Kapitel 30

193 21 2
                                    

MONSTER – Kapitel 30 –

Schon eine Weile trottete er hinter Seokjin her, der vor ihm die ganze Zeit gespannt auf sein Handydisplay starrte. Er schien einer Route zu folgen, welche er auf der Karte auf seinem Handy aufgerufen hatte und sie zu dem Ort bringen sollte, an dem sich Yesung heute Nacht eventuell aufhalten würde. Seokjin hatte ihm stolz die Adresse gezeigt, die er zuvor wohl von Yesungs Handy beschafft hatte und seufzend steckte er seine frierenden Hände in seine Jackentaschen. Seokjin schien kaum auszubremsen zu sein und eigentlich war er so erleichtert darüber gewesen, das sie eine Zeit lang nicht über seine waghalsigen Ideen gesprochen hatten. Und er hatte die ganze Zeit so ein schlechtes Gefühl bei der Sache, obwohl er wusste, dass sie etwas unternehmen mussten. Angespannt starrte er auf Seokjins Hinterkopf vor sich und am Liebsten hätte er ihn an den Schultern gepackt und umgedreht und in die entgegengesetzte Richtung geschoben. Weg von der Gefahr und potenziellem Ärger. Und von Yesung, von dem er an diesem Abend eigentlich schon genug hatte.

Natürlich hatte er ihm nicht sagen können, was er wirklich wusste, nachdem er ihn eben so direkt darauf angesprochen hatte. Er konnte ihm nicht sagen, warum er sich so sehr um ihn sorgte und so erpicht darauf war, dass ihm nichts Schlimmes mehr widerfahren würde. Er fragte sich, ob Seokjin es ihm wohl jemals übel nehmen würde, wenn er rausfinden würde, dass er die ganze Zeit Bescheid darüber wusste, was Yesung ihm eventuell angetan hatte. Wenn es nach ihm ginge, wollte er es ihm am Liebsten niemals erzählen und das Seokjin rausfand, worunter er die ganze Zeit unterbewusst zu leiden schien. Er wollte den Schmerz nicht in seinen Augen sehen, wenn er sich daran erinnerte und allein der Gedanke daran schnitt ihm unangenehm den Atem ab. Er wusste, das es falsch war, aber lügen war inzwischen so viel einfacher. Namjoon litt wahrscheinlich heimlich genauso sehr wie Seokjin, denn er konnte seinen Kummer so einfach von seinen Augen ablesen. Jeden einzelnen Tag, den sie miteinander verbachten, konnte er förmlich spüren, das ihm permanent unterbewusst etwas zu beschäftigen schien. Und es beschäftigte ihn ebenso, denn an manchen Tag hatte er Angst, ihm irgendwie zu nahe zu kommen, denn er wollte keine Erinnerungen in ihm wach rütteln, die ihn eventuell verstören könnten. Und sie am Ende auseinander treiben würde, denn das wollte er nicht. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass sie ihre Zeit miteinander verbrachten, dass er ihn gar nicht mehr missen wollte. Zwar hatte er Seokjin klar gemacht, das er die ganze Sache mit sich allein ausmachen müsse und seine Zeit dafür brauchen würde um heraus zu finden, was genau er eigentlich wollte und was er empfand. Denn in sich reinhorchen und fühlen war sonst nicht so seine Stärke. Und die Richtung, in die sich ihre Freundschaft entwickelte, war eine völlig andere, als er jemals gedacht hätte. Und das machte ihm irgendwie Angst, denn es war so schwer, einfach alles Andere auszublenden und ehrlich über die Situation nachzudenken. Doch an manchen Tagen fiel es ihm seltsam schwer, seiner eigenen Bitte nachzugehen oder an seinen Prinzipien und Ansichten festzuhalten. Manchmal konnte er sich fast davon frei machen. Wenn er in vollkommener Selbstverständlichkeit nach Seokjins Hand griff oder ihn in den Arm nahm, wenn er wieder traurig war und sein weiches Haar streichelte. Manchmal schien es ihn sogar schon zu faszinieren, wenn Seokjin so konzentriert über seinen Hausaufgaben saß. Er erwischte sich dann dabei, wie er genau seine Lippen beobachtete, die tonlos irgendwelche Worte formten, die er gerade von dem Buch vor sich abzulesen schien. Manchmal knabberte Seokjin dabei auch angespannt am Ende seines Stifts und irgendwie löste dieser Anblick immer ein gewisses Unwohlsein in ihm aus. Seine eigene Inkonsequenz ärgerte ihn ziemlich, besonders weil er Seokjin bewusst um diesen Abstand gebeten hatte und er tatsächlich auch einen Rückzieher vor ihm gemacht hatte und seine Worte wohl zu respektieren versuchte. Ihm den nötigen Freiraum gab, um sich darüber bewusst zu werden, was eigentlich mit ihm los war und wieso in seinem Kopf fast ausschließlich nur noch Seokjin existierte. Namjoon hatte sich schon ein paar Mal ernsthaft gefragt, ob er eventuell wirklich den Verstand verloren hatte, nachdem er so viele Schläge in den letzten Wochen einstecken musste. Ob irgendwas nicht mehr richtig mit seinem Gehirn zu funktionieren schien, denn manchmal konnte er nicht mal mehr konzentriert dem Unterricht folgen. Obwohl das immer sein geringstes Problem gewesen war. Jedoch wurde er inzwischen schon ein paar Mal beim Tagträumen erwischt und ermahnt. Am Schlimmsten war es, wenn er eigentlich schlafen wollte. Und er sich nervös hin und her wälzte und versuchte die Erinnerungen an Seokjin in der Dusche abzuschütteln, welche ihn ziemlich eigenwillig zu verfolgen schienen. Bis heute fragte er sich immer noch, wie sich wohl seine Haut anfühlen würde...

MONSTER - the creatures we love pt. 1 | BTS NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt