Warten

2.6K 223 23
                                    

Kapitel 46

Erik war nicht gut im Warten.
Er war nicht geduldig, berechnend und niemand, der ihn je kennengelernt hatte, würde behaupten, dass er überlegt handelte. Wenn man Kelly glauben wollte gab es andere Adjektive, die auf ihn zutrafen: Launisch, starrsinnig, arrogant und aggressiv. Die ersten waren ihm egal und auf letzteres war er stolz. Erik bevorzugte schnelle, effiziente Lösungen wie Gewalt und Krieg, es war leichter seinen Gegner einfach die Beine zu brechen, als zu fragen, wieso er denn wegrannte. Kelly hatte das nie verstanden, es immer als negative Eigenschaften betrachtet aber seine Erfolge hatten ihm recht gegeben.
Ja, Erik hasste es zu warten, aber das bedeutete nicht, dass er nicht geübt darin war. Die Hälfte seiner Existenz hatte aus warten bestanden. In seinem sterblichen Leben hatte er jeden Winter abgewartet um im Sommer wieder mit seinen Männern plündern gehen zu können. Zu Beginn seiner Unsterblichkeit hatte er in einem Kerker gesessen und auf sein Ende gewartet und erst vor kurzen hatte er fast ständig auf neue Informationen gewartet, die ihn zu Janiyana hätten führen können. Warten war Teil seines Lebens und lediglich in den wenigen Jahrzehnten nach seiner Gefangenschaft und den Beginn der ihrer, hatte er nicht warten müssen.
Als er begann sich in blutigen Zweikämpfen in Janiyana Gefolgschaft einen Namen zu machen, hatte er nicht darauf gewartet, dass ihm eine Chance zuflog. Er hatte sie sich selbst geschaffen, genauso wie die Gelegenheiten seine Herrscherin zu Gesicht zu bekommen. Und dabei war er so gut gewesen, dass kein Tag vergangen war, in dem er sie nicht gesehen hatte und er hatte auch nie ein Hehl für sein Interesse an Janiyana gemacht. Es war so auffällig gewesen, wie besessen er von ihr war, dass Männer sterben mussten, die sich ihm in den Weg stellten, um in ihrer Nähe zu sein und so auffällig, dass es selbst durch Janiyanas Ignoranz hindurch gedrungen war.
Mit unendlich vielen Erinnerungen im Kopf betrat Erik das königliche Anwesen, dass ihm einsam und verlassen zu Füßen lag. Es war prunkvoll und majestätisch, war so groß, dass es nie überfüllt wirken würde und mit so viel Luxus ausgestattet, dass nichts ihm das Wasser reichen konnte. Er hatte dieses Haus gebaut, ständig erneuert und renoviert und weiter vergrößert bis es eine wunderschöne Mischung aus fast allen Epochen und Stilrichtungen beherbergte.
Es hatte immer für Lobpreisungen und Komplimente gesorgt und dennoch hatte Erik nie wirklich Gefallen an ihm gefunden. Das hier mag er erbaut haben, aber es war nicht sein Haus. Wie alles andere auch, gehörte es Janiyana, wurde geschaffen und angeschafft um ihr zu gefallen. Das war der einzige Zweck dieses Gebäudes und jetzt war es so leer wie noch nie zuvor.
Ob nun Kelly, Memphis oder andere zeitweilige Wegbegleiter, er war nie wirklich alleine hier gewesen und Janiyana war nicht lange genug geblieben um bleibende Spuren hinterlassen zu können. Das würde sich ändern sobald sie wieder bei ihm war.
Mit einer inneren Unruhe und ständiger Anspannung ließ Erik das Anwesen stiefmütterlich liegen und ging auf das kleine Nebengebäude zu, das als Erstes hier gestanden hatte. Die Mauern waren aus groben Stein, Fenster gab es nicht und als er die Tür aufmachte stand er schon mitten in dem einzigen Raum, den er selbst tatsächlich bewohnte. Vollgestopft mit Regalen von Büchern und einem alten Kamin, beinhaltete es in seinen lausigen zwanzig Quadratmetern alles was er brauchte. Das hier war seien Zuflucht, sein ganz privates Domizil und hier war das Warten so erträglich wie es nur sein könnte. Hier konnte er sich seinen Träumen hingeben, seinen Wünschen und Vorstellungen aber vor allem seinen Erinnerungen.
Er schürte das Feuer im Kamin, setzte sich auf den einzigen Sessel im ganzen Raum warf die Zivilisation von sich ab, indem er erst die Jacke, dann das Shirt auszog, die Stiefel abstreifte und nichts weiter in seiner Nähe behielt als seinen Kriegshammer, der schon seit Jahrzehnten keinen wirklichen Kampf mehr gesehen hatte. Wie gerne er doch genau jetzt in den Krieg gezogen wäre, wie sehr es ihn danach lechzte etwas niederzureißen, etwas zu zerstören. Er wollte Janiyana die Welt zu Füßen legen, ihre Feinde vernichten und sie zu der Königin machen, die sie war. Dieser Planet sollte ihr gehören. Komplett.
Erik schloss die Augen versuchte sich an die Momente von Janiyanas Entführung zu erinnern, als er nicht hatte warten müssen. Poul hatte ihn einmal zu sich zitiert und ihm mit dem Tod gedroht, falls er nicht damit aufhören würde Janiyana anzusehen, als würde sie schon ihm gehören. Er hatte auch versucht seine Drohung wahr zu machen und die Handlanger, die er geschickt hatte in Einzelteilen zurückerhalten.
Und diese Einzelteile hatte Erik Poul während eines rauschenden Festes vor die Füße geworfen. Unter den Augen der anderen hochrangigen Soldaten und Gefolgsleuten und denen von Janiyana. Sie war wunderschön in den Bahnen aus Samt und Seide, die mit Gold bestickt waren und sie hatte tatsächlich ausgesehen wie die Königin der Welt auf diesem Thron aus Elfenbein und so vielen Edelsteinen, dass es sogar ihre Schönheit fast übertrumpft hatte. Die Musiker waren verstummt, niemand hatte es gewagt ein Wort zu sagen oder sich den Barbaren zu nähern, der in verschlissenen, dreckigen und Blut überströmten Klamotten zwischen Vampiren gestanden hatte, die so viel Zivilisierter wirkten als er.
Poul war der Erste gewesen, der wieder etwas sagte und hatte sich vor Janiyana verneigt und Eriks Kopf gefordert. Doch die Königin der Welt hatte nur grausam gelächelt, hatte sich ihren Kelch mit Blut füllen lassen und gesagt:
„Dann hol ihn dir, Poul. Wenn du dazu nicht in der Lage bist, wird er wohl da bleiben müssen wo er ist."
Wenn es auch nur einen Teil seiner Seele gegeben hatte, die Janiyana nicht voll und ganz ergeben gewesen war, so war er es jetzt. Und er hatte sie noch mehr gewollt als zuvor, seine grausame, wunderschöne Königin, für die er die Welt in Brandt stecken würde.
Doch so war sie nicht immer gewesen. Erik runzelte die Stirn, als andere Bilder sich in sein Bewusstsein vordrangen.
Er sah eine junge Janiyana, fast noch ein Kind. Ihre Augen hatten voller Unschuld und Furcht eine Welt erblickt, die er selbst nie gesehen hatte. Sie trug ein Kleid, aus einem undefinierbaren Stoff, in dem sie aussah wie ein Engel und sie kniete. Sie kniete vor einem Altar und ihre Stimme zitterte, als sie in eine ihm unbekannte Sprache eine riesige Frauen Skulptur anflehte.
„Bitte befreie mich von ihm, Mutter. Ich will mich nicht selbst verlieren, keine bloße Hülle sein. Bitte, Mutter. Hilf mir!", betete sie in Richtung einer Gottheit, die sich von ihren Worten nicht erweichen ließ und stumm blieb.
>>Sie will mich nicht. Aber das wird sie noch lernen. Sie gehört mir, kein Flehen wird sie davor bewahren.<<
Erik riss die Augen auf. Das waren nicht seine Gedanken gewesen, sie waren aus dem schwarzem Meer gekommen, das in ihm wohnte und mehr Macht besaß, als es haben sollte. Er blickte hinunter auf seine Handflächen, spürte, wie diese Energie an die Oberfläche trat und wie damals in dem Sturm der Trauer, sich in einem schwarzen Etwas verwandelte hatte, dass alles in sich aufnahm, das alles zerstörte. Ein schwarzes Loch. Klein. Kontrolliert und so mächtig, dass es Welten verschlingen könnte.
Und das hat es getan. Er hatte Welten zerstört, sie niedergetrampelt, sie vernichtet. Das war seine Aufgabe, auch wenn er auf dieser Ebene nicht mehr so viel Macht hatte wie damals. Sie war vor ihm geflohen und er war ihr gefolgt, hatte sich in diesen toten Jungen festgesetzt, um sie zu finden. Um sie zurückzubekommen.
Er war derjenige, den sie alle fürchten mussten. Es gab keinen Erik, hatte es nie gegeben. Nur er ohne Erinnerungen. Er war Kronos.  

Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt