Kapitel 27

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MICHAELS SICHT:

Schweigend sitze ich am Esstisch und stochere lustlos in meinem Essen herum, dabei versuche ich ein lachendes Gesicht aus dem Gemüse auf meinem Teller zu machen. Leider sieht es aber eher wie eine traurige Grimasse aus.

Auch meine Mutter sitzt zusammengesunken vor ihrem Teller und schiebt sich das Essen mechanisch in den Mund. Nur Jonathan sitzt gut gelaunt am Tisch und isst ganz stolz sein Essen. Beim nächsten mal sollte meine Mutter Rattengift in sein Essen schütten.

Er hat auch allen Grund zur Freude. Es läuft so oder so immer nach seinem Plan. Weder meine Mutter noch ich tun etwas dagegen. So war es schon immer bei uns zu Hause. Jonathan hat den Ton angegeben und meine Mutter hat nie etwas dagegen gesagt. Auch ich habe mich nie gegen meinen Vater gestellt.

Wie auch? Er hätte mir liebend gern eine reingehauen, wenn ich nur den Mund aufgemacht hätte, um zu protestieren oder mit ihm zu diskutieren.

Mittlerweile hat sich meine Wut aber so zusammen gestaut, dass ICH ihm am liebsten einmal schlagen will. Jonathan denkt, dass er alles bekommen kann und alles machen kann, was er will. Er denkt, dass er unser Oberhaupt ist und wir allem zustimmen, was er sagt.

Plötzlich steht mein Vater auf und schiebt seinen leeren Teller von sich. " Ich muss noch mal kurz ins Büro. Heute Abend zum Essen bin ich wieder da, Familie." Daraufhin küsst er die Wange meiner Mutter und zerzaust mir mein Haar. Auch nachdem Jonathan die Tür leise hinter sich geschlossen hat, sitzen meine Mutter und ich schweigend am Tisch.

So ist es schon die ganze Zeit. Im einvernehmlichen Einklang haben wir Jonathan soweit es geht versucht aus dem Weg zu gehen. Schon traurig, wenn ihm das nicht mal auffällt.

Ich weiß, dass meine Mutter genauso schlecht über Jonathan denkt wie ich. Aber sie ist ihm viel zu unterworfen, um auch nur einen kleinen Finger gegen ihn zu erheben. Das muss aufhören! Wir beide sind total unzufrieden mit dieser Situation.

"Mama?", frage ich sie. Erschrocken zuckt sie zusammen und fegt dabei fast ihren Teller vom Tisch runter. Blitzschnell bekomme ich ihn an der Kante zu fassen, bevor allzu viel auf dem Boden landet. Die paar Erbsen, die doch vom Teller gerollt sind, hebe ich gleich auf.

"Ich muss noch den Tisch aufräumen", murmelt sie mit leeren Augen und sammelt Jonathans und ihr eigenes Geschirr auf. Hektisch rennt sie in die Küche. Bevor ich überhaupt auf den Beinen stehe, hört man schon das Wasser laufen und das Klimpern von Geschirr.

So schnell wie möglich sammle ich meine Sachen ein und betrete mit schlimmen Vorahnungen unsere Küche.

Die sich daraufhin auch bestätigen.

Meine Mutter rennt von einem Ort zum anderen und kann nicht länger als 5 Sekunden an einer Stelle bleiben. Dabei erledigt sie so viele Aufgaben gleichzeitig wie möglich. Zuerst waschen, dann sortieren, dann wieder waschen, dann einräumen, dann trocknen, dann waschen...

"Mama", schreie ich, nachdem sie ein Glas zum fünften Mal gewaschen hat und es jetzt bestimmt heller glänzt als aus jeder Spülmittelwerbung.

"Muss noch saubere Wäsche bügeln". Noch ein Gemurmel ihrerseits und sie stürzt wieder aus dem Zimmer ohne ihre Aufgaben in der Küche zu Ende zu bringen. Ich raufe mir verzweifelt die Haare und renne ihr schnell hinterher, nachdem ich wenigstens den Wasserhahn zu gemacht habe.

In unserer Abstellkammer finde ich sie schließlich, wie sie alle möglichen Sachen durcheinanderbringt. Viele der Weihnachtsdekoration steht neben den Fleischkonserven, während die Sommerdekoration teilweise auf dem Boden liegt.

"Mama", schreie ich verzweifelt und packe sie an den Schultern, damit sie endlich stehen bleibt. Kurz schaut sie mich mit großen Augen an, bevor sie wie wild anfängt herum zu zappeln, weil sie sich bewegen will. Aber ich ergreife nur fester ihre Schulter und hindere sie so gut ich kann vor dem erneuten Weglaufen.

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