Kapitel 31

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"Also, Michelle, erzähl mir wie das ganze angefangen hat."

Trotz meiner lautstarke Proteste hat mir mein Vater schließlich doch einen Termin bei einer Psychologin geholt. Nach seiner Meinung die Beste von allen. Als würde das meine Meinung über eine Therapie ändern. Ich brauche sie immer noch nicht. Schon bei unserem letzten Treffen habe ich kaum zwei Wörter gesagt.

"Fragen Sie doch meinen Beschützer." Mittlerweile ist meine Geduld zu Ende. Immer wieder hat sie mir Fragen über mein Leben gestellt. Auch wenn ich kein Wort gesagt habe, hat sie weiter nachgebohrt. Diesmal jedoch ist Michael mit von der Partie und sieht sich die Gegenstände, Bilder und Diplome in diesem Raum an. Er hat nicht mal versucht sich eine Ausrede einfallen zu lassen, sondern hat mir einfach gesagt, dass er mitkommt. Sehr originell.

Als er seinen neuen Spitznamen für sich hört, blickt er auf und zuckt die Schultern. "Ich glaube der Beschützer lässt Michi hier den Vortritt."

Schmunzelnd schüttele ich den Kopf. Sobald ich bemerke, dass Miss Johnson, meine Therapeutin, mich mit einem kleinen Lächeln anstarrt, vergeht mein Grinsen und ich lehne mich mit versteinerter Miene nach hinten.

"Ach, komm schon, Michi. Stell dir vor, du würdest es nur mir erzählen. Wie früher auf der Bank neben der Schule." Zweifelnd schaue ich ihn an. "Doch, das klappt. Schließ deine Augen und denk an die Bank."

Ich werfe einen kurzen Blick zu Miss Johnson, die beschäftigt in ihrem Notizbuch herum kritzelt, aber ich weiß genau dass sie jedes kleine Wort von unserem Gespräch hört. Michael wirft mir nur ein ermutigendes Lächeln zu und setzt sich auf die Kante des Schreibtisches, der etwas verloren in diesem Raum voller gemütlicher Sofas, Liegen und Sesseln wirkt.

So ähnlich fühle ich mich auch. Eine unpassende Antiquität zwischen perfekten gebrauchten Möbelstücken.

Ergeben schließe ich die Augen und denke an unsere Bank. Sie war zwar ein bisschen versteckt hinter Büschen, so dass uns vorbeilaufenden Passanten nie gesehen haben und es war etwas kühler, da es auf den Winter zu gegangen ist, aber trotzdem war es unser liebstes Versteck. Die Bank sah total alt aus. Man hat lauter Gebrauchsspuren und den ein oder anderen Spruch auf dem Balken gefunden.

"Wie geht es dir so, Michi?" Durch die versteckte Lage der Bank hatte ich das Gefühl, als ob wir die einzigen Menschen auf der Welt waren. Die geschlossenen Augen und die Erinnerung an unsere Bank hatten den gleichen Effekt.

"Ich fühle mich total beschissen."

"Kann ich mir vorstellen. Unsere Nicht - Eltern waren nicht gerade ehrlich zu uns. Ich schnaube und öffne unwillkürlich die Augen, um ihn anzusehen.

"Nicht ehrlich ist noch viel zu harmlos für das, was sie uns angetan haben." Ich beuge mich verschwörerisch zu ihm runter.

"Sie haben uns unser ganzes Leben lang belogen du hast keine biologischen Eltern und dein... mein richtiger Vater wollte mich nicht und hat mich einfach an eine fremde Familie abgegeben. Alles nur weil ihm sein Geld und sein Ruf wichtiger sind als sein weibliches Kind. Mit jedem Wort bin ich lauter geworden, aber statt vor mir zusammen zu zucken, starrt mir Michael weiter mutig in die Augen.

Um mich ein bisschen zu beruhigen, atme ich tief ein und aus. "Wenn meine Eltern mich geliebt hätten, dann hätten sie es mir gesagt. Sie hätten wissen müssen, dass ich mich trotzdem für sie entschieden hätte. Tränen treten mir in die Augen, aber ich rede trotzdem weiter. Jetzt wo die Sturmflut einmal freigelassen worden ist, kann man sie nicht mehr aufhalten.

"Jetzt kann ich niemanden mehr vertrauen. Jetzt habe ich niemanden mehr. Ich bin ganz allein und ich fühle mich so schmutzig und er war doch mein Freund und dann hat er plötzlich angefangen und es war so schön ihm alles zu erzählen und dann habe ich geweint und geschrien..."

MasterdisasterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt