Verlorene Zeit

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Kapitel 49:

Janiyana träumte. Sie träumte von kalten zugigen Winden, die um ihr Gesicht spielten, von klaren Sternenhimmeln und das Brennen der Sonne am Tage. Sie vermisste das Rauschen der Wellen und das Säuseln der Blätter, aber vor allem vermisste sie die ein paar tiefblauer Augen, die auf sie herunterblickten und sie ansahen, als hätten sie das Recht dazu sie anzusehen. Eriks Unverschämtheiten waren nicht nur nervig gewesen, sondern auch schmeichelnd. Seine wilde Entschlossenheit, sie für sich zu gewinnen, sie zu der Seinen zu machen war so unerschütterlich gewesen, wie es nun einmal seine Natur zu sein schien. Ein unbeugsamer Berg, der nicht eine Sekunde lang zurückwich, selbst wenn der schlimmste Orkan aller Zeiten, die Welt um ihn herum zerstörte. Dafür hatte sie ihn bewundert.
Irgendwie. Nicht nur, manchmal hatte sie ihm dafür den Kopf abreißen wollen, doch in jedem Wunsch in zu töten, hatte immer eine feine Unternote mitgeschwungen, in der sie sich angezogen gefühlt hatte. Und nun? Nun war sie hier.
Janiyana hatte längst jedes Zeitgefühl verloren und da die Sonnen wie festgenagelt am Horizont standen und diese Welt so unbewegt erschien, wie ein Gemälde, hatte sie auch kein Anhaltspunkt dafür, wie lange das noch so gehen würde. Sie wusste nur eines: Es wurde von Minute zu Minute unerträglicher. Ihre Sinne waren abgeschnitten. Sie hörte nichts, sie sah immer das Gleiche und es fühlte sich unbewegt an. Selbst der Staub in der Luft schmeckte einsilbig und von ihren mentalen Fähigkeiten nahm sie gar nichts mehr wahr. Es war schlimmer als jede Folter, als jedes Gefängnis, dass sie sich hätte vorstellen können und sie war einzig und alleine hier um als Köder für ein Wesen zu dienen, der sie zu seiner Sklavin machen wollte.
Deswegen konnte sie nicht mal das Ende dieser Gefangenschaft herbeisehnen, was es schwer machte, nicht sofort jede Hoffnung zu verlieren. Sie würde wahnsinnig werden. Das wusste sie einfach. Langsam verschwamm der kalte Stein unter ihrem Körper, ihre Muskeln weigerten sich, ihr zu gehorchen, als ihr Verstand bemerkte, wie Armselig es war hier einfach herumzuliegen. Doch was sollte sie sonst noch tun? Sie kam hier nicht weg, war der Verzweiflung nahe und hatte nur eines, an das sie sich klammern konnte: Ihre Erinnerungen.
Diese kurzen zerbrechlichen Momente, die sie mit Erik geteilt hatte. Von den unsittlichen Berührungen, bis zu seinen aufgezwungenen Küssen, die mehr in ihr ausgelöst hatten, als sie je zugegeben hätte. Sie stellte sich sein Gesicht vor. Die gemeißelten, scharfen Gesichtszüge, die immer Wut, Trotz oder eine Mischung aus beiden abbildeten. Sein dunkles Haar, die tiefliegenden blauen Augen, die sich immer Silber verfärbten, wenn er starken Emotionen ausgesetzt war. Einzigartig. Wie diese Symbole auf seinen Körper. Sie hatte schon bei ihrer ersten Begegnung eine krankhafte Faszination dafür entwickelt. In der rauen Landschaft aus Eis, Kälte und Blut, war er ein Raubtier gewesen. Die Symbole seines Volkes hatten seinen Muskel-überzogenen Körper bedeckt wie eine zweite Haut.
Janiyana hätte ihn wahrscheinlich tatsächlich dazu gezwungen, sie wieder erneuern zu lassen, sofern er ihr diesen Wunsch nicht sofort von selbst erfüllt hätte. Er war ihr schließlich immer treu ergeben gewesen und das würde er auch weiterhin. Ihr Herz zog sich schmerzvoll zusammen, als sie an die Jahrhunderte dachte, die Erik sie das erste Mal gesucht hatte und die er jetzt auch wieder nach ihr suchen würde. Er würde nicht aufgeben. Niemals und er würde in dem Wissen sterben, dass er versagt hatte. Dieses stolze Wesen zerbrochen zu sehen, ließ auch etwas in ihr brechen und sie wünschte sich plötzlich wieder zu Hause zu sein. Nicht für sich selbst. Für ihn.
„Wir hätten so viel zusammen haben können, wenn du nicht weggelaufen wärst", ertönte seine tiefe maskuline Stimme, die in ihrem Körper ein Schauer auslöste. Janiyana öffnete die Augen und sah ihn neben sich. Erik.
Er trug eine abgewetzte Jeans und ein T-Shirt, das seine breiten Schultern und jeden fein definierten Muskel seines Körpers betonte. Er war ein Riese, selbst jetzt wo er neben ihr Hockte. Doch seine Augen waren fast vollständig Silber. Sie vermisste das Blau und war plötzlich wütend auf sich selbst. Nicht einmal in ihren eigenen Wahnvorstellungen konnte er so sein wie sie es gerne hätte. Doch wenn sie ehrlich war, machte ihn das nur realer. Sie hatte ihn nie kontrollieren können.
"Ich hatte Angst", erwiderte sie mit einem spröden Lächeln auf den Lippen. Unter anderen Umständen würde sie das nie zugeben. Auch Erik gegenüber nicht, aber was hatte sie hier schon zu verlieren? Er war nur eine Einbildung. Der Beweis, dass sie das hier unmöglich unbeschadet überstehen konnte. Selbst in dem Labyrinth war es ihr nicht so schlecht gegangen wie hier. Diese Empfindungslosigkeit kratzte an ihrer geistigen Gesundheit und auch wenn Erik gerade der Beweis dafür war, wie nahe sie dem Wahnsinn bereits kam, sie wollte ihn nicht verlieren.
Er beugte sich zu ihr herunter, blickte mit diesen monströsen, silbernen Augen zu ihr herab. Sie wünschte sich, sie wären blau. Blau wie der Himmel in dieser Welt, die ihr mehr Heimat war als ihre eigene.
"Vor mir?", fragte er weiter und als seine Finger wie Schmetterlingsflügel über ihr Gesicht strichen, wusste sie, dass sie träumte. Erik war kein sanfter Mann, er begehrte sie mit einer Zügellosigkeit, die niemals zärtlich sein konnte. Als wurde ihr Wahnsinn diesen Fehler bemerken, griff Erik nach ihrem Kinn und zog es etwas nach oben um seine Lippen über die ihre gleiten zu lassen. Das Gefühl war so real, dass es Janiyana kurz verzweifeln ließ, aber vielleicht fühlte es sich nur real an, weil sie sonst gar nichts empfand abgesehen von der drückenden Last ihrer eigenen Hilflosigkeit.
"Vor dem was du in mir auslöst. Vor dem was Kronos dir antun könnte. Ich will dich nicht verlieren."
Noch so etwas was sie niemals freiwillig zugeben würde. Eriks Lächeln wurde düster und er hob sein Gesicht wieder etwas an, was ihr gar nicht in den Kram passte. Es fühlte sich doch so richtig an.
"Hast du jemals daran gedacht, dass ich das gar nicht in dir auslösen dürfte, wenn ich nicht dein Gefährte bin?"
Eine Frage die sie ihr Unterbewusstsein schon seit dem ersten Moment stellte: wie war es möglich, wenn er doch nicht ihr Gefährte war? Das Schicksal machte keine Fehler.
"Tausendmal."
"Und zu welcher Schlussfolgerungen bist du gekommen?"
Janiyana zögerte. Da gab es etwas, einen Verdacht, eine Gewissheit, eine blasphemischer Gedanke.
"Das du mein Gefährte bist, das Kronos sich irrt, das alle sich irren und dass, das Schicksal einen Fehler gemacht hat."
Seine Augen verwandelten sich in etwas Dunkles, in etwas das alles verschlingen konnte.
"Das Schicksal macht keine Fehler, Geliebte. Du gehörst mir."
Und dann küsste er sie.  


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Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt