erdrückende Stimmung

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Kapitel 35 

Kelly rutschte näher an Erik heran, als sie sich etwas ängstlich im Raum umsah und sich, neben Memphis und ihrem Ziehvater, auch von Janas drei Brüdern umgeben fand, deren Auren so erdrückend waren, dass es für einen Vampir in ihrem Alter fast unerträglich schien. Sie war mächtige Männer und auch Frauen eigentlich gewöhnt, hatte gelernt mit dem Stein, der auf ihrem Brustkorb zu liegen schien, umzugehen und bemerkte den Druck eigentlich fast gar nicht. Zumindest hatte sie das gedacht.
Sie spürte regelrecht, wie sie erdrückt wurde, wie ihre Gliedmaßen angesichts der Machtaura kraftlos wurden und schaffte es kaum den panischen Ausdruck in ihrem Gesicht zu vertreiben. Sie würde ersticken, sie wusste es einfach.
Instinktiv, so wie es immer war, wenn sie sich in einer Situation wiederfand, aus der sie nicht mehr herauskam, griff sie nach dem Arm ihres Erschaffers, aber sie tat es diesmal nicht körperlich, sondern zog einfach fest an diesen merkwürdigen Pfaden, die sie in ihrem Verstand bemerkte. Sofort schnellten Eriks halb silberne, halb blaue Augen zu ihr und nicht mal eine Sekunde später tropfte eine schwarze Flüssigkeit durch das Band zu ihr hervor. Wie Öl sog es sich an den Faden voll, tropfte in ihren Geist und legte sich wie eine Beschichtung auf ihren Verstand.
Sie besaß keine geistigen Schilde, das hatte sie nie und Erik hatte ihr einmal gesagt, dass manche Vampire nie welche ausbildeten. Doch nun, zum ersten Mal in ihrem Leben, legte sich eine schwarze Kuppel um ihr Innerstes und überdachte alles, was sie als Individuum ausmachte, mit einem wunderschönen Sternenzelt. Sie sollte sich eingeengt fühlen, eingesperrt, aber für ein Wesen, das nie eine geistige Freiheit im eigentlichen Sinne gekannt hatte, weil sie keinerlei Veranlagung von psychischen Kräften besaßen, war es ein sehr angenehmes Gefühl. Ganz so, als würde jemand eine warme Decke über ihr ausbreiten.
Plötzlich waren die Steine auf ihrer Brust verschwunden und sie konnte wieder atmen. Ihr gesamter Körper erhielt seine Kraft zurück und dann drang mehr zu ihr hindurch, als nur Angst. Obwohl die Stimmen wohl schon eine ganze Weile die Luft des Raumes zerfetzten und der Streit der Geschwister mehr als interessant war, nahm sie die Worte erst jetzt wahr.
„... sein wird. Können wir uns also darauf einigen, dass wir aufhören, uns gegenseitig zu verdächtigen?", fragte Loki ziemlich genervt und starrte seinen jüngsten Bruder so gelassen an wie Marius, vor dem Valentin sich aufgebaut hatte. Das überirdisch schöne Gesicht von Valentin, das von diesen blonden, kurzen Haaren eingerahmt worden war, sah nicht halb so entspannt aus, wie es angesichts seines lockeren Outfits hätte aussehen sollen.
Er trug einen langen Mantel, der seine nackte Brust und eine viel zu tief sitzende leichte Seidenhose preisgab, als wäre er gerade aus dem Bett gekommen. Und das sicher nicht alleine. Seine blasse, aber mit einem leichten Goldton überzogene Haut, war mit kleinen Bissspuren und blauen Flecken übersät, die immer entstanden, wenn Vampire untereinander – und offensichtlich auch mit den Ersten – Sex hatten. Er war schlank, mit sehnigen Muskeln eines Läufers und mit so feinen Gesichtszügen, dass man ihn mit ein wenig Makeup und anderem Körperbau für ein Mädchen hätte halten können. Er wirkte sehr viel zugänglicher, als seine kalten Brüder und wesentlich temperamentvoller, das machte die Haltung klar, die er gegenüber Marius, dem Ältesten der Brüder, eingenommen hatte.
„Wieso? Das ist doch genau das, was er tun würde, wenn Kronos kurz davor wäre sie zu finden. Sie anketten wie ein Tier, mit Ausrede sie zu beschützen. Das ist genau seine Logik!", entfuhr es Valentin und deutete mit der Hand auf Marius, der mit dunkler, mokkafarbener Haut und schneeweißem, fast silbernem Haar den unglaublichsten Kontrast zur Schau stellte, den Kelly je gesehen hatte. Dieser leugnete es nicht einmal, nahm sich dann einen Kelch und trank einen Schluck der blutroten Flüssigkeit darin.
„Du hast recht, Valentin. Wenn ich die Möglichkeit dazu hätte, würde ich mich in ein kleines Mädchen verwandeln und meine Schwester an einen Ort bringen, wo er sie niemals finden würde. Zu dumm, dass ich es nicht kann. Können wir jetzt weitermachen, da wir nun geklärt haben, dass ich keine geheime Maske trage und in Wahrheit ein zehnjähriges Mädchen mit Haifischzähnen bin? Danke!", erwiderte der älteste der Brüder tief sarkastisch und schenkte seinem jüngsten Geschwisterkind keine Beachtung mehr.
Kelly lehnte sich zu Erik, der Lokis intensiven Seitenblick nicht eine Sekunde losließ, wärend sie ihm ins Ohr flüsterte.
„Wer ist Kronos?", fragte sie und anstatt einer Antwort ihres Erschaffers, vernahm sie Memphis belustigte Stimme hinter sich. Er hatte sich nahe zu ihr herunter gebeugt und seine Lippen streiften fast ihre Ohrmuschel.
„Eine Art Gott, der Janiyana anscheinend zur Frau nehmen will. Er sucht sie und wenn er sie findet, scheint die Hölle loszubrechen, denn die haben alle eine scheiß Angst vor diesem Typen", erklärte dieser und wollte gerade zu weiteren Erklärungen ansetzen, als Loki seine Worte ebenfalls direkt an Kelly wandte und das Blickduell mit ihrem Erschaffer offensichtlich für beendet erklärte.
„Er ist ihr Gefährte, das ist endgültiger, als eure Vorstellung von einer Ehe. Und außerdem ist er das personifizierte Ende aller Tage. Er existiert, um zu zerstören, er ist der Tod in Person. Und ich bin davon überzeugt, dass dieses Mädchen, das Erik gesehen hat, Demeter gewesen ist, die Göttin des Lebens."
Kelly fühlte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, als er sie ansah. Er war ebenso schön wie seine Brüder, nur auf eine zerfurchte und kämpferische Art und Weise. Er sah wild und animalisch aus, fast wie ein Raubtier, mit diesen stechenden grünen Augen und dem dunklen Haar. Zudem zierte ihn eine tiefe Narbe, die sich von der rechten Schläfe über seine Wange, quer über seine Lippen zog und dann an der linken Seite seines Kinns endete. Dennoch hatte er etwas unglaublich Anziehendes an sich, dem sie kaum widerstehen konnte. Kelly hatte immer gerne geflirtet, hatte mit Männer gespielt und die Aufmerksamkeit genossen, die man ihr entgegenbrachte, doch sein offensichtliches Interesse an ihr, machte ihr Angst und erregte sie zugleich.

Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt