Kapitel ACHTZEHN

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~ irgendwo auf der Autobahn / 22. Juni 2017 / 0.12 am ~

Draußen war es schon längst Dunkel geworden. Die Rücklichter der anderen Autofahrer strahlten mir ins Gesicht und blendeten mich, wenn ich die Augen öffnete. Wir waren vor einer halben Stunde losgefahren, aus den Lautsprechern dudelte leise das Radio. 

Es war nicht meine Entscheidung gewesen. 

Bis elf Uhr hatten wir am Esstisch gesessen, Dis hervorragenden Nachtisch gegessen und aufmerksam beobachtet, wie ich Niall so gut es ging ignorierte – was gar nicht so einfach war, wie man es sich in einer siebenköpfigen Familie eigentlich vorstellen sollte. Als sich schließlich selbst Leo angeregt mit ihm über einen Film unterhielt, war mir die Luft ausgegangen. 

Das traf es eigentlich ganz gut. Ich saß an einem einfachen Freitagabend mit meiner Familie beim Essen und bekam einfach keine Luft mehr. Ohne ein Wort zu sagen, war ich plötzlich aufgesprungen und hatte eiligen Schrittes den Raum verlassen. Und weil ich wusste, dass früher oder später jemand nach mir würde sehen wollen, schlich ich mich zu meiner kleinen Nichte ins Zimmer.

Verschlafen hatte sie geblinzelt, als ich die Tür einen Spaltbreit geöffnet hatte. „Alles gut", hatte ich geflüstert und war froh, dass es so dunkel war, damit sie mein erbärmliches Lächeln nicht sehen musste.

Sie hatte sich auf die Seite gedreht, als ich mich zu ihr auf die Bettkante gesetzt hatte und zögernd die Hand ausgestreckt. „Soll ich dir eine Geschichte erzählen?", mir schien eine riesengroße Last von den Schultern genommen zu werden, als ihre kleinen Finger sich um meine Hand schloss. „Mama hat mir schon was vorgelesen", sie klang verschlafen, aber auch etwas verwirrt. 

Aber wie kleine Kinder nun mal waren, fragten sie solche Dinge nicht nach. Und deswegen hatte ich mich weiter bei ihr versteckt und ihr die Geschichte von dem kleinen Dorfmädchen erzählt, das immer Pech in ihrem Leben hatte, bis sie eines Tages einen netten jungen Prinzen traf, der ihr bester Freund wurde. 

Selbst als ich merkte, dass sie schon längst eingeschlafen war, erzählte ich weiter. Ich erzählte immer weiter, auch als die knarrende Tür aufging und ich die Silhouette meiner Stiefschwestern erkennen konnte. Sie ließen es mir durchgehen – für etwa fünf bis zehn Minuten. 

Viel zu kurz. 

Dann führten sie mich in mein Zimmer, auf dem bereits mein halb gepackter Koffer auf dem Bett gelegen hatte. Ich fragte nicht nach; wollte es nicht, weil allein der Anblick in Zusammenhang mit der Person, die noch immer unten im Esszimmer saß, mir einen Klumpen im Magen bereitete. Trotzdem redeten sie die ganze Zeit auf mich ein. 

Papa drückte mich zum Abschied; Di küsste meine Wange und Oli klopfte mir so fest auf den Rücken, dass mein ganzer Körper erzitterte. Selbst Lis lächelte aufmunternd und ich glaube, Katie murmelte irgendwas beruhigendes in mein Ohr, dass ich aber nicht genau verstanden hatte.

Während Niall sich von meiner Familie verabschiedete, begleitete Leo mich zu dem dunklen Range Rover, den ich bei meiner Ankunft nicht bemerkt hatte. Wie hatte ich den nicht bemerken können? Ohne Mühe hob mein kleiner Bruder meinen Captain America Koffer in den Kofferraum und schob ihn mindestens drei Mal zurecht, während ich ihm stumm dabei zusah. 

„Es ist das Richtige", erklärte er schließlich leise. Ob er es mehr zu sich selber oder zu mir sagte, konnte ich ehrlich gesagt nicht erkennen. Er schob die Hände in die Hosentasche und schaute mich mit gerunzelter Stirn an.

„Du bist nicht du selbst." Das war jedoch eindeutig an mich gerichtet. 

Ich versuchte es mit einem verkniffenen Lächeln. „Ein Snickers hätte auch gereicht." Ein schwacher Scherz, zugegeben. Aber was sollte ich auch dazu sagen? Wahrscheinlich hätte ich damit rechnen sollen, dass meine Familie, mein „Es ist doch alles gut"-Schauspiel durchblicken würde. Immerhin waren sie meine Familie. 

Trust Me - n.h [beendet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt