tun."
Sie biss sich auf die Unterlippe.
"Du bist nicht der Erste", vorsichtig sah sie auf, "nein, du bist einer von vielen, doch keiner, kein einziger von ihnen war so wie du."
Sie atmete ein und sah ihm direkt ins Auge.
"Ich weiß, dass du mir nicht glaubst und nichts mit mir zu tun haben möchtest, doch was glaubst du, warum sie so mächtig sind? Nicht wegen ihrer Stärke, denn das sind sie nicht.
Wegen mir. Ich bin der Grund für ihren Erfolg.
Ich liefere ihnen die Informationen, die sie brauchen, und im Austausch dafür, darf ich leben und bekomme Geld."
Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
"Aber du bist anders. Du bist stark. Und ich glaube, gemeinsam können wir sie besiegen", verkündete sie ihm selbstsicher.
"Ich möchte zwar leben", flüsterte sie entschlossen, "doch noch viel mehr möchte ich frei sein."
Sie richtete sich gerade auf.
"Ich werde nicht mehr davonlaufen. Du hast mir gezeigt, was es bedeutet zu kämpfen, und das werde ich tun, auch wenn es mich umbringt. Ich werde nicht länger schweigen und mich unterdrücken lassen", deklarierte sie entschieden.
Sie marschierte in Richtung Flur und hielt auf halbem Wege inne.
"Ich danke dir für alles, was du bis jetzt für mich getan hast. Ich werde diese Wärme und Güte nie wieder vergessen. Und nur damit du es weißt, ich habe ihnen bis zu diesem Moment nichts über dich verraten, zumindest nichts, was der Wahrheit entspricht", teilte sie ihm mit.
"Sei dir sicher, dass ich mich für das, was Kookie angetan wurde, rächen werde, denn er ist auch mir wichtig geworden", fügte sie noch hinzu und setzte sich dann in Bewegung.
Als sie vor der Haustür stand, hörte sie eine Stimme, Seokjins Stimme, wie sich kurz darauf herausstellte, sagen: "Ich glaube dir, das tun wir alle, auch er. Aber gib' ihm Zeit, alles zu verarbeiten. Er wird es verstehen."
Er lehnte mit verschränkten Armen am Türrahmen und schaute sie an. In seinen Augen schwamm Mitleid und Wärme.
Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf.
"Nein", meinte sie inbrünstig, "ich habe ihn oder seine Vergebung nicht verdient. Er hasst mich und das zurecht. Ich bin ein Weichei und ein Verräter."
Sie umklammerte die Klinke so fest, dass ihre Knöchel schneeweiß hervortraten.
"Auch wenn ich leben möchte. Auch wenn ich ihn liebe. Auch wenn es schmerzt. Ich werde ihm nicht mehr unter die Augen treten und mein eigenes Schicksal selbst in die Hand nehmen", brachte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
Sie öffnete die Tür und verschwand. Doch alle Anwesenden hörten ein "Dankeschön", das zarter war, als eine Brise im Frühling.Die Fünf sahen einander an.
"Sie hat Jungkook gerettet."
"Und Yoongi."
"Und stellt sich gegen die mächtigste Gang im Umkreis von hundert Meilen."
"Allein."
"Ich glaube ihr, wenn sie sagt, dass sie nichts über uns verraten hat. Die Attacke auf Jungkook und mich war ungeplant, so viel steht schon mal fest, sie waren ja noch nicht einmal bewaffnet", ergänzte Jimin und strich sich durchs Haar.© cremo

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Min Yoongi X Reader (gang au)
FanfictionMin Yoongi X Reader (gang au) Author's note: Hallo mein lieber Leser:), ich freue mich, dass du hierher gefunden hast und wünsche dir ganz viel Spaß beim Lesen. ^~^ Das ist meine erste veröffentlichte Geschichte, weil meine Freundin mich dazu gezwun...