Kapitel 36
„Warum sollte Mutter sie entführen? Sie liebt uns, sie hat uns erschaffen", wandte Valentin ein.
„Mutter?", fragte Erik mit hochgezogener Augenbraue und es war Marius, der ihm antwortete.
„Nicht biologisch. Es ist eine Art Titel, sie ist aus unserem Volk aufgestiegen und die Göttin des Lebens. Wir bezeichnen sie als unsere Mutter", erklärte er knapp und lieferte Loki damit einen perfekten Übergang.
„Und unsere Mutter ist eine rachsüchtige Göttin. Sie ist Kronos' natürliche Gegenspielerin, deren Aufgabe es ist, Leben zu erschaffen und das Gleichgewicht zu wahren. Umso mehr Kronos zerstört, umso mehr wird sie erschaffen und umgekehrt. Das ist ihr Schicksal, Janiyanas Geburt könnte dieses Gleichgewicht stören und Yorina dazu bringen, sie aus dem Weg räumen zu wollen, doch sie ist nun einmal die Göttin des Lebens und würde nie einen von uns umbringen. Das kann sie nicht, das widerspricht ihrer Natur."
„Aber das ergibt auch keinen Sinn", wandte Marius ein, „wenn Janiyana das Gleichgewicht stören würde, hätte sie ihre Geburt verhindern können. Nur durch ihr Zutun entsteht Leben. Zumindest soweit wir wissen."
Kelly verstand schnell, dass Yorina eine andere Bezeichnung für diese Göttin Demeter sein musste und fragte sich, wie Erik dabei so ruhig bleiben konnte, wenn die Brüder über einen Ehemann für Janiyana redeten. Sein Interesse an ihr war mehr als offenkundig, doch noch weniger verstand sie die skeptischen Seitenblicke der Brüder, wenn sie Erik ansahen. Sonst legten die Ersten eine natürliche Herablassung an den Tag, doch Marius beantwortete seine Fragen bereitwillig, als wäre er einer von ihnen, während Valentin sich nicht einmal traute seinem Blick lange stand zu halten und Loki....
Kelly konnte es nicht ändern, dass sie seine Reaktion am intensivsten beobachtete. Er sah Erik so merkwürdig an. Respekt, Angst, Befürchtungen, das alles lag in seinen grünen Augen, wenn er Erik anblickte. Als erwartete er, dass ihr Erschaffer in jedem Moment ausrasten könnte. Und auch Kelly war bewusst, dass Erik sich verändert hatte.
Alleine die Art und Weise wie er trauerte....
Das war nicht normal gewesen, es war unheimlich und zerstörerisch. Etwas stimmte nicht mit ihm, doch abgesehen von diesen Kräften hatte sie nichts Verdächtiges entdecken können. Erik war Erik. Er benahm sich wie immer.
„Ihr seid nicht hilfreich", verkündete Erik und schnitt damit jedem der Brüder so frech das Wort ab, als wären sie ungezogene Kinder. Seine Stimme klang frustriert und brummig. Er hatte schlechte Laune.
„Sagt mir nicht, was wir nicht wissen. Wo ist Janiyana, wie kann ich sie finden? Oder sagt mit zumindest, wo ich meine Antworten bekommen kann."
Schweigen. Ein langes gedehntes Schweigen, das Eriks Zorn nur noch verstärkte und seine Augen wieder silbern werden ließ, denn das hier war kein unwissendes Schweigen. Es war ein geheimniskrämerisches und das spürte Erik sofort. Mit einer fast beiläufigen Bewegung trat er gegen den Couchtisch vor ihm, der an Valentin vorbei gegen die Wand flog und dem jüngsten damit ein ängstliches Zusammenzucken entlockte.
„Ich frage nicht noch einmal", knurrte Erik bedrohlich und Kelly hatte keine Ahnung woher diese Macht kam, die er ausstrahlte, aber weder ihr noch Memphis entging, dass er das gefährlichste Wesen in diesem Raum war. Er, ein erschaffener Vampir, versprühte weitaus mehr Mach, als diese Ersten. Sie rückte ein Stück von ihm ab. Verwirrt und nicht dazu in der Lage einzuordnen, was hier gerade passierte.
„Wir zögern nicht, weil wir es dir nicht sagen wollen, Erik, aber du könntest damit einen Krieg auslösen. Einen Krieg der Götter", meinte Loki, der als einziger etwas kooperativ erschien. Erik knurrte wieder.
„Ist mir egal. Sag es schon!" Wieder ein kurzes Schweigen, dann:
„Das Orakel von Delphi. Sie ist das, was auf dieser Ebene einem Gott gleich kommt. Wenn Yorina hier ist, wird sie es wissen, aber sie wird es uns nicht verraten", sagte Loki nur und sein Blick wurde tatsächlich bedauernd. Erik musste nicht weiter fragen. Marius, der sich ebenfalls dazu entschieden zu haben schien, Eriks Willen zu erfüllen, erklärte die Umstände.
„Yorina, hat nicht alle Ebenen erschaffen. Ihre Macht ist ihr verliehen worden, es gab bereits andere Götter vor ihr, die diese Position innehatten. Diese Ebene hier ist älter als Yorina, ihre Macht hier dürfte nur begrenzt sein und damit ist sie hier eigentlich keine Göttin, sondern eine fremde Macht, die hier nichts zu suchen hat. Genauso wenig wie wir. Das Orakel scheint ein Wesen kurz vor dem Aufstieg zu sein." Loki lenkte ein.
„Kurz: Sie kann uns nicht leiden, empfindet uns als Eindringlinge. Sobald sie aufsteigt, hätte sie theoretisch die Macht, uns in den Hintern zu treten. Wir dürfen es uns mit ihr nicht verscherzen, wenn wir weiterhin hier bleiben wollen. Abgesehen davon will keiner von uns auf einer Ebene mit zwei launischen Göttern sein, die sich bekriegen. Wenn sie weiß, dass Yorina hier ist, besteht zwar die Chance, dass sie auch weiß, wo unsere Schwester steckt, aber das könnte sie ebenfalls auf eine Spur bringen und sie könnte uns für Yorinas Erscheinen verantwortlich machen."
Eriks Grinsen wurde breit und unglaublich unheimlich. So unheimlich, dass Kelly sich erhob, ein Schritt zurück machte, mit dem Rücken gegen Memphis stieß und froh war, dass der ihr beruhigend zwei Hände auf die Schultern legte, um ihr Halt zu geben.
„Ihr seid schon ein erbärmlicher Haufen. Ihr habt Angst, versteckt euch, geht Konflikten aus dem Weg. Eines Tages werdet ihr alle vernichtet werden, weil ihr euch in ein Loch verkriecht und jemand vor dem Eingang Feuer legt. Wo ist dieses Orakel?"
„Delphi", entwischte es Kelly, die sich im nächsten Moment schon die Hand vor den Mund hielt. Sie hatte nicht vorgehabt, sich in dieses Gespräch einzumischen. Plötzlich lagen alle Blick auf ihr.
Und auf Memphis, der sie berührte, was Erik mit einem bitterbösen Blick auf Kellys Schultern quittierte und den ehemaligen Pharao dazu brachte, den Körperkontakt zu unterbrechen. Während Lokis Blick ihr Gesicht gefangen hielt und er ebenso wütend wirkte. Über ihre Störung? Sie wusste es nicht. Aber sie räusperte sich und hoffte, dass sie recht hatte, Erik war alt, aber er hatte kein Interesse an Geschichte. Er hatte sich immer nur für die Suche nach Janiyana interessiert.
„In einem Tempel in Griechenland, sofern sie da ist, wo die Legenden es sagen."
Loki nickte, riss seinen Blick von Kelly los und bestätigte damit die Richtigkeit.
„Ja, da ist sie, aber wir können nicht mit gehen und du auch nicht, Erik."
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Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1
VampiroVor Jahrhunderten wurde sie verraten, vor Jahrhunderten wurde sie eingesperrt. Er blieb ihr als einziger treu und hatte nie aufgehört, seiner grausamen und blutrünstigen Herrin mit Leib und Seele zu dienen. Denn trotz ihrer Taten besitzt Janiyana ei...