Kapitel 52

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MONSTER – Kapitel 52 –

Die Dielen des alten Holzparketts ächzten unter seinen Schritten, als Seokjin gedankenverloren durch die staubigen Regale des kleinen Ladens wanderte.
Dabei glitt er mit den Fingern über die etlichen, verwitterten Buchrücken zwischen den Regalen und blieb schließlich stehen, als er am Ende der Passage angekommen war. Er neigte den Kopf und beobachtete eine Weile, wie Namjoon so nachdenklich in ein paar der alten Bücher blätterte und wie er mit seinen schlanken Fingern die vergilbten Seiten neugierig umschlug.
Die warmen Strahlen der Sonne, welche durch das Fenster direkt hinter ihm in den Raum fielen, tauchten seine Gestalt in ein fast magisch leuchtendes Licht und der Staub tanzte still um ihn herum.
Lächelnd wand er sich schließlich von dieser Szenerie ab und betrachtete ein paar der anderen kuriosen Gegenstände, welche verteilt in den Auslagen standen. Er drehte an einem alten, verstaubten Globus und warf einen Blick durch ein kleines, goldenes Fernglas, ehe er die Schneekugel entdeckte, welche etwas weiter oben auf einem Turm von alten Büchern thronte. Er musste sich etwas strecken und sich auf die Zehenspitzen stellen, um sie zu erreichen, doch bevor seine Finger den Gegenstand umschließen konnten, fasste ihm ein anderer Arm über die Schulter und schnappte die Kugel vor ihm mühelos von dem Regal herunter.
Verwundert drehte er sich um und erblickte Namjoon direkt hinter sich, welcher kritisch die kleine Schneekugel betrachtete.
„Was soll das sein?", fragte er schon beinahe verächtlich, während er inspizierend in das gewölbte Glas sah.
„Das nennt man Schneekugel", erwiderte Seokjin und konnte sich den genervten Unterton kaum verkneifen.
„Du musst sie schütteln."
Namjoon blickte kurz zu ihm auf, ehe er die Stirn in Falten legte und die Schneekugel schließlich leicht schüttelte, so wie er ihm aufgetragen hatte.
Im Licht der Sonne, welches sich in der gläsernen Wölbung brach, tanzte der aufgewühlte Kunstschnee bedeutsam glitzernd und legte sich anschließend auf die kleinen, goldenen Dächer Stadt, welche am Boden der Kugel stand.
Seokjin konnte sich kaum den überwältigten Ausruf verkneifen, welchen er von sich gab, während er so neugierig das kleine Schauspiel betrachtete.
Namjoon beobachtete ihn dabei die ganze Zeit mit hochgezogenen Augenbrauen, was er erst bemerkte, als er schließlich den Blick von der Kugel lösen konnte.
„Sie ist wunderschön."
„Sie ist unsinniger Schnickschnack.", widersprach dieser ihm sofort und schüttelte erneut die kleine Kugel, um umso kritischer den funkelnden Kunstschnee zu beobachten, ehe er ihn wieder ansah.
„Was versuchst du gerade?", fügte er, nun deutlich misstrauischer, hinzu, als sich ihre Blicke wieder trafen. Seokjin hatte seine Unterlippe vorgeschoben und versuchte überzeugend mit seinen langen Wimpern zu klimpern.
Namjoon legte sich offensichtlich peinlich berührt eine Hand ins Gesicht, doch ihm entging nicht das kleine Schmunzeln auf seinen Lippen.
„Versuchst du gerade ernsthaft, mich zu überreden, sie dir zu kaufen?"
Seokjin zuckte unschuldig mit den Schultern und drehte sich von ihm weg, um so zu tun, als wäre er plötzlich furchtbar interessiert an einem Atlas von Achtzehnhundertsechsundneunzig.
„Ich weiß nicht, wovon du redest.", provozierte er weiter mit einem kleinen Schmollmund und fuhr mit einem Fingern über die Buchstaben auf dem großen, alten Buchcover vor sich, doch Namjoon hatte sich bereits mit einem genervten Aufstöhnen davonbewegt und war irgendwo zwischen den staubigen Regalen verschwunden.
Er wusste nicht, was genau er jetzt tat, ob er sich wieder interessiert den alten Büchern zuwandte, oder einfach nur genervt von ihm war, doch er legte sich den Handrücken an die Lippen, um sein leises Kichern in dem stillen Laden zu unterdrücken.
Schließlich beschloss er, hinaus zu gehen, um an der frischen Luft auf ihn zu warten und er steckte zufrieden seufzend die Hände in seine Manteltaschen, während er neugierig ein paar kreischende Möwen beobachtete, die über seinem Kopf kreisten.
Die kalte Seeluft fuhr angenehm kühl durch sein Haar und sie roch salzig und füllte seine Lungen mit erholsamer Wohltat.
Die Abenddämmerung lag bereits über der kleinen Strandpromenade und die meiste Zeit waren sie zwischen den verschneiten Dünen spazieren gewesen, oder hatten Kaffee und Kuchen in einem der kleinen Cafés genossen, welche eine herrliche Aussicht auf das schimmernde, blaugrüne Meer hatten.
Sie hatten einige, seichte Konversationen genossen, die erschreckend unverfangen gewesen waren und häufig in einem Schweigen geendet hatten, in welchem sie sich plötzlich innig in die Augen sahen. Es war absolut vertraut, als hätte er dies schon einmal erlebt und er wünschte sich, er könnte einfach die Zeit anhalten und diesen Moment für immer festhalten. Ihn immer und immer wieder erleben und all die Sorgen einfach ausblenden, welche so ungemütlich in seinem Unterbewusstsein wüteten.
Doch wenn Namjoon in einem Gespräch so euphorisch wurde und seine Augen sich interessiert weiteten, wenn er ihm eine Frage zu einem Thema stellte, dann konnte er sich vollkommen in jenem Moment verlieren. In ihren Gesprächen und in Namjoons überschwänglich breiten Lächeln, mit den kleinen Grübchen in seinen Wangen.
Als das Ladenglöckchen hinter ihm leise klimperte und ankündigte, dass sich die Tür geöffnet hatte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und er nahm den Blick von dem rosafarbenen Himmel, um auf Namjoon zu blicken, der sich gerade seine Mütze über das blonde Haar zog.
„Ein wirklich kurioser Laden.", stellte er fest und kam zu ihm hinüber, während er eine Hand in seine Jackentasche gleiten ließ. Seokjin vermutete zuerst, er würde seine Handschuhe herausziehen, doch in dem pastellfarbenen Sonnenuntergang schimmerte plötzlich die kleine Schneekugel vor seinen Augen. Und dahinter Namjoons bedeutendes Grinsen.
„Oh", stieß er leise aus und traute sich zuerst gar nicht, sie anzufassen, ehe Namjoon sie ihm in die Hände drückte und stolz nickte.
„Absoluter Firlefanz, den kein Mensch braucht, aber wenn sie dir so gefällt... Wie könnte man dem Schmollmund eine Bitte abschlagen, mhm?", fragte er mit einem deutlich sarkastischen Unterton, während er ihm frech in die Wange kniff, wie er es nur zu gern tat. Und doch lag in seinen dunklen Augen deutlich ein warmer und sanfter Ausdruck.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll... D-danke", flüsterte er etwas holprig und voller Bewunderung für die kleine Schneekugel mit dem schweren, goldenen Sockel und drehte sie eine Weile fasziniert zwischen seinen Fingern.
„Du hättest sie wirklich nicht kaufen müssen. Es ist mir ziemlich unangenehm, wenn du so viel Geld für Unsinn ausgibst."
„So lang du dich freust, ist es keine Verschwendung.", erklärte Namjoon mit erhobenen Finger und nickte zustimmend zu seiner eigenen Aussage.
„Dann hast du etwas, womit du dich an unseren Ausflug erinnern kannst. Und vielleicht ist dein Zimmer etwas weniger leer"
„Als wenn ich mich nicht auch so an diese Reise erinnern könnte", antwortete Seokjin seltsam verlegen und ließ sich die Kugel von Namjoon in einen Bogen Packpapier einrollen und in den Rucksack packen, damit sie gut geschützt war.
Er blickte sich etwas hilflos um, denn er war immer noch überfordert mit dem Geschenk, welches er zuvor erhalten hatte und wusste nicht recht, wie er sich bedanken oder was er sagen sollte. Es war ihm stets unangenehm, wenn Namjoon so viel Geld ausgab und stetig darauf bestand, für ihn zu bezahlen, oder ihm viel zu teure Geschenke machte.
Er blickte an seinem Arm hinunter und betrachtete das schwere, silberne Kettchen an seinem Handgelenk, welches vermutlich ein Vermögen gekostet haben musste.
Es war ein erschreckend seltsames Gefühl, dass Namjoon so über ihn verfügte und ihm aushalf und beschenkte, obwohl er eigentlich der Ältere von ihnen war. Doch er hatte um Längen nicht das Geld, um irgendwelche Geschenke machen zu können und Namjoon hatte in seinem riesigen Zimmer sowieso schon alles, was er wollte und brauchte. Und wenn er es nicht hatte, würde er es sich sowieso kaufen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Etwas peinlich berührt packte Seokjin ihn schließlich am Arm, nachdem er geduldig gewartet hatte, dass dieser die Schneekugel in seinem Rucksack verstaut hatte und zerrte ihn zu einem kleinen Eisstand hinüber.
„Lass mich dir als Danke wenigstens ein Eis ausgeben."
„Das ist echt nicht nötig, Jin.", versuchte Namjoon zu widersprechen, doch er überhörte ihn einfach und bestellte für sie zwei Eis in der Waffel. Für sich wählte er Erdbeere und für Namjoon Vanille, denn er wusste, dass dies seine Lieblingssorte war, ohne dass er es ihm jemals erzählt hatte.
Stolz reichte er ihm die Waffel und mit einem Augenverdrehen nahm Namjoon sie schließlich an.
Doch sie kamen nicht dazu, auch nur noch ein Wort zu wechseln, oder von ihrem Eis zu essen, denn plötzlich rannte ein heulendes Kind direkt zwischen sie hindurch und verfolgte weinend eine Möwe, welche verdächtig eine Waffel in ihrem Schnabel hielt und in den Sonnenuntergang davonflog.
Überraschender Weise war es tatsächlich Namjoon, welcher von ihnen zuerst reagierte und zu dem kleinen Mädchen ging und sich vor sie kniete. Mit einem aufmunternden Lächeln bot er ihr sein Eis an und schüchtern nahm sie die Waffel mit ihren kleinen Fingern aus seiner ausgestreckten Hand.
Etwas sprachlos beobachtete Seokjin die Szene vor sich und er wusste nicht genau wieso, doch der Anblick von Namjoon und seiner besorgten Reaktion dem kleinen Kind gegenüber erwärmte sein Herz unvergleichbar sehr. Vor allem, weil sie aufgehört hatte zu weinen und ihn mit so großen und erstaunten Augen betrachtete und er ihr so zuversichtlich zunickte und er hätte sich niemals auch nur vorstellen können, was für eine weiche Seite in ihm schlummerte.
Natürlich war sie schon ein paarmal hervorgekommen und Namjoon hatte eine furchtbar romantische Ader, auch wenn er es vielleicht selbst nicht so gern zugeben wollte. Doch seine so familiäre Geste erweichte sein Herz einfach so vollkommen und er sah ihn immer noch mit großen Augen an, als er zufrieden zu ihm zurückkam.
„Ich hoffe, es ist okay, wenn ich das Eis für einen guten Zweck gespendet habe", scherzte er und Seokjin blinzelte ein paar Mal sprachlos und aß schließlich von seiner eigenen Eiskugel, um sein Erstaunen mit irgendwas zu überspielen. Namjoon beobachtete ihn kurz dabei, beugte sich dann allerdings auch vor und biss im selben Moment von der Eiskugel ab. Ihre Nasenspitzen berührten sich dabei und er spürte, wie er sofort heftig errötete.
Grinsend legte Namjoon schließlich einen Arm um seine Schulter, um ihn zum Weitergehen zu bewegen, denn er hatte das Gefühl, dass er vor lauter Eindrücken auf der Stelle festgewachsen war.
„Ich kann ja einfach bei dir mitessen, nicht?"
Er zwinkerte ihm frech zu und Seokjin musste tief Luft holen, um bei all den seltsamen Signalen, die Namjoon ihm sendete, nicht hintenüber zu kippen. Er fürchtete, dass sein Herz sonst endgültig bersten würde, vor lauter Nervosität.
Dieser schien auch den Arm nicht von seiner Schulter zu nehmen, sondern hielt ihn immer noch umschlungen dicht bei sich, während sie die sandige Strandpromenade hinuntergingen.
Sein Herz klopfte inzwischen bis zum Hals und vorsichtig neigte er den Kopf schließlich zur Seite, um ihn gegen Namjoons zu lehnen.
Eine Weile spazierten sie so an den Läden vorbei, die zum Teil bereits geschlossen hatten und das Meer auf der anderen Seite, welches vom Sonnenuntergang in ein zartes Orange getaucht wurde, rauschte friedlich im Hintergrund.
Wieder verspürte er Drang dazu, diesen Moment einfach anzuhalten. Er wünschte sich, dass er niemals vorübergehen würde und wenn er an den Sommer zurückdachte und wie unglücklich sie gestartet hatten und wo sie inzwischen waren, machte sein Herz wieder einen aufgeregten Sprung.
Namjoon war so unverschämt und grausam zu ihm gewesen und hatte einen unerklärlichen Hass an ihm ausgelassen und einige Wochen und zwei Jahreszeiten später liefen sie doch tatsächlich Arm in Arm im Sonnenuntergang.
Einige Male warf er Namjoon einen unsicheren, verstohlenen Blick zu, welcher so zufrieden vor sich hinlächelte und interessiert die Natur betrachtete und wieder überkam ihm das Bedürfnis, ihn einfach zu küssen und ihm zu zeigen, was er fühlte und wie glücklich er war, doch ihm fehlte schlichtweg der Mut dazu. Und er wollte sein Glück einfach nicht so schamlos herausfordern.
Das Seegras in den Dünen schaukelte sanft in der rauen Brise und der Blick über die tobende See verschwand in dem endlosen, roten Himmel und war so gar nicht mit der Aussicht in der Stadt zu vergleichen. Er fühlte sich hier so frei, es war ganz anders, als zwischen all den Wolkenkratzern zu sein, an jenem Ort, an welchem man nachts nicht einmal die Sterne sehen konnte, weil die Lichtverschmutzung der Stadt einfach zu hell war, mit all seinen Reklamen und endlos vielen Straßenlaternen und Gebäuden.
Hier war der Himmel klar und frei und Seokjin atmete seinen tiefen Atemzug lange aus.
„Du siehst schon um einiges entspannter aus, als vorhin. Ich habe mir letzte Nacht wirklich Sorgen gemacht. Warum konntest du nicht schlafen?", fragte Namjoon ihn plötzlich und er musste sich das gequälte Seufzen verkneifen, denn er wollte ungern zurück in die negativen Gedanken, oder die schmerzende Realität abdriften und sich verzweifelt an die Magie jenes Moments klammern.
„Hast du es nicht gehört? Dieses laute Geräusch aus dem Flur, es hat mich geweckt.", erklärte er schließlich, denn es entsprach der Wahrheit, doch gab nicht zu viel von dem Preis, was wirklich in seinem Kopf vor sich ging.
Für eine seltsam lange Weile antwortete Namjoon ihm nicht, ehe er plötzlich stehen blieb und er somit auch gezwungen war, anzuhalten, denn er hatte immer noch den Arm um ihn gelegt.
„Ich habe wirklich kein Geräusch gehört. Sicher, dass es nicht nur in deinem Kopf war und du es dir eingebildet hast?", fragte er nun und das Misstrauen wog unüberhörbar in seiner Stimme, während er langsam seinen Arm von seiner Schulter nahm.
Seokjin blinzelte ein paar nachdenklich während er realisierte, dass Namjoon eventuell Recht haben könnte. Doch die Geräusche waren so furchtbar laut und viel zu echt gewesen, als dass sie einfach nur seinem Kopf entsprungen sein konnten...
„Seit ich wieder da bin, bist du noch besorgter, als sowieso schon. Du warst eine Weile so ausgelassen und glücklich, nach all dem, was passiert ist, in der Vergangenheit. Aber dann war es plötzlich noch so viel schlimmer und als du an deinem Geburtstag bei mir angekommen bist, sahst du wirklich grauenvoll aus, Jin. Willst du mir wirklich nicht sagen, was mit dir passiert ist? Ich mache mir wirklich sorgen um dich und ich kann dir nur helfen, wenn du ehrlich mit mir bist."
Seokjin spürte den Kloß in seinem Hals aufkommen und wie er angestrengt gegen diesen schlucken musste, als Namjoon so direkt mit seinen Fragen auf ihn einstocherte. Atemlos drehte er ihm den Rücken zu und blickte eindringlich auf das Meer hinaus.
„Es hat doch nichts mit deinen dummen Ideen und Yesung hinterherstellen zu tun, oder?", harkte er nun umso hartnäckiger nach und Seokjin spürte förmlich sein Herz in die Hose rutschen und wie er hochrot anlief, denn er war so direkt erwischt wurden, dass es ihm schon unangenehm war. Er war heilfroh darüber, dass die Sonne inzwischen so tief stand und es relativ dunkel war, weshalb Namjoon seinen knallroten Kopf womöglich nicht wirklich erkennen konnte.
„Ach, Quatsch, wir wissen ja, wie das das letzte Mal ausgegangen ist. So doof bin ich sicherlich nicht zweimal", antworte er schließlich, jedoch klang seine Stimme um einiges schriller, als er sie klingen lassen wollte und er lachte nervös in sich hinein, während vor seinem inneren Auge düsterte Gestalten mit Waffen durch den Hotelflur hinter ihm herrannten und er um sein Leben fürchtete. Förmlich schon eine kalte Kugel durch seinen Körper jagen spüren konnte, die ihm das Leben endgültig und vorzeitig aushauchen würde, so wie in seinen Alpträumen, die er Nacht für Nacht immer wieder durchleben musste und ihm langsam um den Verstand zu bringen schienen. Als wäre ihm in den letzten Wochen nicht schon genug Furchtbares widerfahren.
Tatsächlich war er genauso doof, wie er eben noch bestritten hatte. War voller naiver Dummheit genau in sein Verderben gelaufen, während er Yesung wie der letzte Trottel hinterhergelaufen war und selbst dieser war erzürnt und sauer über diese Tatsache gewesen, er wollte gar nicht wissen, wie Namjoon auf die Wahrheit reagieren würde.
Dieser schien überhaupt nicht zufrieden mit seiner Antwort zu sein, als könnte er so direkt in seinen Kopf gucken, doch dieses Talent kannte er eigentlich nur von Yesung.
Seokjin lächelte gequält und kratzte sich etwas verlegen an der Wange, ehe etwas anderes seine Aufmerksamkeit erweckte, was er aus den Augenwinkel erblickte. Und eventuell für eine willkommene Ablenkung herhalten konnte.
„Lass und das machen.", rief er schließlich aus und zerrte Namjoon an seinem Jackenärmel hinter sich her, ehe sie vor dem gerade entdeckten Fotoautomaten stehen blieben.
„Dein Ernst?"
„Komm schon, es gibt gar keine richtigen gemeinsamen Fotos von uns.", bat er ihn, ohne die Tatsache zu erwähnen, dass Yesung ihm zum Geburtstag ein ganz besonderes Foto geschenkt hatte, was mehr als offensichtlich zu offenbaren schien, wie Namjoon ihn anzublicken schien, wenn er dachte, er wäre unbeobachtet.
Namjoon rollte kurz mit den Augen, gab aber schließlich mit einem knappen Kopfnicken nach und nun schon fast aufgeregt zog Seokjin die Gardine des Automaten beiseite, damit sie in die kleine Kabine treten konnten.
Sie war ziemlich dunkel und eng und es schien sich noch um eine der älteren Versionen der Fotoautomaten zu handeln, die keinerlei Technologie oder modernen Touchscreen hatten und einfach nur einen Streifen von vier schwarz-weiß Fotos ausspucken würde.
Etwas unbeholfen versuchten sie beide auf dem kleinen Hocker vor dem Auslöser Platz zu nehmen und Seokjin wusste nicht so genau, wieso er plötzlich so schrecklich nervös wurde, doch die Dunkelheit und der mangelnde Platz in der Kabine hatte eine seltsame Auswirkung auf ihre Stimmung. Denn nachdem Namjoon seine Mütze wieder von seinem Kopf gezogen hatte, fuhr er sich deutlich öfter durch sein Haar, als es nötig gewesen war.
Er kramte kurz in seiner Manteltasche, ehe er eine Münze hervorzog und sie schon in den Schlitz vor sich werfen wollte, ehe er den Kopf wieder zu ihm drehte.
„Vielleicht sollten wir uns vorher überlegen, was wir auf den Fotos machen wollen.", schlug er etwas nachdenklich vor und Namjoon schien ihn für einen kurzen Moment einfach nur ausdruckslos anzusehen, schloss dann allerdings kurz die Augen und schien beinahe tonlos in die Dunkelheit zu seufzen. Schließlich streckte er die Hand aus und legte sie an seine Finger, welche immer noch die Münze umfasste, um sie eigenhändig in den Schlitz zu werfen und sie verschwand mit einem leisen Klacken in dem Automaten.
Verwirrt erwiderte Seokjin seinen Blick und wollte schon fragen, ob alles in Ordnung mit ihm sei, denn er hatte seine Frage einfach unbeantwortet im Raum stehen lassen. Und er befürchtete schon, er hätte seinen Geduldsfaden zu sehr strapaziert.
Doch Namjoons einer Arm schlang sich plötzlich um seine Hüfte und als er sich in der Dunkelheit plötzlich zu ihm vorbeugte, wusste er auch, wieso er dies tat.
Er hielt ihn fest, sorgte dafür, dass er nicht von dem kleinen Platz, den er auf dem Hocker hatte, herunterrutsche, als seine Lippen so entschlossen die seinen fanden.
Und dies war der erste Kuss seit dem Besuch an dem vereisten See, der aus Namjoons Initiative entstand.
Er küsste ihn genau passend zu dem Moment, in welchem das erste Mal der Blitz des Automaten ausgelöst wurde, hielt ihn danach allerdings noch bestimmend weiter.
Es war keine Art Kuss, den er sonst von Namjoon und seinen Reaktionen auf seine Küsse kannte. Entweder er erwiderten sie nicht mal richtig oder jeglicher körperlicher Austausch zwischen ihnen war seltsam zaghaft und unschuldig, so ganz wider Namjoons sonstiger Natur und Charakter.
Jedoch küsste er ihn dieses Mal erschreckend leidenschaftlich und Seokjin war froh, dass er soweit vorausgedacht hatte und ihn vorher festgehalten hatte, denn er wäre definitiv sonst von dem Hocker heruntergerutscht. Nicht nur wegen mangelndem Platz, sondern auch vor lauter Verblüffung.
Die vier Fotos waren längst geschossen worden und doch küssten sie sich immer noch. Seine freie Hand hatte Namjoon an seinem Hinterkopf liegen und seine Finger waren so fest in seinen Haarsträhnen verankert, die vorher von der kalten Seeluft ziemlich aufgewühlt worden waren.
Er konnte es das erste Mal so wirklich am eigenen Leib spüren, richtige Zuneigung und seltsames Verlangen, welches Namjoon in seinen Kuss legte, den er kaum lösen wollte. Bis Seokjin schließlich etwas atemlos nachgeben musste und ihn mit seinen Händen ein Stück von sich drückte, um ihm einen fragenden Blick zu schenken.
Er konnte nicht genau einschätzen, was in jenem Moment passiert war, doch es war beinahe so, als hätte jemand irgendwo einen Knoten durchschnitten.
Sie sagten nicht mal ein Wort zueinander, sondern Namjoon schenkte ihm einfach nur einen langen und tiefen Blick, ehe sie sich in der dunklen Kabine so wissend anlächelten.
Doch ein leises Geräusch von vor dem Automaten kündigte an, dass ihre Fotos fertig waren und als Seokjin hinaus schritt und der kalte Wind seine Wangen umspielte, merkte er das erste Mal, wie sehr er vor Aufregung zu glühen schien.
Er griff in die Ausgabe und zog den Streifen mit den vier Fotos hinaus und begutachtete sie im Licht der kleinen Straßenlaternen, welche am Wegesrand der Promenade aufgereiht waren.
Es waren vier Fotos, die nicht deutlicher ausdrücken konnten, wie sehr sich zwei Menschen zu wollen schienen. Vier Fotos voll unglaublich großer Gefühle und einem so leidenschaftlichen Kuss, dass seine Lippen selbst jetzt noch heftig kribbelten.
Diese Fotos waren genau das Gegenteil von dem, was er erwartet oder sich jemals hätte ausmalen können. Er hatte ein paar alberne Posen oder Grimassen erwartet, oder zumindest ein gequältes Lächeln. Doch diese Fotos strotzen vor Zuneigung und er konnte die Leidenschaft von Namjoons überraschenden Kuss förmlich von den Bildern in seine Finger übergehen spüren und ein wohliges Gefühl durchfuhr seinen ganzen Körper und schien jedes seiner Glieder zu erreichen.
„Na, die sind ja wirklich putzig.", erklang Namjoons Stimme schließlich hinter ihm und er schien ihm interessiert über seine Schulter zu blicken. Seokjin hatte die ganze Situation völlig die Sprache verschlagen, ehe er ihm den Streifen aus der Hand nahm und ihn vorsichtig in der Mitte durchriss.
Zuerst war er etwas erschrocken über die Geste, bis er verstand, was sein Ziel dabei war und er seine Hälfte dankend entgegennahm.
Er hatte die Fotos für sie geteilt, damit jeder einen Teil haben konnte und etwas verlegen beobachtete er, wie Namjoon den kleinen Streifen mit den zwei Fotos leicht lächelnd in seiner Geldbörse verstaute.
„So macht man das doch, oder? Bei diesem Date-Ding?", fragte er mit schmunzelnder Ironie in seiner Stimme und Seokjin fühlte sich erschreckend erfüllt in jenem Moment.
All seine Sorgen waren mit einem kurzen Wisch wie nie dagewesen, wenn er Namjoon nun betrachtete.
Dieses Gefühl blieb für den Rest des Abends und der Nacht, als sich die Dunkelheit gänzlich über den kleinen Küstenort gelegt hatte.
Es blieb, während sie zurück zu ihrem Hotel gegangen waren, seltsam schweigend, aber zu keiner Sekunde unangenehm still. Denn ihre Hände begegneten sich immer wieder in schon fast unwissender Unschuld und jedes Mal, wenn sich ihre Fingerspitzen berührten, durchfuhr ihn ein heftiger Stoß der Aufregung. Wie ein kleiner Stromschlag, der durch all seine Nervenbahnen fuhr und ein fast unaufhaltbares Kribbeln in ihm auslöste.
Da war etwas Neues. Eine ganze besondere Neugier, eine heftige Anziehung, die nicht mehr zu leugnen war. Und er hatte das Gefühl, das Namjoon auch gar nicht mehr leugnen wollte. Als würde er jedes Mal, wenn sie sich an den Händen hielten, seine heftigen Gefühle auf ihn übertragen können, durch eine so einfache Berührung.
Als sie zurück in ihrem Zimmer waren, packte er voller freudiger Erwartung die Schneekugel aus und platzierte sie auf dem kleinen Schreibtisch vor dem Fenster, wo sie im Schein des Mondes magisch vor sich hin glitzerte.
Es war nicht mal etwas Großes passiert und doch fühlte sich dieser Tag an, wie einer der Schönsten seines Lebens.
Sie redeten nicht einmal darüber. Sie ließen das Geschehene so im Raum stehen, doch es war so offensichtlich, dass man es schon fast mit den bloßen Händen aus der Luft greifen konnte.
Ein ganz besonderer Zauber, auf welchen er all die Zeit so verzweifelt gewartet hatte und ein inniger Ausdruck in Namjoons Blick, welcher ihm plötzlich so deutlich zu verstehen gab, dass seine Gefühle deutlich intensiver waren, als er immer versucht hatte zu verstecken.
Natürlich wollte er es am Liebsten aus seinem Mund hören, ihm deutlich mit seiner Stimme zu verstehen gab, was genau er empfand und was in seinem Kopf eigentlich vor sich ging, doch er traute sich nicht, ihn zu fragen. Seokjin glaubte, dass das Glück schon genug auf seiner Seite gestanden hatte, an jenem Abend.
Es war zwar schwierig, doch er versuchte sich darin, sich einfach fallen zu lassen und sich diesem Frieden hinzugeben.
Nach all den Monaten war er eigentlich unglaublich misstrauisch geworden und es gab selten einen Moment, in dem er wirklich entspannt sein konnte, doch er versuchte ausnahmsweise, sich in dieser seltsamen Sicherheit zu wiegen und sich ihr hinzugeben. Sich Namjoons Blicken hinzugeben, die er für den Rest des Abends gar nicht mehr von ihm lassen konnte und er schon beinahe verlegen darüber war, wie viel Begierde plötzlich in der Luft lag.
Selbst beim Essen war er so ungewohnt still, bis er schließlich den Vorschlag brachte, zu der Weihnachtsveranstaltung zu gehen, welche im Hotel am gleichen Abend stattfand.
Namjoon war nicht oft so spontan und noch weniger gern ging er aus, dass hatte er ihm schon ein paar Mal erklärt. Er mochte keine Menschenaufläufe, Alkohol oder laute Musik. Und auch in dieser Hinsicht war Namjoon an jenem Abend ganz anders, als sonst und schien auch dort jegliche Präferenzen über Bord geworfen zu haben.
Als hätte sein Gehirn einen plötzlichen Knopf entwickelt, der für Durchzug sorgte und die Negativität und Angst zu filtern schien. Seokjin hoffe inständig, dass dieser Modus nicht allzu schnell wieder verschwinden würde, denn er genoss es viel zu sehr, so in Namjoons Fokus zu stehen. Und so unglaublich ausgelassen zu sein.
Sich einfach wie ein junger Mensch zu fühlen, der verliebt war, der schwärmte und lachen konnte. Er dachte gar nicht mehr viel nach und ließ sich einfach mit diesem aufregenden Fluss treiben, in welchem sie sich plötzlich befanden und das Gefühl intensivierte sich nur umso mehr, als sie sich den fröhlichen Feierlichkeiten und der ausgelassenen Stimmung hingaben und er sich einen der Drinks genehmigte.
Nach einem etwas misstrauischen Blick in sein Glas, schloss sich Namjoon ihm an und es dauerte nicht lang, ehe sie angetrunken waren, dies jedoch nicht nur von dem Alkohol, welchen sie zu sich genommen hatten.
Es war zwischen all den Leuten und der lauten Musik eigentlich unmöglich, ein richtiges Gespräch zu führen und doch hielten sie kichernd die Köpfe zusammen und begannen damit, sich die absurdesten Geschichten zu erzählen, um dann gemeinsam in schallendes Gelächter auszubrechen. Er teilte einen ähnlichen Humor mit Namjoon, welchen er viel zu selten Preis gab, doch er war erleichtert darüber, dass er auch diese Seite aus ihm herauskitzeln konnte, auch wenn der Alkohol in diesem Fall sein Komplize gewesen war.
Und das ging irgendwann so weit, dass Namjoon aufgeregt von seinem Platz aufsprang und ihn hinter sich herzerrte, um tatsächlich mit ihm zu tanzen.
Eigentlich hatte Namjoon immer beteuert, er würde absolut keinen Alkohol vertragen, doch jener Moment sollte ihn vom Gegenteil überzeugen, denn er schien wie ausgewechselt zu sein, ein vollkommen anderer Mensch, der seinen Kopf ausnahmsweise mal ausstellen und sich einfach dem Moment hingeben konnte.
Zuerst war ihm die Sache mit dem Tanzen etwas unangenehm, weil er ähnlich wie Namjoon, absolut der Typ war, der zuhause blieb, wo es ruhig und leise war, jedoch steckte er ihn so sehr mit seiner guten Laune an, dass er sich relativ schnell fallen lassen konnte und ungeniert direkt die Arme um seinen Nacken schlang. Und ihm zwischen all den Menschen nun so nah war.
Namjoon grinste nur in dem dämmrigen Licht und er erwiderte seine Annäherung mit seinen Händen an seiner Hüfte, die allerdings nicht lang dort verweilten, sondern schneller als gedacht den Weg zu seinem Hintern fanden und dort bedeutend liegen blieben.
„Der fühlt sich ziemlich gut an", erklärte er ihm und zwickte ihm kurz frech in eine seiner Pobacken und Seokjin antwortete ihm genauso so bedeutend mit einem hitzigen Kuss, welchen er sogar ohne zu zögern erwiderte.
Namjoon flirtete und das so offensichtlich, dass ihm nicht einmal eine gescheite Antwort darauf einfiel und er seine absolute Verblüffung darüber so hinnehmen musste.
Das war Alles, was er sich je gewünscht hatte. Diese Ausgelassenheit, diese besondere Anziehung und dass sie sich nicht verstecken mussten, weil ihre Zuneigung zueinander so gar nicht der vorgeschriebenen Norm der Südkoreanischen Agenda entsprach.
Doch in jenem Moment schien alles wie ausgeblendet zu sein. Es gab nur sie beide und einige zärtliche Küsse, während sie so innig umschlungen in der tanzenden Menge standen. Und doch fühlte sich der Raum beinahe leer an, als wären nur sie anwesend, als wäre es allein ihr Augenblick.
Namjoon beugte sich schließlich zu ihm vor und sein warmer Atem streifte seinen Hals, während er ihm leise, aber dennoch deutlich genug seine Worte ins Ohr flüsterte, welche sein Herz endgültig zu einem kurzzeitigen Aussetzer brachte.
„Ich will dich.", hauchte er in seine Ohrmuschel, aber die Gewichtung seiner Worte erreichten ihn sofort und heftig und Seokjin wusste, dass er sie vollkommen ernst meinte.

MONSTER - the creatures we love pt. 1 | BTS NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt