Acht Beine

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Überraschend gut gelaunt steckte Saphir die Hände in die eingenähten Taschen ihres Umhangs.
Gleich nachdem Dumbledore ihr die Schuluniform gegeben hatte, hatte sie die Nadel zur Hand genommen und Änderungen vor genommen. Jetzt war zwar die Uniform unter dem Umhang unversehrt, aber der Umhang besaß nun eine große Kapuze und die genannten Taschen. Ihre Schultasche, ebenfalls von Dumbledore geliehen, klemmte unter ihrem Arm und sie schlenderte in die große Halle. Die Slytherins wussten nicht so recht, wie sie mit der Neuen umgehen sollten und sahen immer wieder zu Riddle, der die Maske des netten, hilfsbereiten Vertrauensschüler trug und in alle Richtungen grüßte.
„Miss Dumbledore!"
Einige sahen sich um, doch nur die Angesprochene fand den Rufenden sofort. Ein Mann mit roten Wuschelhaaren, falsch geknöpftem Hemd und schiefer, roter Krawatte kam auf die Frau zu. Die Slytherins sahen sofort gehässiger und überheblicher als zuvor aus.
Aha, dachte Saphir, ein Gryffindor!
Das sagte aber auch die rote Krawatte. Und die roten, unverwechselbaren Haare. Der Weasley kam neben ihr zum Halten und reichte ihr die Hand. „Meine Name ist..."
Saphir unterbrach ihn mit einem spöttischen, allerdings doch echtem Lächeln. „Mr. Charles Weasley."
Verwundert zog Weasley die Augenbraue hoch und nahm die ausgestreckte Hand, als Saphir ihn mit einer Handbewegung zum Weiterreden aufforderte.
„Ähm... Sie sind mit Professor Dumbledore verwandt."
Oh man! Eindeutig ein Weasley!
Zu falschen Momenten aufmerksam und schlau, aber das Offensichtliche mussten sie immer noch einmal selber aussprechen. Saphir vermisste Fred und George Weasley.
Eine Augenbraue hob sich und sie gab einen seltsamen Quitschlaut von sich. „Ja", seufzte sie und sah fast schon mitleidig zu dem Mann hoch. Sie waren stehen geblieben und zogen eine Menge Aufmerksamkeit auf sich. Vor allem Riddles Blick brannte sich in ihren Hinterkopf. Weasley schien nicht weiter zu wissen und Saphir schnaubte durch die Nase. „Wollen Sie mir noch etwas sagen?" fragte sie überdeutlich nach. Doch Weasley hörte sie offenbar gar nicht mehr, sondern blickte einem Mädchen vom Ravenclawtisch hinterher. Saphir musste grinsen. Dann gab sie ihm einen kleinen Schups in ihre Richtung. Überrascht starrte Weasley sie an und Saphir wandte sich mit einem leichten Lächeln und einem Augenverdrehen ihrem Tisch zu.
Typisch Weasley!
Die Slytherins starrten Saphir an, als hätte sie eine tödliche Krankheit und diese blieb für ein paar Sekunden am Tisch stehen. Sie schien zu überlegen. Dann schnappte sie sich einen Toast mit Marmelade, schob ihn sich zwischen die Zähne, winkte ihren Mitschülern lässig zu und hüpfte regelrecht wieder aus der Halle. Das Eingangstor stand offen und die Welt da draußen schien Saphir regelrecht magisch anzuziehen. Mit einem mächtigen Seitensprung schoss Saphir aus dem Schülerstrom und flitzte aus dem Schloss. Mit einem lebensfreudigen Lächeln sprintete sie los und rannte strahlend über die Wiese auf den verbotenen Wald zu. Kurz bevor sie von den Bäumen verschluckt werden konnte, stellte sie Dumbledores Tasche unter eine Wurzel ab, drehte sich noch einmal zum Schloss um und verschwand dann in den Schatten des Waldes.

Riddle saß schlecht gelaunt im Klassenzimmer für Verwandlung und zwang sich zum Zuhören. Seine Gedanken schweiften jedoch immer wieder zu der Nichte des Lehrers, dem er eigentlich zuhören sollte, ab. Sie war nach ihrem Frühstück aus Toast und Marmelade einfach verschwunden. Nicht im Unterricht erschienen, seit der ersten Stunde und Riddle kochte innerlich bereits vor Wut. Er wollte sie würgen, bis sie genauso blau war, wie ihre verdammten Haare. Schon lange hatte er nicht mehr solch eine Mordlust verspürt. Er musste nur an den gestrigen Abend denken und seine Zauberstabhand zuckte.
Die Schulglocke kündigte das Ende der Stunde an und die Schüler machten sich gemächlich auf den Weg zur großen Halle. Riddle wurde sofort von seinen Bewunderern und Freunden umgeben. Während er so freundlich und nett den Vertrauensschüler spielte, dachte er darüber nach, was er bei Saphir Dumbledore falsch gemacht hatte. Sie hatte sein freundliches Gehabe sofort durchschaut und ihn sogar lächelnd verspottet.
Er klickte sich aus dem Gespräch aus und zusammen wollten die Slytherins die Halle betreten. Da wurde Riddle fast von den Füßen gerissen. Überrascht drehten sich alle Schüler in der Eingangshalle um. Saphir Dumbledore, mit einer Tasche in der einen Hand und mit der anderen an der Nase, hatte ihn gerammt und drehte sich jetzt kurz zu ihm um. Ihre Entschuldigung war unverständlich und deshalb deutete sie eine leichte Verbeugung an. Doch Riddle starrte nur auf ihre Hand, unter der Blut hervortropfte. Jetzt, wo er sie genauer betrachtete, fiel ihm auf, dass sie eindeutig einiges ab bekommen hatte. Ihre Haare waren zerzaust und Strähnen hatten sich aus dem Fischgrätenzopf gelöst, die ihr wild ins Gesicht hingen. In ihr zerkratztes Gesicht. Sie sah aus, als hätte man sie mit einem Tannenzweig verprügelt. Und nicht nur ihr Gesicht. Jeder freie Zentimeter nackter Haut sah so aus. Ihr Umhang war an einer Schulter gerissen, sodass der graue Pullover darunter zu sehen war. Das einzige, was unversehrt war, war ihre verdammte Tasche. Wer hatte ihr das angetan? Wer hatte es gewagt, zu verletzen, was er noch nicht angefasst hatte?
Sie winkte kurz und wollte die Stufen der Marmortreppe hoch hüpfen, doch Riddle war schneller. Er packte das Mädchen an den Schultern und unter den Knien und sprintete mit ihr auf den Armen die Treppe hoch. Wenn er sich dieses Mädchen vor nahm, sollte sie bei Kräften sein, sonst könnte sie sich nicht so verzweifelt wehren. Wehren und dann trotzdem verlieren. Dumbledore sah ihn überrascht an, konnte sich jedoch nicht befreien, da eine Hand die Schultasche hielt und die andere versuchte das Nasenbluten zu stoppen. Sie versuchte etwas zu sagen, fluchte dann jedoch nur undamenhaft und ließ sich in den Krankenflügel tragen.
Wenn sie wüsste, was Riddle am liebsten mit ihr machen würde!
Der Fluch, den er ihr seit dem Moment, seit sie den Mund auf gemacht hatte, auf den Hals hetzen wollte, war wirklich wirkungsvoll und hinterließ keine sichtbaren Spuren. Der Cruciatus-Fluch würde ihrem Vergehen gerecht werden!
Madam Pomfrey, eine sehr junge Madam Pomfrey, sprang beim Anblick der beiden Schüler auf. „Ach du meine Güte, was ist denn nur passiert?"
„Wenn ich das nur wüsste...", zischte Riddle und hievte Dumbledore auf eines der Krankenbetten. Obwohl die junge Frau viel zierlicher war, als man anhand der Uniform annahm, war sie doch weitaus schwerer. Das konnte nur an antrainierter Muskelmasse liegen.
Dumbledore öffnete den Mund, dabei riss ihre blutige Lippe auf und anstatt einer Erklärung kam eine Welle an unschicklichen Flüchen aus ihrem Mund, die Madam Pomfrey blass werden ließen. Endlich nahm sie die Hand von der Nase und betrachtete ihren fleckigen Pullover. „Verfickte Scheiße!" knurrte sie und seufzte dann genervt. Die Blutung hatte gestoppt. Riddle sah das Mädchen mit hoch gezogenen Augenbrauen an. Was ein seltsames Geschöpf!
„Mädchen, was ist denn mit Ihnen passiert?"
Dumbledores angeschlagene Nase hob sich leicht und sie schien zu überlegen, ob sie darauf jetzt wirklich antworten sollte. „Wenn ich Ihnen das jetzt erzähle", sie zögerte kurz. „Dann muss ich wahrscheinlich den Rest des Jahres nachsitzen und darauf bin ich nicht wirklich aus."
Madam Pomfrey musste lächeln. „Ach herrje", seufzte die Krankenschwester und reichte Dumbledore ein Glas mit lachsfarbener Flüssigkeit. Diesmal seufzte die junge Frau und goss sich das Gebräu in die Kehle. Gleich darauf machte sie Würggeräusche und gab Madam Pomfrey das Glas zurück. „Schmeckt nach Koboldpisse, aber wahrscheinlich werde ich jetzt trotzdem Stammgast", grinste Dumbledore etwas verkniffen. Riddle war sprachlos.
Diese Frau machte ihn sprachlos! Machte ihn sprachlos vor Wut!
Sie hüpfte vom Bett und zischte, als sich ihre Wunden langsam schlossen. „Vielen Dank, Madam Pomfrey", lachte das Mädchen und Riddles Augenbrauen schossen fast bis zum Haaransatz hoch. Dieses Lachen war echt und in ihren Augen erwachte ein warmer, heller Funke, den er zuvor noch nie gesehen hatte!
Als er sich gemeinsam mit Miss Dumbledore zum Mittagessen auf machte, hüpfte sie neben ihm her und wirkte einfach nur gut gelaunt. Aber je näher sie der Halle kamen, desto mehr wurde ihr Gesicht verschlossen und ihre Schritte federten nicht mehr.
Auf der Treppe hielt Riddle es nicht mehr aus. Er packte sie am Arm und riss sie zu sich herum. „Wo haben Sie sich herum getrieben, Miss Dumbledore?"
Ein zynisches Lächeln war die einzige Reaktion auf seine Frage.
„Wenn Sie mir nicht antworten, sehe ich mich gezwungen, unserem Hauslehrer von diesem Vorfall zu unterrichten."
Elegant sprang Dumbledore die letzten Stufen hinab und sah grinsend zu Riddle hoch. „Wenn Sie darauf wirklich bestehen, werden Sie während Ihres letzten Schuljahrs nicht viel anderes mehr machen können."
Riddle klappte vor Empörung der Kinnladen runter. Was nahm sich dieses Weibsbild heraus? Er würde sie nach allen Arten der Kunst vernichten!
„Aber wenn es Sie beruhigt, ich habe mit einer Riesenspinne Fangen gespielt, was verdammt noch mal nicht einfach ist. Das Drecksvieh hatte acht Beine." Mit diesen Worten ließ sie ihn einfach stehen. Oder wollte ihn stehen lassen.
Mit einem riesigen Satz war er bei ihr und stieß sie gegen die Wand neben der Tür der großen Halle. „Du warst im verbotenen Wald?" knurrte er und hatte sie unbewusst geduzt. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Vorsichtig, Riddle! Sonst sieht noch jemand dein wahres Gesicht", zischte sie giftig und mit einer schnellen Bewegung wich Riddle zurück. Seine eine Hand war in seiner Hosentasche verschwunden. Dumbledore deutete auf seine nicht sichtbare Hand. „Es würde dir nicht wirklich weiterhelfen, wenn du mich jetzt tötest. Es wird dir nur Ärger einbringen."
Langsam löste Riddle die verkrampfte Hand um seinen Zauberstab.
Er wollte dieses verdammte Miststück umbringen!
Und sie schien es sogar zu wissen.
Das sagten ihm ihre Augen. Kein Lächeln oder Grinsen zupfte an ihrem Mundwinkel. Sie war todernst und trotzdem fühlte er sich verspottet.
Von ihr!
„Wer bist du?" knurrte er und versuchte sich zu beruhigen. Jetzt lächelte die junge Frau wieder. Ihr Kopf neigte sich zur Seite. Blaue Haarsträhnen fielen ihr über die Augen. Violette Augen. Erst jetzt erkannte Riddle die Farbe wirklich. Er hatte zuerst geglaubt ihre Augen wären dunkelblau, doch sie waren Violett. Leuchteten regelrecht und in diesen Augen lag ein Wissen, dass Riddle fast zum Zurückweichen brachte. Ihm Unmengen an Respekt einflößten.
„Ich bin Saphir!"

Times Gryffindor & Slytherins ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt