Kapitel 56

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MONSTER – Kapitel 56 –

Die Nacht war beinahe vorüber, doch Namjoon hatte kein Auge zutun können.
Sein Zimmer lag in einem anstrengenden Zwielicht und der erste, unschuldige Schein der aufgehenden Sonne kroch verheißungsvoll den dunklen Horizont in der Ferne hinauf.
Während er dort so saß, mit dem Rücken an das Kopfende des Bettes gelehnt, erinnerte er sich wieder an Seokjins Geburtstag vor mehr als zwei Wochen.
Er neigte seufzend den Kopf beiseite und blickte aus dem großen, bodentiefen Fenster hinaus, an welchem sein Bett stand.
Leicht schmunzelte er in sich hinein, als er daran dachte, wie verwundert Seokjin sein Geschenk geöffnet hatte und so erschrocken über das Armband gewesen war, welches er schon Wochen zuvor bei dem Juwelier gekauft hatte. Eigentlich fast direkt nach der Nacht, in welcher er es im Schaufenster entdeckt und ihm mit großen Augen zeigen wollte.
All die Wochen hatte er es aufbewahrt, um es ihm zu seinem zwanzigsten Geburtstag als ein besonderes Geschenk geben zu können. Und die Überraschung schien ihm gelungen zu sein, auch wenn Seokjin furchtbar seltsam an jenem Abend gewesen war.
Doch er hatte genau hier mit ihm gesessen, er hatte genauso an der Wand gelehnt, mit seinem Kopf in seinem Schoß gebettet.
Genau an diesem Abend hatte es begonnen, sein seltsames Verhalten. Er war so verängstigt und mitgenommen bei ihm angekommen, vollkommen durchnässt. Hatte nach Alkohol und Schweiß gerochen und Namjoon zerbrach sich seitdem beinahe täglich den Kopf darüber, was ihm wiederfahren sein könnte. Ob es eventuell mit seinem Fehler zusammenhing, dass er ihm verschwiegen hatte, dass er diese Reise nach Neuseeland machen musste.
Er fragte sich, ob er sich dafür die Schuld geben sollte, dass Seokjin sich mal wieder absolut kopflos verhalten und er durch seine Abwesenheit einfach keine Chance gehabt hatte, auf ihn Acht zu geben. Und zu versuchen, ihm seine waghalsigen Pläne auszureden. Vielleicht hatte er sich sogar aus Trotz so leichtsinnig verhalten, doch er hatte das schrecklich ungute Gefühl, dass es diesmal aus dem Ruder gelaufen sein könnte.
Das letzte Mal waren sie noch irgendwie heil aus der Situation herausgekommen, obwohl es damals schon furchtbar knapp gewesen war und diese Kerle wirklich dicht auf ihren Fersen gewesen waren.
Seine Erinnerungen drifteten zum erneuten Male zu dem Moment in der Gasse, in welchem Seokjin so atemlos an der Wand vor ihm gelehnt hatte, abgehetzt und trotzdem mit einer seltsamen Erfüllung in seinen Augen, die sein Herz beinahe zum Stillstand gebracht hatte.
Sie hatten gestrahlt, zum ersten Mal seit so langer Zeit.
Seine Wangen und Lippen waren gerötet gewesen, von dem kalten Winterwind, und der leichte Schnee, welcher in jenem Moment über sie eingebrochen war, hatte sich so magisch glitzernd in seinem dunklen Haar verfangen.
Namjoon fuhr plötzlich erschrocken ins Sitzen, als er ein leises Rascheln vernahm und er war so schnell aus dem Bett geglitten, dass er im ersten Moment bunte Punkte vor seinen Augen aufblitzen sah.
Eilig umrundete er das Bett und ging zu dem Sofa hinüber, welches diesem gegenüberstand, um die Situation zu prüfen.
Tatsächlich gab Yesung nach all den Stunden das erste Mal einen leisen Laut von sich und Namjoon fühlte sich plötzlich seltsam erleichtert.
Ein paar Mal hatte er geglaubt, dieser könnte eventuell doch einfach tot sein, denn er hatte so erschreckend still dagelegen und war aus seiner Ohnmacht nicht mehr aufgewacht, seit er das Bewusstsein auf dem Wohnzimmertisch verloren hatte.
Nachdem er und seine Schwester das Chaos beseitigt hatten, hatte sie ihm noch geholfen, Yesung die Treppe hinaufzuschleppen und ihn auf das Sofa in seinem Zimmer zu betten.
Die Situation war seltsam ähnlich, wie im vergangenen Herbst. In dem Seokjin in seinem Koma in seinem Bett gelegen und er die Nächte beinahe schlaflos auf dem Sofa verbracht hatte.
Kyungmin hatte ebenfalls ihre Meinung zum Besten gegeben, indem sie ihn schmählich danach gefragt hatte, wieso sein Besuch immer blutend oder verletzt bei ihm übernachten würde und ob sie nun ein Lazarett für verwundete Teenager waren.
Namjoon kam in jenem Moment zu der Konklusion, dass er tatsächlich mit seinem Zynismus ein zu schlechtes Vorbild für sie war und hatte sie genervt in ihr Zimmer gescheucht.
Dabei hatte sie nicht mal Unrecht. Das letzte halbe Jahr war womöglich das seltsamste, aufregendste und blutigste, welches er jemals durchlebt hatte.
Seit er Seokjin das erste Mal begegnet war, hatte sich sein Leben so schlagartig verändert, mit einem einzigen Augenaufschlag, welchen er ihn geschenkt hatte. Seit jenem Moment, war es schon um ihn geschehen gewesen, auch wenn er es so lang nicht wahrhaben wollte.
An dem Desaster, was darauf gefolgt war, war die Person, welche gerade auf seinem Sofa lag, ebenso Schuld und hatte für die meisten blutenden Wunden gesorgt, mit ihrer seltsamen Unberechenheit.
Wenn man Yesung so sah, würde man ihn wahrscheinlich niemals in die Schublade des Schulhofschlägers stecken. Das Image machten eher seine seltsamen Freunde aus, die er um sich scharrte, welche ihn automatisch ebenso verschlagen wirken ließen.
Doch Yesung war eigentlich anders, das war ihm aber erst nach einer ganzen Weile so wirklich bewusst geworden.
Eigentlich seit dem Moment, in welchem er ihn das erste Mal mit seiner Kamera und seine Fotos gesehen hatte, als sie bei dem Jahrbuchskomitee gewesen waren.
Er hatte plötzlich eine andere Seite an ihm erkannt, die erschreckend artistisch und sensibel wirkte, auch wenn er es kaum zugeben wollte und die eigentlich auch nicht zu dem Rest passte. Denn Namjoon wusste nicht, wie er jemals über das hinwegkommen sollte, was er Seokjin angetan hatte. Und nicht nur Seokjin, sondern auch ihm. Seine Intrigen und Spielchen und seine heftige Eifersucht, welche ihn zu manch fahrlässigen Handlungen getrieben hatte.
Yesung war definitiv jemand, den er nicht richtig einschätzen konnte, zu keiner Sekunde.
Es kam ihm seltsam unwirklich vor, dass ausgerechnet er nun hier in seinem Zimmer lag, so schwächlich und verletzt, nach all dem, was vorgefallen war und ihr brutaler Streit um Seokjin, der sie alle beinahe krankhaft in den Wahnsinn getrieben hatte.
„Mhm... Wo bin ich?", erklang Yesungs Stimme schließlich heiser und flüsternd und er hatte tatsächlich etwas die Augen geöffnet, welche er aber mit seinem Unterarm etwas gegen das erste, zarte Sonnenlicht abschirmte.
Reflexartig schloss Namjoon die Gardine neben sich am Fenster und kniete sich dann vor das Sofa, betrachtete ihn kritisch.
„Du bist immer noch bei mir. Erinnerst du dich, du hattest eine Stichwunde. Und du wolltest mich um Hilfe bitten."
Yesung drehte jetzt langsam den Kopf in seine Richtung und musterte ihn etwas argwöhnisch, ehe er etwas zusammenzuckte und gequält die Augen schloss.
Namjoon legte seine Hände beiseite und schob sein Oberteil an der Stelle, wo sich die Stichwunde befand, etwas hinauf, um die Wunde betrachten zu können.
Sie sah absolut ungefährlich aus und er war erleichtert darüber, dass er seine Arbeit, trotz der Bedingungen, ordentlich erledigt hatte und Yesung keine weiteren Probleme davongetragen hatte.
„Mit der Wunde ist alles in Ordnung. Es wird wahrscheinlich nur eine Weile ziemlich wehtun. Du solltest etwas trinken, für meinen Geschmack hast du etwas zu viel Blut verloren."
Namjoon griff nach einem Glas Wasser, welches er bereits vorsorglich auf dem Tisch neben dem Sofa bereitgestellt hatte und setzte es vorsichtig und auffordernd an Yesungs Lippen. Dieser schien immer noch ziemlich perplex über die Gesamtsituation zu sein, ließ sich dann aber von ihm helfen, seinen Kopf etwas anzuheben, damit er von dem Wasser trinken konnte.
Sie schwiegen sich tatsächlich anschließend eine ganze Weile an, in der Yesung vollkommen desorientiert und mitgenommen wirkte und er selbst angestrengt mit den richtigen Worten rang. Bis Yesung schließlich seine Hand hob und verwundert das Pflaster an seiner Schläfe berührte.
„Die Wunde habe ich auch versorgt. Sie ist längst nicht so dramatisch, wie die Stichwunde. Wie hast du dir die zugezogen?", fragte er und tippte sich dabei gegen die eigene Schläfe, um seine Frage zu unterstreichen.
„Seokjin", antwortete Yesung schließlich knapp und sah ihn dabei nicht an.
Namjoon stutzte nun etwas, während er sich beinahe an seiner eigenen Spucke verschluckte.
„Jin hat dir eins übergebraten?"
Dass Yesung ihm darauf nicht mehr antwortete, war Bestätigung genug und tatsächlich konnte er nicht anders, als loszulachen. Doch er versuchte angestrengt sein Lachen mit dem Ärmel seines Sweatshirts zu ersticken, was ihm allerdings nicht sonderlich gut gelang.
„Ich hätte viel gegeben, um das zu sehen! Dieser Junge ist echt unberechenbar, manchmal möchte ich ihm einfach nur ein High Five geben.", kicherte er hinter seinem Handrücken hervor, während Yesung immer noch angestrengt in eine andere Richtung blickte, doch er konnte deutlich die Erzürntheit aus seinem Gesicht herauslesen.
„Wenn du nicht gleich ruhig bist, dann gebe ich dir dein High Five... Und zwar mit der Faust direkt in dein Gesicht. Dann hast du nichts mehr zu lachen, verstanden?"
Namjoon schnaubte nur abwertend und verdrehte anschließend etwas die Augen. Irgendwie konnte er seine Drohungen inzwischen nicht mehr so ganz ernst nehmen. Es wirkte beinahe so, als würde er einfach nur versuchen, sich hinter einer Rolle zu verstecken, die er gar nicht zu sein schien. Und doch war sein Handeln manchmal so unberechenbar.
„Als ob du in deinem Zustand gerade irgendwas ausrichten könntest. Ich seh's ein bisschen so, als hätte sich Seokjin unterbewusst für mich gerächt, wozu ich nie die Chance bekam. Ich glaube, du kannst dich noch genau daran erinnern, wie du meinen Kopf an die scheiß Wand der Umkleidekabine geschlagen hast. Somit sind wir irgendwie quitt."
Dieses Mal war es Yesung, der die Augen verdrehte, um sie anschließend zu schließen. Er seufzte leise und presste angespannt die Lippen aufeinander, ehe er seine Augen wieder öffnete und ihn nun umso direkter ansah. Mit einem so intensiven Blick, dass Namjoon glaubte, er könnte direkt bis tief in sein Unterbewusstsein blicken und alles über ihn herausfinden.
„Es... Tut mir leid."
Eine Weile ließ er diese Worte einfach auf sich wirken und erwiderte Yesungs gequälten Blick nun etwas erstaunter, während er sprachlos die Augen weitete.
Er hätte wahrscheinlich mit allem gerechnet, mit sämtlichen, frechen Kontern, oder dass er in seiner Verfassung doch tatsächlich auf ihn losgegangen wäre. Doch eine Entschuldigung, die auch noch erschreckend ehrlich klang, war das Letzte, was er in jenem Moment aus seinem Mund erwartet hätte.
„Hör zu, Namjoon... Ich muss unbedingt mit dir reden. Wirklich. Es ist wichtig..."
Yesungs Stimme klang nun etwas kraftloser, während er trotzdem versuchte, sich ein Stück aufzurichten, diesen Gedanken aber schnell wieder verwarf, als ihn offensichtlich ein erneuter Schmerz erreichte.
„I-ich wollte Seokjin da nie mit reinziehen. Die ganze Zeit habe ich das Gegenteil versucht. Es war aber wirklich nicht meine Schuld. Er ist mir einfach gefolgt, ich habe es nicht mal mitbekommen. Und dann kam alles zusammen. Das Ganze, was passiert ist, muss ihm so ziemlich den Rest gegeben haben und es ist einfach alles so verdammt gefährlich geworden, es ist so aus dem Ruder gelaufen und jetzt-"
„Moment mal, stopp. Wovon redest du? Wo mit reingezogen?"
Yesung blinzelte jetzt etwas verwirrt und für einen kurzen Moment tauschten sie sprachlos verwunderte Blicke, als hätten sie beide die Fähigkeit verlernt, Koreanisch zu verstehen. Als würden sie zwei vollkommen unterschiedliche Sprachen sprechen und doch kam es Namjoon irgendwie so vor, denn er fühlte sich so absolut unwissend.
„D-du weißt es nicht?!"
„Was weiß ich nicht, verdammt noch mal! Ich weiß, dass irgendwas passiert ist. Irgendwas, worüber Jin nicht mit mir reden wollte."
Yesung starrte ihn immer noch perplex an und sein Mund stand inzwischen etwas offen, ehe er sich wieder zu fangen schien und eindeutig verständnislos den Kopf schüttelte.
„Was stimmt denn nicht mit euch? Ist das irgendwie so euer Ding, macht euch das irgendwie an, wenn ihr euch die ganze Zeit gegenseitig belügt?"
„Kein Grund, so schamlos ironisch zu werden. Jetzt spucks schon aus. Und zwar alles. Ich will alles wissen, verstanden?"
Er hatte die Nase tatsächlich gestrichen voll, von all den Lügen und dem Hintergehen.
Yesung hatte schmerzhaft Recht mit seiner Frage, was denn genau nicht mit ihnen in Ordnung war. Und wieso sie nicht einfach ehrlich miteinander sein konnten. Wieso sie ihre Leben so seltsam parallel voneinander geführt hatten, obwohl sie so nah beieinander gewesen waren.
Dieser wand nun etwas atemlos seinen Blick von ihm ab und er konnte ihm förmlich ansehen, wie sämtliche Erinnerungen vor seinem inneren Auge gerade abliefen und wie er um die richtigen Worte rang. Ein paar Mal öffnete er den Mund, schloss ihn dann allerdings wieder und seufzte schließlich tonlos. Und Namjoon fühlte sich zunehmend so, als würde er auf schrecklich heißen Kohlen sitzen, denn mit jeder Sekunde die verstrich, wurde er immer besorgter und immer neugieriger.
„Seokjin ist mir an einem Schulnachmittag gefolgt. Keine Ahnung, was das für eine komische Sache zwischen euch ist, aber wenn du nicht da bist um aufzupassen, scheint er vollkommen jedes Gefühl für Verantwortung zu verlieren. Er ist dadurch in diese Sache mit reingeraten, vor welcher ich ihn nicht mehr bewahren konnte, er ist seinem Verderben quasi in die offenen Arme gerannt."
Wie in Schockstarre versetzt, folgte Namjoon Yesungs Worten und seiner Erzählung, über das, was Seokjin ihm so vehement verschwiegen hatte.
Von der Sache mit dem Hotel und das sie dort gegen ihren Willen hin verschleppt wurden. Von der Erpressung der jungen Frau und dem Plan, der dahintersteckte. Und von den Geschehnissen in dem Hotelzimmer und wie sie mehr oder weniger anschließend um ihr Leben gerannt waren und glücklicherweise fliehen konnten.
Namjoons Gedanken drifteten langsam ab, während er sich nicht einmal ausmalen konnte, wie schrecklich diese Situation gewesen sein musste und er hatte wieder den vollkommen durchnässten Seokjin vor Augen. In der mitgenommenen Schuluniform und mit dem bleichen Gesicht, mit erschreckend tiefen Rändern unter seinen Augen. Als hätte ihn jegliches Leben verlassen, wie ein Abbild seiner selbst, so völlig ohne Seele.
Ihm wurde so verdammt schmerzlich bewusst, wie heftig sie aneinander vorbeigeredet hatten. Das sie beinahe genau das gleiche Geheimnis voreinander gehabt hatten.
Er hatte Yesung und den Typen in der Clubtoilette damals beobachten können, wie er die Waffe gezückt hatte und ihn so heftig bedrohte, sodass er schon gefürchtet hatte, das Yesung gleich wirklich umgelegt werden könnte. All die Zeit hatte er dieses Erlebnis und die Kenntnis darüber, wie gefährlich die Situation wirklich war, vor Seokjin verheimlicht. Nur um zu erfahren, dass dieser in vollkommener Kenntnis darüber gewesen war. Was ihm nur wieder aufzeigte, wie sehr sie all die Zeit aneinander vorbeigeredet hatten.
„Ich wusste ja, dass du in Schwierigkeiten steckst, aber das ist ein völlig neues Level. Die Sache ist um einiges ernster, als ich jemals hätte erahnen können."
Yesung antwortete mit einem kurzen Schulterzucken, als wollte er versuchen, die Sache irgendwie runterzuspielen, doch die Panik sprühte förmlich aus seinen Augen, obwohl sein Gesicht so ernst aussah. Dabei fiel ihm auf, dass er ihn bisher nur so gesehen hatte, er hatte ihn zu keinem Zeitpunkt ehrlich lachen oder glücklich gesehen. Entweder war Yesung ernst, wütend oder beißend sarkastisch. Etwas anderes schien es bei ihm nicht zu geben und irgendwie machte ihn diese Erkenntnis seltsam traurig.
Nicht, dass er überhaupt irgendetwas für diesen Typen empfinden müsste, doch er konnte nichts dagegen tun, es überkam ihn einfach. Wie damals in dem Club, als er plötzlich dieses Mitleid für ihn empfunden hatte und am Liebsten dazwischen gegangen wäre, als dieser Kerl mit der Sonnenbrille den Lauf der Waffe an seinen Kopf gehalten hatte. Und er für einen kurzen Moment tatsächlich befürchtet hatte, er würde abdrücken und Yesung einfach umbringen, so wie er ihm angedroht hatte.
„Letzte Nacht dann... Seokjin kam zu mir. Er war völlig außer sich, ich habe noch nie jemanden so wahnsinnig gesehen..."
„Bei...? Wie geht es ihm?! Ich habe die ganze zeit versucht ihn zu erreichen und in der Schule war er auch nicht. Ich habe mir solche Sorgen gemacht!"
Auf der einen Seite erleichterte es ihn ungemein, dass Seokjin wohlbehalten nach Hause gekommen war, nachdem er am vergangenen Wochenende einfach abgehauen war und nicht einmal mehr seinen Rucksack geholt hatte. Andererseits fing er schließlich an, böses zu ahnen, wenn er bei ihm gewesen und Yesung schließlich so verletzt bei ihm aufgetaucht war.
„Habt ihr beiden Streit? Wie ist er... dahinter gekommen? Hast du es ihm wirklich erzählt? Nach all der Zeit, in der du ihn schon belogen hast?"
Das nun auch noch ausgerechnet Yesung es schaffte, sein schlechtes Gewissen heftig anzufeuern, war ihm schon fast unangenehm und hastig wand er den Blick ab.
Für einen Moment wollte er ihm am Liebsten vorhalten, in welcher Situation sie gewesen waren, als es Seokjin endlich gedämmert hatte und er von allein seine Erinnerungen zurückerlangt hatte. Es wäre wahrscheinlich eine gewisse Genugtuung gewesen, Yesung irgendwie mit seiner Eifersucht provozieren zu können, doch ihm wurde schnell bewusst, dass nicht mehr aus dem miteinander schlafen werden konnte, weil genau dieser dafür gesorgt hatte, dass es nicht soweit kommen konnte.
Die Erinnerung an den heftigen Streit brannte immer noch viel zu sehr, besonders die Tatsache, dass sie so auseinander gegangen waren und er bisher keine Chance bekommen hatte, mit ihm darüber zu sprechen und sich zu entschuldigen.
Namjoon beschloss schließlich still für sich, seine Frage einfach zu übergehen und nicht zu antworten. Und Yesung schien zu verstehen, denn er hakte nicht weiter nach.
„Es hat übrigens einen Grund, weshalb Seokjin nicht in der Schule gewesen ist. Sie haben ihn... rausgeschmissen. Sie gehen davon aus, er hätte dir die Drogen gegeben."
„Bitte WAS?!"
Tatsächlich war Namjoon jetzt aufgesprungen und für einen kurzen Moment versiegte sein Atem vollständig, als ihn der Schock über die Neuigkeiten erreichte. Und diese lagen schwer und plötzlich so unerträglich in seinem Magen, wie schwere Steinblöcke.
Es war wie eine seltsame Panik, die durch all seine Glieder pulsierte, denn er konnte nicht wirklich begreifen, wie es so weit kommen konnte.
Das sie sich so tief in ihr Spiel hineingesteigert hatten, dass Seokjin am Ende so viel verlieren würde. Insbesondere seine wichtige Schulkarriere, in welche er so unendlich viel Zeit und Kraft gesteckt hatte und von ihnen Dreien wahrscheinlich am ehesten diesen Abschluss verdient hatte.
Er hatte noch genau seine stolzen Worte im Ohr, wie er vor einem fiktiven Rednerpult gestanden und eine feierliche Abschlussrede gehalten hatte. Seokjin konnte es all die Zeit kaum erwarten, die Schule endlich zu beenden und die Ehre bekommen zu dürfen, einmal allein im Mittelpunkt zu stehen. Nicht nur als Schulsprecher, sondern besonders auch als der fleißige und erfolgreiche Schüler mit Bestnoten, der er immer gewesen war.
Sie hatten sich schon ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie im kommenden Frühling in der bunt geschmückten Aula sitzen würden, in ihren schwarzen Talaren und ihre Abschlusszeugnisse überreicht bekommen würden. Wenn draußen endlich wieder so kräftig die Sonne scheinen und die ersten rosanen Kirschblüten an den Bäumen zu blühen beginnen würden. Wie frei und ausgelassen sie dann sein würden, weil sie es endlich geschafft hatten. Gemeinsam geschafft hätten.
Es war alles ein verdammt großes Missverständnis und er konnte sich nur zu gut ausmalen, was genau geschehen war. Seine Mutter hatte Seokjin ja bereits damit gedroht, zur Polizei zu gehen, doch er hatte sie beschwichtigen und sie davon überzeugen können, dass es nicht seine Schuld und vor allem nicht seine Tabletten gewesen waren.
Es musste sein Vater gewesen sein, davon war er mehr als überzeugt. Er hatte ihm schon vor so langer Zeit damit gedroht, zur Polizei und ebenso zur Schulleitung zu gehen, nachdem er seine Krankenakte gesehen hatte. In welcher stand, dass eindeutige Spuren von Rauschmittel in seinem Blut gefunden worden waren.
Damals hatte er ihm das Ultimatum gestellt, dass Seokjin einen Besuch bei der Schulpsychologin wahrnehmen sollte, damit er nicht zur Polizei gehen würde.
Namjoon hatte Seokjin damals versprochen, gemeinsam mit ihm zu gehen, doch dazu war es nicht gekommen. Es war jener verheißungsvolle Nachmittag gewesen, an dem Yesung so dreist seinen Kopf an der Umkleidekabinenwand aufgeschlagen und Seokjin anschließend abgefangen hatte. Damals hatte er nur hoffen können, dass er zu dem Termin allein gegangen war. Doch nach all den Strapazen war das Thema nie wieder zur Sprache gekommen. Jedoch dämmerte es ihm jetzt, dass dieses nicht einhalten der Bitte seines Vaters all die Konsequenzen hervorgerufen hatte.
Das war ebenso eine Sache gewesen, welche er Seokjin niemals mitgeteilt und einfach verschwiegen hatte, in der Hoffnung, alles würde schon gut gehen. Und nun war genau das Gegenteil davon eingetroffen.
Sein Herz schmerzte plötzlich so unerträglich, denn er konnte sich nicht einmal im Entferntesten vorstellen, wie er sich nun fühlen musste. Er war missverständlich so hintergangen und belogen worden. Ebenso körperlich einfach missbraucht und schließlich war er noch in diese seltsamen Mafiamachenschaften verwickelt worden.
Es erstaunte ihn zutiefst, dass Seokjin überhaupt noch gerade stehen konnte. Jedoch wunderte es ihn nicht, wenn Yesung ihn als ziemlich neben sich stehend beschrieb, denn so hatte er ihn auch erlebt.
Es war mit der Zeit zunehmend schlimmer geworden. Doch zuletzt, bei ihrem großen Streit, hatte Seokjin ihm wirklich große Sorgen bereitet.
Und auch Yesung hatte seine Abreibung bekommen, denn Seokjin war so weit gegangen, dass er jemanden sogar physischen Schaden zugefügt hatte, in all seiner Rage. Natürlich war er der Überzeugung, dass Yesung diese Abreibung mehr als verdient hatte und er hätte diesen Part nur zu gern selbst übernommen, doch es passte nicht zu Seokjin, der sonst nur mit Worten seinem Kummer Gehör verschaffte. Oder mit seinen heftigen Emotionen. Aber er hätte niemals geglaubt, dass er ernsthaft so weit gehen und jemanden so heftig verletzten würde.
„Sie sollten mich von der Schule schmeißen. Es ist meine Schuld."
Yesungs Worte durchbrachen schließlich ihr angespanntes Schweigen, in welchem Namjoon nervös in seinem Zimmer auf und ab gelaufen war, denn die Situation machte ihn beinahe wahnsinnig. Vor allem, dass er einfach nichts ausrichten konnte.
Seokjin hatte nichts von dem auch nur ansatzweise verdient, was ihm wiederfahren war und das war definitiv ihre Schuld und auf ihren heftigen Kampf zurückzuführen, welchen sie zwar um Seokjin ausgeführt, aber gleichzeitig auch auf seinen Rücken ausgetragen hatten.
„Was genau ist letzte Nacht geschehen?", überging Namjoon Yesungs Aussage etwas unwirsch und um Luft ringend, während er angespannt eine Hand zur Faust ballte.
Er hatte Angst. Angst, auch nur noch ein weiteres Wort zu hören.
Es war eine furchtbar unerträgliche Angst, die er um ihn hatte. Es war schon fast wie eine Ahnung.
„Weißt du, diese Typen sind mir immer auf den Fersen. Sie beobachten mich. Ich weiß, dass sie da sind. Hocken in ihren Autos und beschatten jeden meiner Schritte, damit ich ja nicht auf die Idee komme, sie irgendwie zu verraten. Seokjin war letzte Nacht bei mir und wir haben gestritten. Ich habe ihn noch gewarnt, als er abhauen wollte. Denn diese Typen... Die haben wirklich ein Auge auf ihn geworfen."
„Was wollen sie von Jin?"
„Sie sind schon lange scharf auf ihn, seit dem Sommer. Seit ich den Fehler gemacht habe, ihn dort mit zu dem Club zu nehmen. Ich hätte das niemals tun dürfen. Sie sind interessiert an ihm, an seinem Aussehen. Diese Leute haben wirklich ein shady Business, du willst nicht wissen, wozu sie mich alles gezwungen haben, was für Fotos sie von mir verlangt haben, für irgendwelche alten, reichen Perverslinge. Sie wollten auch solche Fotos von Seokjin."
Yesung machte inzwischen ein ziemlich angewidertes Gesicht und Namjoon blieb förmlich die Spucke weg, während er ihn einfach nur entsetzt anstarrte.
„W-was?! Aber ich hoffe, du hast nicht...?"
„Doch. Habe ich. Ich habe sie ihnen aber niemals ausgehändigt."
„Was ist passiert, nachdem Seokjin von dir abgehauen ist?"
Yesung zögerte etwas und unterbewusst glitt seine Hand an die Stelle, in welcher jemand mit dem Messer auf ihn eingestochen haben musste.
„Wie ich dir schon sagte... Sie sind überall. Ich bin ihm natürlich sofort hinterhergerannt. Ich wollte ihn aufhalten. Doch sie waren schneller. I-ich konnte kaum etwas ausrichten, aber du musst mir glauben, ich habe versucht, sie aufzuhalten. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung und ich bin froh, dass sie nur ihre Messer dabeihatten. Sie haben mich außer Gefecht gesetzt und Seokjin haben sie... Und jetzt... Sie drohen mir, sie erpressen mich!"
Yesungs Worte verloren immer mehr an Sinn und er schenkte ihm einen so verzweifelten Blick, dass es ihn auf erschreckender Weise fast das Herz zerriss und er das Bedürfnis empfand, ihn irgendwie zu beruhigen.
Er kniete sich wieder neben das Sofa und schenkte ihm jetzt einen eindringlichen Blick.
„Womit erpressen sie dich?"
„Mit Seokjin. Sie wollen Geld von mir. Eine verdammt große Menge. Sie haben mich niedergestochen und es somit geschafft ihn zu kriegen und zu verschleppen."

MONSTER - the creatures we love pt. 1 | BTS NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt