Kapitel 17

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MONSTER - Kapitel 17 -

Leise zog Namjoon die Gardinen ein Stück beiseite, um einen Blick auf das Wetter werfen zu können. Als er einen der Vorhänge leicht öffnete, blinzelte er müde gegen das Licht des beginnenden Vormittags. Die grauen Wolken hingen tief und hüllten die Stadt in ein unbarmherzig fahles Licht. Der Regen machte den Ausblick kaum einladender und die Lichter der anderen Gebäude spiegelten sich auf den nassen Hauswänden und Dächern. Er fröstelte leicht, offensichtlich waren die Temperaturen noch mehr gesunken. Eine Weile blicke er nachdenklich auf den trostlosen Anblick, bis er vorsichtig über seine Schulter blickte. Durch den offenen Spalt der Gardinen fiel nur ein einzelner Lichtstrahl in das Zimmer und direkt auf Seokjins schlafendes Gesicht. Namjoon beobachtete ihn eine Weile und lauschte seinem ruhigen Atem. Sein Gesicht wirkte völlig entspannt und so vollkommen unschuldig. Er fragte sich, wie ein Mensch überhaupt auf die Idee kommen könnte, ihm irgendwas anzutun. Eingeschlossen ihm selbst. Jedoch hatte Seokjins unglaublich naive Ausstrahlung eine derart heftige Auswirkung auf ihn gehabt, dass sie mit seinem Ego einfach so heftig kollidiert war. Er hatte permanent das Bedürfnis gehabt, ihn irgendwie herauszufordern und zu provozieren. Er hatte einfach nicht glauben können, dass ein Mensch so derart unschuldig und devot sein konnte. Namjoon irrte sich nicht häufig, aber was Seokjin anbelangte, schien er einfach in so vielen Hinsichten falsch gelegen zu haben. Anders als er selbst war Seokjin niemand, der sich verstellte oder sich versteckte. Was ihn wahrscheinlich nicht zum ersten Mal in seinem Leben zu einem leichten Opfer hatte werden lassen. Unfreiwillig erinnerte er sich an Yesungs Worte, die ihm seit jenem Nachmittag im Krankenhaus ziemlich schwer im Magen lagen. Er fragte sich, wie viele heimliche Verehrer Seokjin wohl noch hatte. Er konnte es Yesung irgendwie nicht mal übel nehmen, das er ihm offensichtlich so verfallen war. Seokjin war etwas Besonderes, gerade weil er einfach so er selbst war. Immer freundlich und hilfsbereit, intelligent und ziemlich hart arbeitend. Seokjin war das perfekte Vorbild, ließ sich nichts zu Schulden kommen und hatte auch kein Interesse daran, sich aus Langeweile in irgendwelche Schwierigkeiten zu bringen. Nicht umsonst hätte er sonst den Posten als Schulsprecher bekommen und er hatte mehrfach mitbekommen, das viele Schüler sehr positiv über ihn gesprochen hatten. Vielleicht war er anfangs ein wenig neidisch gewesen, denn Namjoon war eine solche Aufmerksamkeit normalerweise von seiner Person gewohnt und er wollte sich ungern diesen Posten von jemand streitig machen, der nicht nur älter als er war, sondern auch einfach ein viel besserer Mensch als er. Dieses hübsche Gesicht und der absolut anständige Charakter hatten ihn ziemlich herausgefordert und wirkten fast wie eine Provokation. Andererseits hatte er von Anfang an alles über ihn wissen wollen, weil er so derart perfekt war. Und hatte er geglaubt, er hätte den ‚Fehler' an ihm gefunden, als er ziemlich schnell vermutet hatte, das Seokjin zwar ein Frauenschwarm war, aber keinerlei Interesse an ihnen zu haben schien. Hatte sich über ihn lustig gemacht und ihn schikaniert und ihn mit seiner eigenen Arroganz und überspielter Unsicherheit verdorben. Und er hatte ihn direkt in die Arme von einem Geistesgestörten getrieben, der Seokjin nun offensichtlich als eine Art Spielball zwischen ihnen ansah. Namjoon fragte sich, wieso Yesung nie den Mut aufgebracht hatte, Seokjin nach einem Date oder Ähnlichem zu fragen, wenn er offensichtlich so heftige Gefühle für ihn hegte und ihm bewusst war, das Seokjin wahrscheinlich mit keinem Mädchen ausgehen würde. Aber er konnte sich schnell denken, das Yesung seinen Ruf wahrscheinlich auch nicht verlieren wollte und ebenfalls Probleme mit einem viel zu überspitzten Selbstbewusstsein und Selbsteinschätzung hatte, so wie er selbst. In gewissen Dingen waren sie sich wahrscheinlich ziemlich ähnlich. Und er musste sich eingestehen, das die Vorstellung Seokjin mit einem anderen Jungen zu sehen ihn auf komische Art und Weise ziemlich nervös machte. Allerdings war Yesungs krankhafte Eifersucht etwas, mit dem er sich nicht identifizieren konnte. Und vor allem hätte er niemals Seokjin dafür benutzt, einem möglichen Rivalen Schaden zu zufügen. Der Gedanke schmerzte ihn, das er fast nur noch wie eine leblose Spielfigur wirkte, die in einem heftigen Machtkampf ihren hübschen Kopf hinhalten musste. Namjoon schluckte heftig gegen den Kloß in seinem Hals. Er mochte sich einfach nicht ausmalen, was Seokjin alles wiederfahren sein musste. Wie er gelitten haben musste und es noch immer tat. Letzte Nacht hatte er ihn so angsterfüllt angesehen, dass es ihm schmerzhaft das Herz zusammen zog. Seokjin schien offensichtlich ziemlich stark zu verdrängen. Und er hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn in seinem fragilen Zustand von eventuellen Geschehnissen in Kenntnis zu setzen. Er mochte ihn einfach nicht noch weiter verletzten, auch wenn es vielleicht nicht der richtige Weg war, denn irgendwann musste er seine Erinnerungen aufarbeiten. Seokjin hatte diese Verzweiflung in seinen Augen gehabt und es war fast so, als hätte er durch ihn durch gesehen. Er fragte sich, wie Yesung es über sich gebracht hatte, ihn so sehr zu verletzen und ihn für seine Spielchen so zu missbrauchen, wenn Seokjin ihn wahrscheinlich mit dem selben Blick angesehen hatte. Namjoon stand inzwischen neben dem Bett und beugte sich über ihn. Vorsichtig strich er ihm das wirre Haar von der Stirn und betrachtete gedankenverloren sein Gesicht, welches so sanft von dem Licht von den Fenstern her beleuchtet wurde. Yesung hatte gesagt, das er vor allem ein Keil zwischen sie treiben wollte und Namjoon befürchtete, das er genau dies geschafft hatte. Er wollte ihm so sehr helfen, doch er wusste nicht mal mehr, wo er ansetzten sollte oder was er sagen sollte. Nicht einmal entschuldigen konnte er sich. Er wusste nicht mal wohin mit seinen Händen und wollte ihm keinesfalls irgendwie zu nahe treten oder ihn gar berühren. Er hatte Angst, Seokjin könnte unter seinen Händen einfach zerbrechen oder ihm entgleiten. Und Seokjin war so furchtbar reserviert und ängstlich, selbst jedes kleinste Geräusch ließ ihn zusammen zucken. Wie sollte er einem so furchtbar fragilen Menschen helfen und wie sollte er jemals die richtigen Worte finden, ihm das alles richtig zu erklären. Wie könnte Seokjin ihn danach nicht hassen? Namjoon ließ seine Finger vorsichtig über einige kleinere, schon fast verheilter Wunden in seinem Gesicht gleiten und stieß einen tonlosen Seufzer der Verzweiflung aus. Yesung hatte tatsächlich mit seinem Verhalten Mitten ins Schwarze getroffen. Er hatte genau das erreicht, was er abgezielt hatte. Nicht nur, das er sie in seiner Hand hatte, sondern das er ihre ganze Beziehung zueinander nur noch mal unendlich kompliziert hatte. Und ja, die Tatsache, das Yesung ‚Jin gehabt hatte und er nicht', so wie er gesagt hatte, stieß immer wieder einen Dolch heftiger Eifersucht in sein Herz. Er mochte sich zwar nicht ausmalen, was genau passiert war, doch trotzdem rüttelte die Tatsache heftig an seinem seltsamen Besitzanspruch, den er ihm gegenüber empfand. Und doch konnte er rein gar nichts dagegen tun, er wollte nicht, dass noch mal jemand zu Schaden kommen würde.

MONSTER - the creatures we love pt. 1 | BTS NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt