Das, was man am meisten liebt

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Kapitel 37

Erik traute seinen Ohren kaum. Wollte dieser lächerliche, kleine Feigling ihm etwa vorschreiben, was er zu tun hatte? Er grinste überheblich, sich voll und ganz der Tatsache bewusst, dass ihn sowieso niemand aufhalten konnte. Das Schwarze Meer in ihm war belustigt, schlug halb aggressive Wellen und plötzlich verspürte er einen unglaublichen Blutdurst.
„Ach... und warum kann ich nicht zu diesem Orakel? Oder irgendein anderer?" Er fragte nicht wirklich, weil ihn die Antwort interessierte. Er wollte nur diese lächerliche Erklärung dazu hören. Das Schwarze Meer pumpte durch seine Adern, sagte ihm ganz deutlich, dass er alles tun konnte und ihn nichts aufhalten würde.
„Weil sie dich ebenso verabscheut wie Yorina und uns. Vielleicht sogar noch mehr. Du bist... anders." Erik sah ihm lange entgegen.
Da war es wieder, das Gefühl, als würde Loki etwas wissen, was er nicht preisgab, als würde er mehr in Erik sehen, als Erik selbst. Wusste er etwas über das Schwarze Meer aus Sternen in seinem Inneren?
Er hätte sich schon oft fragen sollen, was es war, doch er hatte es nie als etwas Besonderes betrachtet. Es war immer da gewesen. Meist als harter Grund, ganz tief in seiner Seele. Unbewegt und matt. Er hatte es nie als etwas anderes wahrgenommen, bis zu dem Moment, als Janiyanas Blut durch seinen Körper floss und diesen dunklen, harten Boden aufgebrochen hatte wie eine Eierschale. Das Meer war aus seinem Schlaf erwacht und wieder eingefroren, als er sie verloren glaubte. Deswegen wusste er auch, dass sie ihm gehörte. Sie wurde ihm geschenkt und hatte ihm Macht gegeben, mehr als ihr je bewusst gewesen war. Er musste sie zurückbekommen, um jeden Preis.
„Was meinst du mit anders?", fragte Erik ernst und diesmal erwartete er eine Antwort. Loki legte den Kopf schräg, betrachtete ihn aufmerksam und log ihn dann an.
„Du bist ein Vampir. Sie duldet niemanden mit unserem Blut in ihrem Tempel." Erik grinste breit. Was für eine lächerliche Ausrede. Entschlossen besah er sich Janiyanas Geschwister einen nach dem anderen und wusste eines mit Sicherheit: Wenn Kronos diese Männer tatsächlich töten wollte, hatten diese das mehr als verdient. Sie waren schwach und feige. Vielleicht war er aber auch einfach nur zu besessen davon, das zurückzubekommen, was er als sein Eigen betrachtete, dass er bereit war, dafür etwas aufs Spiel zu setzen, dessen Auswirkungen er nicht begreifen wollte.
„Tja, zu dumm nur, dass es mir egal ist, wen sie duldet." Mit diesen Worten drehte er sich um und wollte aus dieser absolut sinnlosen Diskussion entfliehen, die ihn nichts als Zeit kosten würde, wenn er länger blieb. Er hatte das erfahren, was er wollte, wusste an wen er sich wenden musste, um zu erfahren wie er an Janiyana herankommen konnte.
„Was willst du tun, Barbar? In den Tempel eindringen und das jetzige Orakel so lange foltern, bis es dir alles sagt, was du wissen willst?", mischte sich Marius ein und blieb wie immer vollkommen unbeeindruckt von Eriks Launen. Und Erik hasste ihn dafür. Dennoch hielt er inne und wandte sich um.
„Wenn es so leicht wäre, Erik, dann wären wir nicht hier, sondern in Delphi und würden es zum Reden bringen, doch leider wissen wir aus Erfahrung, dass es nicht klappt", erklärte Marius weiter und lehnte sich etwas von seinem Sitz nach vorne.
„Als Janiyana das erste Mal verschwand, hatten wir diesen Plan auch. Doch dummerweise ist das Orakel keine Person, sondern eine Art Gabe, die sich einfach einen neuen Körper sucht wenn der alte...beschädigt wird. Und es rächt sich fürchterlich. Schaden gegen Schaden", erklärte Marius und warf Loki einen kurzen Seitenblick zu.
War das der Grund für seine Entstellung? Hatte das Orakel sein Gesicht gespalten, um sich zu rächen? Vor Rache hatte er keine Angst, aber wenn das Orakel nicht an eine Person gebunden war, konnte er es nicht festhalten. Und wenn er es nicht einsperren, nicht foltern und nicht zwingen konnte, dann musste er eben verhandeln.
„Was will das Orakel?" Loki lächelte zu seiner Überraschung, ganz so, als hätte er eine ähnliche Schlussfolgerung gezogen und wandte sein Blick, diesmal nicht heimlich, sondern ganz offen in Kellys Richtung.
„Schönheit."
Marius erhob sich in einer fließenden Umgebung, stellte sich neben Loki und sah ihm direkt in die Augen.
„Wir hatten beschlossen, dass es das nicht wert ist, Loki. Nichts ist es das wert." Doch Loki ließ sich nicht beirren. „Ich erkläre es dir später, Marius, wir haben keine Wahl. Wenn er hingeht, wird ihm das Orakel sagen, was es als Gegenleistung verlangt." Erik wusste das diese kurze Unterhaltung nicht für seine Ohren bestimmt war und auch dass er es dennoch hören musste.
„Das ist dumm", sagte Valentin ebenfalls und sein Blick war bedauernd.
„Was ist dumm?", wollte Erik wissen, er hatte genug von diesen halb Wahrheiten und da anscheinend nur Loki bereit war diese Dummheit zu begehen, um seine Schwester zu retten, ignorierte Erik die andern beiden.
„Du kannst mit dem Orakel verhandeln. Was es am allermeisten begehrt, ist ein Körper, der ihm nicht wegstirbt, der nicht altert, der nicht von Krankheit dahingerafft werden kann. Einen Körper der nicht nur schön, sondern haltbar ist." Als sein Blick wieder zu Kelly schweift, spürte Erik den ängstlichen Ruck, der durch das Band glitt. Sie machte einen Schritt zurück, von Erik weg, als befürchtete sie, dass sie auch ihm plötzlich nicht mehr trauen konnte und es war Memphis dem ein heftiger Fluch in Altägyptisch entfloh, während er nach ihrem Arm griff und sie aus der Reichweite der Männer zog, von denen sie fürchtete verraten zu werden. Und sie schien fest daran zu glauben, dass die Ersten und Erik es tun würden.
Erik ballte die Hände und presste die Zähne zusammen, während er ebenfalls zu Kelly sah. Er hatte sie gerettet, sie erschaffen, sie erzogen.
Sein Kind. Sein schönes, unsterbliches Kind. Dass er würde Opfern müssen, um die Frau zurückzubekommen, die er mehr liebte, als alles andere.

Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt