''Bruder?'', frage ich ungläubig und schaue meine Mutter mit großen Augen an. ''Also ist er mein Onkel?'' Bei meinem entsetzen Gesichtsausdruck, verfliegt das Lächeln auf Ma's Gesicht und sie zieht ihren Arm von meiner Schulter weg, um sich zu mir zu drehen.
''Ist das so schlimm für dich, Michi?'' Ihr Blick huscht kurz unsicher zu ihrem angeblichen Bruder, bevor sie ihn dann auf mich fixiert. Ich wiederrum schaue die ganze Zeit zwischen meiner Mutter und ihm hin und her. Dabei versuche ich irgendwelche Gemeinsamkeiten zu erkennen, aber nichts deutet daraufhin, dass er ein entfernter Verwandter ist.
''Nein, das nicht.'', sage ich und fixiere nun auch meine Mutter. Bei meinen Worten hört sie auf, ihre Hände besorgt zu kneten und lässt sie schlapp herunterfallen. ''Aber...'', beginne ich und sehe, dass sie nun ihre Arme vor der Brust verschränkt, als wollte sie sich vor meinen nächsten Worten schützen.
''... ich traue ihm nicht. Wer sagt, ob er wirklich mit uns verwandt ist?'' Er glaubt doch nicht im Ernst, dass wir so naiv sind? Aber so wie ich meine Mutter kenne, ist sie ihm um den Hals gefallen, nachdem er nur die Wörter Bruder gesagt hat.
''Ich glaube, ich stelle mich erstmal vor. Hallo, Michelle. Ich bin Stefan und es würde mich sehr freuen, wenn du mir eine Chance gibst dir alles zu erklären.'' Bei diesen Worten sehen meine Mutter und ich erschrocken zu Stefan. Wir hatten wohl beide seine Anwesenheit kurz vergessen.
Als ich jedoch sein Angebot ablehnen will, erstrahlt das Gesicht meiner Mutter und sie nickt bekräftigend. Ihr zuliebe nicke ich auch und wir setzen uns ins Wohnzimmer, wobei ich darauf achte so weit weg wie möglich von ihm zu sein.
''Ich bin Michelle und würde gerne wissen, wieso du denkst, dass wir verwandt sind.'' Mehr Nettigkeiten bekommt er nicht von mir. Demonstrativ verschränke ich wie vorhin meine Mutter die Arme vor der Brust und schaue ihn erwartungsvoll an.
''Deine Oma war sehr jung, als sie mich bekommen hat. Sie hatte keine andere Möglichkeit und hat mich abgegeben. Ihre Eltern wollten das von ihr, aber auch mein Vater wollte mich nicht haben.'' Kurz schaue ich zu Ma, die auch zu mir schaut. Bei ihr war es fast genauso abgelaufen.
''Mit 18 habe ich den Namen deiner Oma erfahren den Rest musste ich selbst herausfinden. Vorher durften sie mir das nicht sagen. Durch das Internet konnte ich ihren alten Wohnort finden, aber ihre früheren Freundinnen haben mir dann erzählt, dass sie schon lange nicht mehr dort wohnt. Für mich war es schon fast hoffnungslos sie zu finden, weil keiner wusste, wo sie hingezogen ist.'' Niedergeschlagen sackt Stefan in sich zusammen und in mir keimt ein Funken Mitleid auf. Schnell unterdrücke ich dieses. Wieso sollte ich ihm glauben.
Meine Mutter, die sich so nah wie möglich zu ihm gesetzt hat, legt ihm eine Hand auf den Arm. Doch er reagiert nicht auf ihre Geste, sondern seufzt sehr tief, bis er mich plötzlich wieder anschaut.
''Erst durch ihre Todesanzeige habe ich sie gefunden, aber leider zu spät. Auf die Beerdigung zu gehen habe ich mich nicht getraut und auch ihr Grab konnte ich nicht besuchen. Ich hätte einfach mehr nach ihr suchen sollen.'' Wütend ballt er nun die Hände zu Fäusten. Oma's Tod war für alle eine schwere Belastung. Auch für mich, obwohl ich erst zehn war und eigentlich nicht ganz verstanden habe, wohin Oma geht.
Ich war ein sehr naives Kind.
''Ich wusste damals nicht, dass ich eine Schwester geschweige denn eine Nichte habe. Viele Jahre war es mir auch egal. Ich war so wütend und enttäuscht von mir und wollte einfach nur eine Familie. Bis...
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''Er meinte, sein Kumpel hätte uns gefunden. Irgendein Hacker oder so.'' Schulterzuckend beiße ich wieder von meinem Brot ab, von dem mal wieder nur noch die Hälfte da ist. Den Übeltäter auf meiner linken Seite brauche ich gar nicht erst anzusehen, so laut schmatzt er.
''Glaubst du ihm denn?'', fragt Ann. Auch Michael hat mein Brot zuende gegessen und schaut mich nun gespannt an. Da wir heute als einzigstes Nachmittagsuntericht haben, sitzen nur noch wir drei und ein paar andere Schüler in der Cafeteria. Meine ach so tollen Freundinnen schicken uns die ganze Zeit Bilder ihrer neu gewonnenen Freizeit, während wir in der Schule hocken. Wie ich sie doch liebe.
''Keine Ahnung. Ist doch jetzt egal. Wir müssen zum Sportunterricht.'' Bevor einer der beiden noch etwas sagen kann, stehe ich auf und gehe schonmal vor. Denn es stimmt. Ich weiß es wirklich nicht, ob ich ihm vertrauen kann oder nicht.
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Ich kralle mich noch fester an Michaels T-shirt und warte nur auf das Startsignal. Wieso muss man auch immer so blöde Spiele machen? Wenigstens ist die Stunde gleich vorbei.
''Du wirst mich nie im Leben fest halten können. Du bist viel zu schwach.'' Michael grinst mich über die Schulter an, schaut aber direkt wieder nach vorne, als ich ihn warnend in die Seite kneife.
Nochmal korrigiere ich meine Haltung. Meine Füße parallel zu den Schultern und fest in den Boden gepresst und meine Hände an den Seiten von Michael gekrallt, dabei aber die Arme weit von mir wegschieben, damit mir Michael nicht die Schulter ausrenkt.
Denn er hat Recht. Niemals werde ich ihn beim Rennen festhalten können.
Ein Pfiff ertönt und Michael rennt los. So gut es geht, stemme ich mich gegen ihn und presse die Fersen in den Sporthallenboden. Aber es hilft alles nichts. Geschlagen lasse ich meine Hände von seinem T-shirt los und sehe zu, wie er den Rest in einem ordentlichem Tempo zurücklegt.
Jetzt hilft nur noch beten, dass die Klingel ertönt, bevor ich dran bin. Aber nichts da. Kurze Zeit später stehe ich nun vor Michael mit zitternden Knien. Michael legt ganz locker seine Hände auf meine Hüften und streicht beruhigend mit dem Daumen auf und ab.
Allerdings macht das die Situation nur noch angespannter. Ich stehe wie auf heißen Kohlen und wünschte mir seine Hände würden endlich von mir ablassen.
Wieder ertönt ein Pfiff und ich renne los. Weit komme ich aber nicht, denn Michael hält mich fast schon schmerzhaft fest. Ich schiebe und drücke mich vorwärts, aber er ist einfach zu stark.
''Gewonnen. Jetzt schuldest du mir ein Essen.'', sagt Michael und lehnt sich an mich, nachdem ich aufgehört habe mich zu bewegen. Blöde männliche Muskelkraft.
''Du isst doch eh immer bei mir mit. Außerdem haben wir nicht gewettet.'' Lachend entferne ich mich von ihm (endlich bekomme ich wieder Luft) und steuere den Ausgang an, da es vor wenigen Sekunden geklingelt hat. Endlich nach Hause! Nachmittagsuntericht sollte echt verboten werden. Nicht mal die Lehrer haben noch Lust mit uns unterricht zu machen, aber die bekommen wenigstens Geld dafür.
Wozu darüber nachdenken, wenn es sich sowieso nicht ändern wird? Sollten das überhaupt Gedanken einer 17-jährigen in der Sportumkleide sein?
Bevor ich mir selber noch weitere philosophische Fragen stellen kann, öffne ich eine Nachricht auf meinem Handy, das ich gerade aus der Tasche genommen habe.
AmericanPudding: Heute habe ich keine Zeit, aber wie wäre es mit morgen?
Ich: Schlecht, bin auf einer Party von meiner besten Freundin genötigt worden.
AmericanPudding: Schade, aber ich wünsche dir viel Spaß! ♥♥
Keine Ahnung wieso, aber plötzlich bekomme ich so ein komisches Bauchflatern, das mich fast dazu veranlässt die Party sausen zu lassen und mich mit AmericanPudding zu treffen. Wäre da nicht besagte beste Freundin, die mir den Kopf abhacken würde.
Sorry für die Pause, aber jetzt kommt jeden Donnerstag ein Update!
Was haltet ihr von Stefan, Michelle's neuem Onkel?
Hat sich Michelle etwa in AmericanPudding verliebt?
Eure spokeswoman
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Masterdisaster
Ficção AdolescenteSo hat sich die gerade erst gewordene 17-jährige ihren Geburtstag nicht vorgestellt: Zuerst küsst der Macho der Schule sie, wobei sie fast umkommt und dann kommt auch noch so ein da her gelaufener Typ zu ihr und wirft ihr komische Blicke zu. Doch Mi...