Kapitel SIEBZEHN

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~ Linger, nahe Oberhausen / 21. Juni 2017 / 7.52 pm ~

Die Zeit verging.

Aus Stunden wurden Tage und aus Tagen Wochen, ohne dass irgendetwas passierte. Ich machte einfach weiter, so wie ich es immer getan hatte. Wir waren noch zwei Tage in Neuseeland geblieben, bevor es für Nic, Caleb und mich noch nach Tokio ging. In jedem Interview fragte man mich nach der „wirklich beeindruckend Rede", die ich gehalten hatte, und ob es mir denn „gut" ginge.

Am Anfang hatte ich noch erklären wollen, dass man nach so einem Ereignis eine Weile brauchte, bis es wieder richtig weitergehen konnte, doch nachdem ein Interviewer in diesem Zusammenhang nach meiner Mom fragte, die ich ja auch schon „in frühen Jahren" verloren hatte, machte ich dicht.

Von Mal zu Mal wurde mein Lächeln und mein Nicken glaubwürdiger, meine Sätze kürzer und die Sekunden, bis die nächste Frage gestellt wurde, unangenehmer. Johan versuchte so zu tun, als wäre alles wie immer, ließ mich jedoch trotzdem nur ungern eine einzige Sekunde aus den Augen, während ich so tat, als würde es mir nicht auffallen.

Am Flughafen in Tokio wurden wir in einem gesonderten Abteil untergebracht, weil die Journalisten und Fans die Halle blockiert hatten. Während Caleb Musik hörte und Nic mit Georgia telefonierte, hatte ich vor dem Snackautomaten gestanden und die Preisschilder angestarrt, bis Johan schließlich zu mir getreten war.

„Du wirst in zehn Minuten zu einem anderen Flieger gebracht", hatte er mir mitgeteilt, während seine Finger über den Display seines Handys flogen. Ich warf ihm einen flüchtigen Blick zu und zuckte dann mit den Schultern. „Okay."

„Deine Familie will nochmal etwas Zeit alleine mit dir haben, bevor die Castings und das Shooting losgeht. Am zweiundzwanzigsten musst du aber wieder auf dem Weg nach LA sein; ich möchte dich bei den ersten Meetings nicht im Halbschlaf und mit Jetlag am Tisch sitzen haben. Verstanden?" Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass er mich aufmerksam ansah.

Ich nickte. „Ist klar."

Noch eine Weile stand er neben mir und sagte nichts. Dann kramte er in seiner Hosentasche nach einer Münze und zog sich einen japanischen Schokoriegel aus dem Automaten, den er mir schließlich in die Hand drückte. „Ein bisschen Zeit bei deiner Familie wird dir guttun", sagte er leise, auch wenn außer uns sowieso keiner ein Wort in dieser Sprache verstehen würde.

Ich sah auf meine Finger herunter, die sich automatisch um die Verpackung geschlossen hatte – und fragte mich, wann ich endlich wieder Lust auf Schokolade haben würde. Oder überhaupt auf Essen. „Vielleicht", war meine gemurmelte Antwort, auch wenn ich wirklich nicht glaube, dass die nächsten Tage wirklich helfen würden.

Taten sie auch nicht.

Nicht wirklich zumindest. Natürlich war es schön, mit meiner Familie am Esstisch zu sitzen und zuzusehen, wie Lis und Olli sich über Nonsens stritten. Oder meinem Vater zu helfen, den Garten umzujäten, während Di in der Sonnenliege saß und über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg Anweisungen verteilte.

Wenn Katie arbeiten war, passte ich meistens auf Maya auf, sodass sie die meiste Zeit aus dem Kindergarten befreit wurde. Wir gingen spazieren, spielten mit ihren Puppen und besuchten zusammen mit Leo auch das Schwimmbad, was sich aber genau so wie der Trip in die Stadt als absoluter Flop herausstellte.

Offensichtlich war ich jetzt eine Berühmtheit in Deutschland.

Deswegen verlegten wir unsere Schwimmausflüge in den Pool im Garten, machten eine Wasserschlacht – und ich musste meiner kleinen Nichte erklären, wieso immer Menschen auf mich zu kamen, damit ich meinen Namen auf irgendwas draufschrieb. „Kennst du die?", fragte sie immer und es war ziemlich eigenartig, darauf meistens mit Nein antworten zu müssen.

Trust Me - n.h [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt