Vatergefühle

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Kapitel 9:

Kelly war sanft, als sie den Kamm durch die Haare ihrer Herrin zog und dabei eine süße Melodie summte. Es schien Janiyana auch nicht zu beunruhigen, dass die junge Blondine zu der Schere griff und ihre langen dunklen Strähnen an ihrem unterem Rücken abtrennte, um die Länge ihrer Haare angemessen zu machen. Sie zuckte nicht einmal, als Kelly um sie herum trat und ihr einen geraden dichten Pony schnitt, der ihre uralten Augen nur noch betonte.

„Es gefällt Euch sicher", meinte Kelly mit einem Lächeln und hielt Janiyana einen Spiegel vor das Gesicht, den ihre Herrin allerdings sehr viel interessanter fand als das, was sie darin sah. Lange betrachtete sie fast schon verträumt die edlen Schnörkel des schweren Rahmens und blickte dann zu Erik, der wieder in einem Stuhl in der Nähe saß und die beiden Frauen beobachtete. Mittlerweile schien Kelly ihre anfängliche Angst vor Janiyana abgelegt zu haben, aber die mächtige Göttin, die noch immer versuchte die letzten Jahrhunderte Entwicklung aufzuholen, die sie verpasst hatte, war immer noch unglaublich respekteinflößend für die junge Unsterbliche.

„Schlaft ihr eigentlich miteinander?", fragte Janiyana Erik überraschend, der ohne zu zögern antwortete, während Kelly nur mit aufgerissenen Augen dastand und puterrot anlief.

„Nein, ich habe Kelly erschaffen, sie ist meine... Kreatur." Er konnte es sich gerade noch verkneifen sie als sein Kind zu bezeichnen. Kelly selbst aber benannte ihre Beziehung etwas deutlicher.

„Erik hat mich gerettet und ins Leben zurück gebracht als ich schon fast tot war. Er ist mein Held, wie der Vater den ich nie hatte", sprach sie sanft und ehrlich, wobei sie ein bezauberndes und mädchenhaftes Lächeln aufsetzte, das sie noch jünger erscheinen ließ. Sie warf ihm einem liebevollen Blick zu, den Erik mit einem dankbaren Nicken erwiderte.

„Was ist mit deiner sterblichen Familie?", fragte Janiyana und nun erkannte Erik auch den Sinn hinter diesen scheinbar harmlosen Fragen. Janiyana war schon immer sehr pragmatisch gewesen was Beziehungen anging, sie wollte wissen, wem Kellys Treue galt. Nicht, dass die junge Unsterbliche ihr hätte zur Gefahr werden können, aber angesichts des jüngsten Verrats war sie scheinbar vorsichtiger geworden.

„Meine Mutter starb vor ein paar Jahren, Geschwister habe ich nicht und egal wer mein Vater war, er wird mittlerweile auch schon gestorben sein", erklärte sie mit leichter Trauer in der Stimme. Kellys Mutter hatte wohl erst in den letzten Jahren begriffen, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmte und ihre altersloses Erscheinungsbild ohne zu fragen hingenommen. Kelly war es nicht erlaubt zu erklären was sie war, die Existenz der Unsterblichen musste ein Geheimnis bleiben. Und hätte ihre Mutter angefangen Fragen zu stellen, hätte Kelly sie nicht mehr besuchen dürfen. Das schien die alte Frau gespürt zu haben und so hatte ihre unsterbliche Tochter ihr bis zur letzten Minute ihres Lebens beigestanden und war friedlich im hohen Alter gestorben.

„Macht es dich traurig zu wissen, dass alle die du je kanntest lange vor dir sterben werden?"

Janiyanas kalte und absolut berechnende Tonlage war schon fast grausam und sprach für die endlos lange Zeit die sie schon auf den Planeten wandelte. Doch Kelly blieb tapfer bei den Gedanken am ihre Mutter um die sie so lange getrauert hatte.

„Manchmal, ja. Aber ich hatte ja immer Erik, der mich lehrte was wichtig ist und wenn ihr es mir gestattet, würde ich gerne auch nach meiner Pflichtzeit bei euch und Erik bleiben."

Jedem Unsterblichen war es auferlegt mindestens fünfzig Jahre bei seinem Erschaffer zu bleiben und zu tun, was er oder sie ihm befahl. Danach stand es ihm zu, seinen eigenen Wegen zu gehen. Das Dorf das Eriks Männer vor so langer Zeit angegriffen hatten, hatte regelmäßig für Nachwuchs bei Janiyanas Dienerschaft gesorgt, auch wenn mit den Jahren immer mehr freiwillig bei ihr geblieben waren. Erik eingeschlossen.

„Wie lange hast du noch?" fragte Janiyana.

„Sieben Jahre."

Das reichte jetzt.

„Sie genießt mein vollstes Vertrauen und ich würde mich freuen, wenn sie bei mir bleibt", fuhr Erik dazwischen, unwillig diesem Verhör weiter einfach nur zuzusehen. Mag sein, dass Janiyana ihre Gründe dafür hatte, doch Erik fühlte nun einmal, was er fühlte und Kelly war nun einmal das Kind, das er geschworen hatte zu beschützen.

„Das hast du nicht zu entscheiden!", fuhr Janiyana ihn an und sah ihn bei diesem Tadel nicht einmal an. Erik erhob sich vom Stuhl.

„Sie ist mein Geschöpf!"

„Und du das meine", erwiderte sie mit Nachdruck und diesmal bohrten sich ihre grünen Augen in seine und forderten den Gehorsam ein, den er ihr sonst ohne zu zögern zugestanden hätte. Doch Erik wollte mehr für sie sein, als nur ein Befehlsempfänger. Er wusste sehr wohl, dass sie zu mächtig war, um ihr tatsächlich die Stirn zu bieten und vielleicht würde er in den Augen anderer als Chauvinist dastehen, aber er wollte, dass sie ihn als gleichberechtigt betrachtete – ganz davon abgesehen, dass er seit Jahrtausenden keine Befehle mehr von anderen befolgt hatte. Und er würde sich von ihr nicht auf diese Weise erniedrigen lassen.

„Wenn du ihr nicht vertraust, vertraust du auch mir nicht und wenn du mir nicht vertraust, solltest du mich fortschicken, denn ich werde ganz sicher nicht dutzende Male beweisen, dass ich dir treu ergeben bin. Das bin ich, seit Jahrtausenden und zwar ohne dass es dazu Befehle oder Zurechtweisungen bedurft hätte."

Zu seiner Überraschung war Janiyana keineswegs wütend über diese klaren Worte, sondern lächelte zufrieden. Dann schenkte sie dieses Lächeln auch Kelly, der sie ihre Hand entgegenstreckte und darauf wartete, dass die junge Unsterbliche diese ergriff. Kelly gehorchte der stummen Aufforderung geradezu ehrfurchtsvoll.

„Weiß du, was einem Vater ausmacht, Kind?", fragte Janiyana. Kelly schüttelte den Kopf.

„Dass er seine Kinder beschützt, sogar vor Wesen gegen die es unmöglich erscheint. Das zeugt von Mut. Wenn du dir jemals einen Gefährten erwählst, solltest du darauf achten, dass er genau diesen Mut besitzt."

Kelly nickte freudig strahlend und Erik hätte schwören können, dass sie Janiyana genau in diesem Augenblick genauso bezauberte wie ihn damals. Wie es aussieht, kann auch ein so unwirkliches Wesen wie sie Liebe empfinden und das trotz des bitteren Verrats, den sie hatte erfahren müssen. Erik wusste, dass Janiyana nicht aus Stein war, das war sie nie, die Tränen des vergangenen Abends hatten das nur allzu deutlich gemacht. Doch jetzt wusste er auch, dass das Herz seiner Herrin sich nie einen schützenden Panzer aus Eis würde zulegen können um weiteren Verletzungen zu entgehen. Er war es, der dafür sorgen musste, dass es sicher verwahrt wurde. Und nirgendwo war es so sicher wie in seinen Händen.


Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt