Spiel der Götter

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 Kapitel 34
Janiyana wich einen Schritt zurück. Kronos! Sie hatte vor, Kronos' Position einzunehmen. Das Leben wollte zum Tod werden. Anfang zu Ende. Demeter zu Hades. Sie wusste nicht, warum die Vorstellung sie so schockierte. Sie hasste Kronos und alles was er tat, aber sie war nicht wirklich auf ihn wütend. Kronos war, was er eben war, es lag in seiner Natur zu zerstören, zu beenden. Vielleicht schreckte es sie so ab, weil es so... unnatürlich war. So wahnsinnig, so absolut falsch.
Alles in ihrem Inneren zog sich bei der Vorstellung zusammen, das Leben könnte zum Tod werden und plötzlich hatte sie das wage Gefühl, dass eine solche Machtverschiebung absolut ALLES beenden könnte. Wenn Yorina zum Ende wurde, auf einem so unnatürlichen Weg, würde es kein Gleichgewicht mehr geben. Keine neuen Ebenen, nur noch das Erlöschen der jetzt bestehenden. Das wäre das wahrhafte Ende.
„Das ist unmöglich. Das Schicksal sorgt für Gleichgewicht. Wenn du einen anderen Platz einnimmst, wird jemand dir nachfolgen und könnte dich auf dieselbe Weise wie du Kronos beraubt hast, ebenfalls berauben. Nach einem solchen Tabubruch ist das keine gottesähnliche Position mehr. Nur noch ein verdammter Wanderpokal. Du müsstest schon gleichzeitig verhindern, dass jemand aufsteigen kann und..." Janiyana hielt inne und wurde sich erst jetzt darüber bewusst, wie recht sie mit ihren eigenen Worten hatte.
Yorina würde ihre Herrschaft sichern müssen, verhindern, dass irgendwer aufsteigen konnte und genau das hatte sie getan, indem sie zugelassen hatte, dass ihr eigenes Volk vernichtet wurde. Sie hatte Konkurrenz beseitigt. Allerdings nicht alle. Sie und ihre Brüder existierten noch und das Leben, Demeter, konnte angeblich immer nur weiblich sein. Denn nur Frauen brachten Leben zur Welt.
„Bist du hier, um mich zu töten?", fragte Janiyana gerade heraus. Yorina lachte.
„Nein, Kind. Es gibt andere Völker, die aufsteigen können. Dich zu töten wäre zwar erheiternd, aber nicht sinnvoll. Um die Konkurrenz mache ich mir Gedanken, wenn meine jetzige Position frei geworden ist. Einen Schritt nach dem anderen. Erst einmal muss ich Kronos loswerden und dabei wirst du mir helfen."
Janiyana ließ auch diese Worte erst mal sacken. Sie hatte bestätigt, dass sie nicht zulassen würde, dass jemand wieder zu Demeter aufsteigen konnte und das beunruhigte sie sehr. Es war so absolut falsch und so zerstörerisch, dass es den Kreislauf aus Erschaffung und Zerstörung vernichten könnte. Wenn das passierte, war Yorina tatsächlich eine Göttin, eine Göttin über ein großes, dunkles Nichts. Und genau das wollte sie.
„Ich kann mich nicht in seiner Nähe aufhalten, sobald ich das tue, werden mir alle Instinkte befehlen, ihn zu meinem Gefährten zu nehmen. Ich kann ihn dann nicht mehr betrügen. Ich bin nutzlos. Ich kann dir nur helfen, wenn ich bleibe, wo ich vor deiner Entführung noch war: weit weg von ihm."
Yorina zeigte wieder ihre Haifischzähne und kicherte, die Melancholie war aus ihren Augen verschwunden und ein boshafter Glanz nahm seinen Platz ein.
„Du glaubst, du bist ihm entkommen, als hätte er dich noch nicht gefunden? Du bist blind, Janiyana. Du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie die Menschen es so schön ausdrücken. Ich habe dich in dieses Labyrinth gesteckt, um dich vor ihm zu verstecken und heute Nacht war er dir so nahe, wie noch nie zuvor. Tut mir leid, dass ich dein Techtelmechtel unterbrechen musste, aber ich konnte nicht zulassen, dass du mir meinen Plan versaust. Also ich hoffe dir gefällt diese Erinnerung, denn du wirst hierbleiben. Für immer."
Und dann war sie auch schon verschwunden. Janiyana wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu sagen, doch dann war neben ihr nichts mehr. Kurz stand sie einfach da. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, der Staub setzte sich auf ihrer Haut fest, an den Stellen mit der goldenen Bemalung schneller als auf dem Rest, was den Ornamenten einen einzigartigen Schimmer verlieh. Sie war hier gefangen, das wusste sie und sie war selbst dafür verantwortlich. Sie hatte sich auf Erik eingelassen, Kronos damit angelockt und Yorina zum Handeln gezwungen. Warum es für Yorina so wichtig war, dass Kronos sie nicht fand, verstand sie zwar nicht, aber es konnte ihr auch egal sein.
Sie erinnerte sich an die Einsamkeit des Labyrinthes. Wäre die Zeit da nicht so viel langsamer verlaufen, als im Rest der Ebene, hätte sie da tatsächlich Jahrtausende festgesteckt, dann wäre sie verrückt geworden und hätte irgendwann, in all ihrer Verzweiflung, nach ihrem Gefährten gerufen.
Das konnte sie, das hatte sie immer gekonnt und doch nie getan. Irgendwo in ihrer Seele war etwas, was sie mit Kronos verband und wenn sie nur tief genug grub, dann würde sie ihn herholen können. Zumindest war es damals im Labyrinth so gewesen... aber hier? Sie war nicht wirklich an einem Ort, das hier war eine Erinnerung, ein Trugbild, eine Welt mit eigenen Regeln. So anders.
Nun war sie hier gefangen und dieses hier fühlte sich merkwürdig an, weil es nicht wirklich real war. Ihre Sinne konnten keinen Raum ertasten, sie fühlte sich bewegungsunfähig, vollkommen abgeschnitten von der Außenwelt. Im Labyrinth war das nicht so schlimm gewesen, ab und zu hatten sich Sterbliche zu ihr hin verirrt und ihr das Gefühl gegeben, noch Teil von etwas zu sein. Nun war alles fort. Ihre Fähigkeiten, ihr Sinn für Raum und Zeit...
Es war furchtbar und sie wusste nicht einmal, ob sie an einem solchen Ort nach Kronos würde rufen können, wenn sie so verzweifelt war, dass die Konsequenzen nicht mehr all zu tragisch erschienen... So sehr sie es verabscheuen würde, so sehr ihr Leben damit zerstört sein würde: Er war ihre letzte Reißleine gewesen. Die nun wahrscheinlich auch fehlte. Vielleicht.
Benommen sank sie auf ihre Knie und blickte in den von Staub verhüllten Abgrund. Das hier war schlimmer als alles ,was ihr hätte passieren können. Das wurde ihr in dieser Sekunde klar und sie weinte. Um sich selbst, um ihre Brüder, um das absolute Ende, das bei Yorinas Erfolg kommen würde und um Erik.
Erik.
Sie musste darauf vertrauen, dass er sie erneut fand und musste stark genug sein, um dem Drang zu widerstehen, nach Kronos zu rufen. Nicht nur, weil sie die Konsequenzen fürchtete, sondern weil sie sich selbst nicht der Hoffnung berauben wollte, hier doch noch herauszukommen. Wenn sie am Ende ihrer Kräfte war, am Ende aller Hoffnung und dann feststellen würde, dass sie auch Kronos nicht erreichen konnte... dann würde sie hier zugrunde gehen.
Erik.
Vielleicht hatte sie ihn geliebt, aber was spielten ihre Gefühle noch für eine Rolle, wenn sie doch alle verloren waren? Auf die eine oder andere Weise. Sie schloss kurz die Augen, bemerkte schmerzvoll die verkrüppelte Verbindung zu ihm und rief sich in Erinnerung, wie schön dieser Wikinger gewesen war, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
Unbeugsam, wild und rau, wie es nur ein Mann sein konnte, der von einem zerfurchten Planeten zu Welt gebracht worden war. Sie hätte sich so sehr gewünscht, diese Muster wieder auf seiner Haut zu sehen. Diese ursprünglichen Markierungen, die seinen gesamten Körper bedeckt hatten und jetzt nur noch einen blassen Schimmer darstellten. Knoten und Sterne, Linien und simple Abbildungen von seinen Göttern. Odin und Thor, Freya und Loki.
Kurz lächelte Janiyana bei der Erinnerung, weshalb ihr Bruder Loki, der tatsächlich ihr Zwilling war, dem Gott des Schabernacks und der Böswilligkeit seinen Namen geliehen hatte. Es war Janiyanas Schuld gewesen, sie hatte ihn verspotten wollen. Es war einer der unzähligen Scherze gewesen, die sie und er sich gegenseitig zugefügt hatten, ohne wirklich Schaden anzurichten. Loki. Sie hatte ihn so lange nicht mehr gesehen... und jetzt da sie wusste, dass ihre Brüder sie nie verraten hatten, vermisste sie sie alle.
Und Erik.
Obwohl es nicht möglich sein sollte, da sie nur für Kronos solche Gefühle hätte aufbringen können – das war eine biologische Tatsache – war es am schmerzvollsten ihn zu verlieren. Erik. Ihren Wikinger. Der einzige Mann, der sie wirklich wahrhaftig liebte.

Verlorene Zeit - Dark Immortals Bd.1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt