Kapitel 53

111 14 9
                                    

MONSTER – Kapitel 53 –

Namjoons schlanke Finger glitten über die Tapete, als er langsam die Hände an der Wand neben seinen Kopf abstützte und ihm einen tiefen Blick in seine erstaunten Augen schenkte.
Seokjin wusste, das er schon den ganzen Abend kaum den Blick von ihm lassen konnte und zum ersten Mal fühlte er sich so furchtbar begehrt.
Viel zu oft war er besorgt darüber gewesen, Namjoon zu irgendwas zu drängen, oder das er diese kleinen Spielerein zwischen ihnen vielleicht ganz lustig fand, aber doch nicht mehr uns nichts Aufrichtiges von ihm wollte.
Umso mehr verwunderte es ihn, als er eine seiner Hände von der Wand nahm und sie über seinen Körper glitt und so zielgenau seinen Schritt ansteuern schien. Wo er schließlich fest zupackte und ihm damit einen überraschten Laut von seinen Lippen entlockte.
Vielleicht lag es auch daran, dass sie furchtbar betrunken waren und Seokjin kicherte leise und lehnte den Hinterkopf an die Wand hinter sich, als Namjoon zärtlich mit seiner Nasenspitze über seinen Hals glitt.
„Du riechst so gut", hauchte er gegen seine Haut und jeder Millimeter seines Körpers schien inzwischen so aufgeregt zu sein, dass es ihm eine heftige Gänsehaut überjagte.
Namjoon ließ schließlich von ihm ab und trat etwas atemlos vor ihm zurück, um ihn einmal von Kopf bis Fuß betrachten zu können. Er schenkte ihm dabei eines dieser unverschämt frechen Grinsen und Seokjins Herz machte einen heftigen Satz.
Er fragte sich inständig, was wohl gerade in seinem Kopf vorging, doch bevor er überhaupt eine Chance hatte, seinen Mund zu öffnen, um zu fragen, ob alles in Ordnung war, machte Namjoon wieder einen Satz auf ihn zu.
Seokjin trat erschrocken einen Schritt zurück, kollidierte aber sofort mit der Wand, ehe Namjoon ihn erreichte und sein Gesicht zwischen seine Hände nahm.
Den Blick, welchen er ihm in jenem Moment schenkte, hatte er definitiv schon einmal gesehen.
Damals war er davon ausgegangen, er hätte es sich nur eingebildet, nachdem er eine so heftige Abfuhr in dem Riesenrad bekommen hatte. Dabei wusste er bereits, dass er jenen magischen Moment nie falsch interpretiert hatte. Es war immer echt gewesen, Namjoon hatte es ihm bereits gestanden, doch diesen bestimmten Blick nach all der Zeit nun wieder in seinem Gesicht zu finden und ihm die endgültige Bestätigung zu geben, schickte ein wohliges Gefühl durch seinen ganzen Körper.
Nachdem Namjoon ihn eine Weile so eindringlich angesehen hatte und sein Gesicht fest zwischen seinen Fingern hielt, konnte er seinem Blick nicht länger Stand halten.
„W-was ist mit dir? Wieso siehst du mich so an?", fragte er mit leiser, brüchiger Stimme in die zuvor eingetretene Stille. Nur das Meer rauschte sanft hinter dem gekippten Fenster und die weißen Gardinen raschelten leise im Wind, von welchem sie umspielt wurden.
Namjoon antwortete ihm nicht, sondern beugte sich langsam zu ihm vor und küsste ihn schließlich.
Sanft legten sich seine Lippen auf seine eigenen und er küsste ihn plötzlich so zaghaft und beinahe liebevoll, dass Seokjin spürte, wie ihm die Knie weich wurden und er langsam in seine Arme sank.
Noch bevor er den Kuss überhaupt richtig erwidern konnte, hatte er sich auch schon wieder von ihm gelöst. Sein Gesicht war so furchtbar nah an seinem und er blickte ihn so seltsam nachdenklich an, dass Seokjin fürchtete, er hätte es sich wieder anders überlegt, hätte seine Aussage von eben doch revidiert. Oder würde seine trunkenen und überstürzten Handlungen eventuell doch bereuen. Doch während Namjoon so eindringlich in seine Augen sah, konnte er genau beobachten, wie er sich leicht über die Lippen leckte und er glaubte nun, dass sein Verstand für einen kurzen Moment vollkommen ausgesetzt hatte. Wie hypnotisiert blieb er mit seinem Blick an seinen Lippen hängen, bis Namjoon seine Finger in seinem Haar vergrub. Er überbrückte die kurze Distanz zwischen ihnen schließlich und küsste ihn nun wieder, jedoch dieses Mal mit einer süßen Bestimmtheit.
Er war froh, dass er sich in jenem Moment gegen die Wand hinter sich lehnen konnte und Namjoon den Arm so fest um seine Hüfte gelegt hatte, denn sonst hätte er wahrscheinlich endgültig das Gleichgewicht verloren.
Er küsste ihn nun um einiges inniger als zuvor und schließlich erwiderte Seokjin ihn mit vollster Hingabe und legte seine Arme vorsichtig um seinen Nacken.
Er wusste nicht genau, wie ihm geschah, doch sein Herz schien ihm fast aus der Brust zu springen. Es fühlte sich fast an, wie ein fiebriger Traum, denn ihm wurde so furchtbar warm, obwohl durch den Spalt des geöffneten Fensters immer wieder die kalte Meeresbrise zu ihnen in das Zimmer drang.
Namjoons Finger schoben sich unter sein Oberteil und berührten in voller Vertrautheit seine heiße Haut, ehe er es ihm langsam den Oberkörper hinauf schob und den innigen Kuss löste, um es ihm förmlich über den Kopf zu zerren.
Sein Blick war nun um einiges hungriger geworden, wenn er ihn ansah und Seokjin spürte, wie ihm jedes Mal förmlich der Atem stockte und er lächelte leise in sich hinein.
Ihm war etwas schwindelig von dem Alkohol, welchen er intus hatte und er merkte, wie er etwas hin und her schwankte, doch er beobachtete ihn aufmerksam dabei, wie er sich ebenfalls seines Pullovers entledigte und ihn achtlos irgendwo beiseite warf, ohne das sie dabei den Blick voneinander abließen.
Seokjin fragte sich noch ein paar Mal, inwiefern er das wirklich wollte, oder ob Namjoon so betrunken war, dass er nicht mehr wirklich realisierte, wie sehr er seine Mauern fallen ließ, um ihm noch das letzte Bisschen von ihm zu geben, was ihm immer so sehr gefehlt hatte. Oder er sich in aller Heimlichkeit immer gewünscht hatte. Und sein Körper hatte ihn in vergangener Zeit zu häufig in Stich gelassen und ihm eindeutige Signale geschickt.
Er hatte sich oft versucht vorzustellen, wie es sein würde, wenn er mit Namjoon schlafen würde. Wie sich seine Küsse und Berührungen wohl anfühlen würden, doch nichts aus seiner Vorstellung kam an das ran, was er ihm in jenem Moment gab, oder was er dabei empfand.
Seokjin spürte, wie sehr er das wollte, wie nah er ihm sein und diesen besonderen Moment der Vertrautheit mit ihm erleben wollte.
Und endlich zu sehen, wie sehr Namjoon ihn doch zu wollen schien, trieb ihm förmlich die Tränen in die Augen. Mit welch leidenschaftlichen Blick er ihn musterte und er genoss jeden stürmischen Kuss, den er ihm schenkte.
Nach einer Weile, in der er einfach nur förmlich in seinem Arm gelegen und sie hitzige Küsse getaucht hatten, zerrte Namjoon ihn bestimmend am Oberarm hinter sich her.
Doch tatsächlich war dies jener Moment, in welchem er sich plötzlich das erste Mal seltsam unbehaglich fühlte, als sich seine Finger so fest um seinen Oberarm schlossen und wie bestimmend an ihm gezogen wurde.
Es war nur ein kleiner Blitz aus seinem Unterbewusstsein gewesen, doch als er ihn so abrupt rücklings auf das Bett geschubst hatte, war es das Aufkommen mit dem Hinterkopf, welches dieses Gefühl erneut in ihm losgetreten hatte.
Es war ein seltsam beklemmendes Gefühl, oder ein weit entfernter Warnruf, der wie ein endloses Echo in seinen verschwommenen Erinnerungen lauerte.
Seokjin hatte das Gefühl, dass ihm der Alkohol plötzlich unangenehm in seiner Kehle brennen würde und das sein Kopf furchtbar schmerzte, obwohl er auf einer weichen Matratze gelandet war.
Doch die Ablenkung kam schnell, als sich Namjoon über ihn beugte und übermutige Küsse auf seinem Hals verteilte und immer wieder sanft die Zähne in seiner Haut vergrub. Seokjin gab ein leises, atemloses Keuchen von sich und er schlang ein Bein um seine Hüfte, um ihn dichter an sich zu drücken.
Sie schmiegten sich so voller Leidenschaft aneinander, während Namjoon ihn so hingebungsvoll küsste.
Er spürte deutlich, wie dieses Mal seine Zunge ungeduldig an seinen Lippen entlang fuhr und langsam öffnete er den Mund. Ihre Zungenspitzen trafen sich zum ersten Mal in neugieriger Euphorie und er stöhnte leise in diesen Kuss, als Namjoons Fingerspitzen so zart über seinen Oberkörper fuhren. Er jedoch anschließend seine Fingernägel in seine Haut bohrte und der bittersüße Schmerz ihn beinahe um den Verstand brachte.
Doch so inniger seine Küsse und Berührungen wurden und obwohl er genau das so sehr wollte, spürte er wieder dieses seltsame Gefühl tief in sich, welches sich heftig versuchte in sein Bewusstsein zu kämpfen.
Er hatte dieses Gefühl eigentlich schon viel zu lang gespürt und verdrängt, doch die Alarmglocken in ihm schienen immer schriller zu Läuten, je ungezähmter Namjoon zu werden schien.
Es war eine Mischung aus allem, was so unangenehm in seinen Erinnerungen klopfte. Es war der Alkohol und der unerklärliche Schmerz in seinem Hinterkopf.
Angestrengt versuchte Seokjin die tobenden Wellen der Panik in sich zu ignorieren, denn es gab eigentlich keinen Grund, sich vor irgendetwas zu fürchten.
Er wollte sich ihm einfach nur hingeben und diesen süßen Moment der Lust, auf welchen er so lang gewartet hatte, einfach nur genießen. Alles vergessen und einfach nur abschalten. Namjoon hatte das erste Mal so richtig die Initiative ergriffen und ihm so schamlos klar gemacht, wie sehr er ihn zu wollen schien, er wollte nichts sehnlicher, als diesen wunderbaren Moment voller Hingabe auszukosten.
Doch als er schließlich so gekonnt und problemlos seine Hose öffnete und langsam mit seinen Fingern hinein glitt und ihn an der, wahrscheinlich, privatesten Stelle seines Körpers so direkt und fordernde berührte, schien bei ihm ein Knoten zu platzen.
Als Namjoons heißer Atem sein Ohr streifte und er ihm irgendetwas leise hinein zu flüstern schien, weitete er erschrocken die Augen.
Denn seine Worte vermischten sich mit denen von jemand Anderem. Der ebenfalls so über ihn gebeugt gewesen war und ihm innige Worte zugeflüstert, während ihm der schlimmste Moment seines Lebens bevor gestanden hatte. Es waren Worte eines längst vergessenen Liebesschwurs, der so verzweifelt geklungen hatte und doch keine weitere Tat entschuldigen konnte, die darauf gefolgt hatte.
Seokjin konnte sich nun wieder deutlich erinnern, der Nebel der Verdrängung war gelüftet worden und die Erinnerung prasselte so erbarmungslos auf ihn ein. Wie ein bitterer, viel zu heißer Regen, brannte sie auf seiner Haut.
Er wusste wieder genau, was in jener unheilvollen Sommernacht geschehen war, als er so heftig auf den Boden gefallen war. Und wie furchtbar benommen ihn der Aufprall auf seinen Hinterkopf gemacht hatte. Dieser Schmerz hatte sich so in seine Erinnerungen gefressen, dass er ihn noch heute so genau spüren konnte, stechend und pochend. Als wäre es nur wenige Sekunden her gewesen, dass er ängstlich und keuchend auf dem kalten Parkettboden gelegen hatte, vollkommen wehrlos von der Benommenheit.
„Hör auf... I-ich bitte dich...", bat ihn Seokjin mit schwacher Stimme und legte seine Hände an Namjoons Schulter, um ihn von sich drücken zu können.
Doch dieser schien ihn nicht gehört zu haben und reagierte nicht auf seine Bitte und in seiner heftigen Panik fuhr er schließlich ins Sitzen und schubste ihn mit aller Kraft von sich.
Namjoon stolperte rückwärts von ihm und landete schließlich auf dem Boden vor dem Bett. Erschrocken blickte er zu ihm auf.
„Was ist? Hab ich was falsch gemacht? Hab ich dir weh getan?", fragte er mit heftiger Besorgnis in seiner Stimme und richtete sich sofort auf.
Seokjin starrte einfach nur entsetzt irgendwo in die Leere und sein Herz hämmerte unerträglich doll gegen seinen Brustkorb. In jenem Moment schien alles einfach an ihm vorbei zu ziehen und selbst Namjoons Worte brauchten furchtbar lang, ehe sie ihn wirklich zu erreichen schienen.Alles war zu ihm zurück gekehrt, die Erinnerungen an jenen Abend, die sein Unterbewusstsein so angestrengt versucht hatte, vor ihm zu verwahren.
Die Gerüche, Geräusche und das Gefühl, alles war plötzlich wieder so präsent und nicht länger zu verleugnen, obwohl er am Liebsten seine Augen einfach weiter vor ihr verschlossen hätte. Denn die Wahrheit tat viel zu sehr weh, als das er sie ertragen konnte und er wusste nicht einmal, wie er sie überhaupt aushalten sollte.
„Was... Ist mit dir?", fragte Namjoon nun etwas argwöhnischer und suchte seinen Pullover auf dem Boden, ehe er sich diesen hastig über den Kopf zog. Als er sich angezogen hatte, ließ er sich langsam neben ihn auf der Bettkante nieder, doch Seokjin blickte nicht zu ihm auf.
„Kannst du... Dich etwa wieder erinnern?"
Nun schnellte sein Kopf in Namjoons Richtung und er spürte, wie ihm die Erschrockenheit über diese Aussage den Atem abschnitt.
„Du... Du weißt es?", fragte er jetzt mit blanken Entsetzten in seiner Stimme und er konnte deutlich in seinem Gesicht erkennen, dass er abzuwägen schien, welche nächste Antwort nun die Richtige sein würde.
Doch Seokjin wusste sie längst, er konnte die Unsicherheit förmlich aus seinen Augen heraus lesen und die Tränen schossen ihm schmerzhaft schnell in die Augen.
„Du weißt es etwa?!", wiederholte er nun etwas lauter und erhob sich langsam von dem Bett. Er starrte Namjoon einfach nur fassungslos an und dieser schien seinen Blick genau so erschrocken zu erwidern. Er schien ebenfalls ziemlich entsetzt über seine Reaktion zu sein und rang immer noch mit sich und einer Antwort auf seine Frage.
Seokjin hatte sich in seinem Leben wahrscheinlich noch nie so elendig gefühlt.
So absolut hintergangen und benutzt. Es ließ ihn prompt alles Vergangene brennend in Frage stellen und wie er jemals in seinem Leben noch mal Jemandem vertrauen sollte.
Denn offensichtlich schien ihn jeder einfach nur belogen zu haben. Egal welche Art und Intensivität an Gefühlen er für Jemanden empfunden hatte, sie waren ihm alle nur mit Respektlosigkeit begegnet. Und er spürte deutlich, wie dreckig er sich plötzlich fühlte und er zittrig mit seinen eigenen Händen über seine Haut fuhr, als könnte er damit dieses Gefühl einfach von sich abwischen.
Doch jede unerwünschte Berührung und jeder Kuss schien wie in ihm eingebrannt worden zu sein und ihn schmerzhaft daran zu erinnern, wie schwach er doch war. Und wie man ihn einfach benutzt hatte und er offensichtlich wertlos genug war, dass es Niemand für Nötig gehalten hatte, ihm die Wahrheit zu sagen. Man hatte ihn einfach still leiden lassen, oder wie ein verletztes Wildtier rücksichtslos am Straßenrand zum sterben zurückgelassen.
„Bitte bleib ruhig. Versetz dich mal kurz in meine Lage, Jin. Wie hätte ich dir das bitte ordentlich erklären sollen?"
„Es ist also wahr? Es ist wirklich wahr, dass das passiert ist?!"
Seokjin brach schließlich ungehalten in Tränen aus, denn für eine Sekunde hatte er tatsächlich doch den Funken Hoffnung gehabt, dass sein Bewusstsein ihn nur einen Streich spielen wollte.
Namjoon war sofort an seiner Seite, um ihm beschwichtigend einen Arm um seine bebende Schulter zu legen, doch er schubste ihn heftig von sich weg.
„Fass mich nicht an!! Du bist so ein elender Lügner! Du bist kein Stück besser, als... Als..."
„Als Yesung, du kannst seinen Namen ruhig aussprechen"
Als Namjoon Yesungs Namen nannte, schien es ihn förmlich in Schock zu versetzten und schluchzend wand er sich von ihm ab und sammelte seine Klamotten auf.
Als er seinen Namen gehört hatte, verstand er endlich, wieso er die ganze Zeit dieses unterschwellig ungute Gefühl hatte, wenn er mit ihm zusammen gewesen war. Trotz aller Zärtlichkeit und seltsamer Anziehung zwischen ihnen, hatte sein Unterbewusstsein ihm trotzdem nicht nur einen Streich gespielt, als es all diese heftigen Warnzeichen an ihn geschickt hatte.
„Willst du mich etwa auch einfach nur benutzten, ist das dein Ziel bei der ganzen Sache?", fragte er von zitternden Lippen und seine Augen brannten unangenehm von all den Tränen, die so unkontrolliert aus ihm heraus brachen. Er wusste plötzlich nicht mehr, was Richtig und Falsch war, jegliches rationales Denken schien ihm zu entgleiten und in seinem Kopf war förmlich ein Krieg ausgebrochen, welchen er nicht schlichten konnte.
Wer war Gut und wer war Böse und wer hatte hier wem eigentlich am Meisten weh getan? Und wer hatte am ehesten Schuld?
Namjoon weitete kurz entsetzt die Augen, als er seine Frage vernahm und machte einen Schritt auf ihn zu, doch er wich automatisch einen Schritt vor ihm zurück.
„Was redest du für einen Unsinn? Ich wollte dich immer nur beschützen und dich davor bewahren!"
„Also hast du einfach beschlossen, mich im Unklaren darüber zu lassen? Woher weißt du es und wer weiß es noch alles?"
Er konnte seine Worte kaum glauben. Und es schmerzte so sehr, zu realisieren, wie sehr Namjoon ihn offensichtlich vorgeführt hatte. Er schämte sich so schmerzhaft sehr, dass er den seelischen Pein so intensiv in seinem ganzen Körper brennen spüren konnte.
Nicht nur den Schmerz darüber, dass er so belogen und benutzt wurde, sondern er fühlte sich so schrecklich verbraucht und Namjoon nicht mehr ebenbürtig.
„Ehrlich gesagt, weiß ich es von Yesung selbst. Aber ich konnte es zuerst selbst nicht glauben..."
„Von...? Wann... Hat er es dir gesagt?"
Seokjin spürte, dass er nicht einmal seinen Namen aussprechen konnte, so tief saß der Schock über das gerade realisierte. Er hatte das Gefühl, er würde nun vollkommen den Verstand verlieren und am Liebsten hätte er einfach nach etwas gegriffen und es Namjoon heftig um die Ohren geschlagen, so intensiv schäumte seine Wut und seine bittere Verzweiflung in ihm.
„Es ist schon lange her. Damals im Krankenhaus, als du nicht bei Bewusstsein warst..."
„So lang weißt du es schon? Ist das dein Ernst?! Ihr... Ihr unterhaltet euch so schamlos einfach über meinen Kopf hinweg und ich weiß von Nichts?!"
Er konnte jetzt kaum noch an sich halten und in purer Rage griff er nach der Schneekugel, die unschuldig schimmernd auf der Fensterbank hinter ihm stand und schleuderte sie Namjoon mit aller Kraft entgegen, als er wieder ein paar Schritte auf ihn zumachen wollte.
Dieser konnte gerade noch erschrocken den Kopf einziehen und das Glas der Kugel zersprang klirrend und verheißungsvoll an der Wand direkt hinter ihm. Für einen Moment war es vollkommen still geworden und der Kunstschnee und der feine Glitzerstaub schwebten lautlos und seltsam magisch in der Luft und rieselten schließlich wie in Zeitlupe in Richtung des Bodens.
„Ich habe mich so in dir getäuscht, Kim Namjoon..."
Es fiel ihm furchtbar schwer, überhaupt noch einen richtigen Satz über seine zitternden Lippen zu bringen. Alles in ihm tobte so wild und seine Gedanken drehten sich so schnell, dass ihm unerträglich schwindelig wurde.
Die Erinnerung stachen unerträglich fies, wie winzige Messer, die förmlich in seinem Kopf zu stecken schienen.
„Hör mir bitte zu, Jin! Du musst dich beruhigen, ich versteh das du aufgebracht bist, aber du machst mir Sorgen"
Trotz all seiner Warnungen und Bitten kam Namjoon nun wieder auf ihn zu und versuchte ihn leicht an den Schultern zu rütteln, doch wieder schubste er ihn in heftiger Inbrunst von sich.
„Fass mich nicht an. Fass. Mich. Nie. Wieder. An. Du bist so ein DRECKIGER LÜGNER! Du hast immer nur gelogen, die ganze Zeit! Es dir immer nur schön einfach gemacht und das auf meinem verdammten Rücken ausgetragen! Was war noch alles gelogen?! Ist das hier auch eines deiner kleinen Spielchen? Ich lass mich nicht länger von dir verarschen! Ich hab viel zu lang weggesehen, obwohl ich es genau gewusst habe! Ich konnte es jedes Mal sehen, wenn du nicht ehrlich mit mir warst und ich, in meiner dummen Naivität, habe es einfach so hingenommen weil ich so verliebt in dich bin, wie der letzte Trottel!"
Die Worte sprudelten nur so aus ihm hinaus und er spürte, wie er nun leise lachen musste. Zwischen all den Tränen der bitteren Verzweiflung, gesellte sich nun auch das Vergnügen, über seine eigene Dummheit.
Er war dumm genug gewesen, sich die ganze Zeit vorführen und belügen zu lassen und zu viel zu fühlen, so wie er es zu oft tat.
Namjoon war von seinem Schubsen dieses Mal tatsächlich rücklings zu Boden gestürzt und als er sich dieser wieder keuchend aufrichtete, schien seine Hand zu bluten. Er war direkt in die Scherben der zerstörten Schneekugel gefallen und zu dem riesigen, nassen Fleck und dem glitzernden Kunstschnee auf dem Teppichboden, sog sich auch langsam das rote Blut, welches von Namjoons Unterarm herunter tropfte.
Wie in Trance beobachtete er diese Szenerie für einen kurzen Moment, doch es tat ihm nicht mal Leid. Er konnte auf seltsame Weise kein Mitleid mehr empfinden und hastig wand er sich schließlich von Namjoon ab, der inzwischen fluchend mit einem Handtuch versuchte, die Blutung an seiner Handfläche zu stillen.
Seokjin warf unwirsch und gedankenlos all seine Sachen, die er finden konnte, in seinen Rucksack und schlüpfte in seinen Mantel, ehe Namjoon ihn wieder erreichte, immer noch mit dem Handtuch um seine Hand gewickelt und etwas blasser um die Nase.
„Was, zur Hölle, hast du vor? Was soll das werden?"
Als er sich seinen Rucksack auf den Rücken werfen wollte, schnappte er sich eine der Schlaufen und hinderte ihn somit daran.
„Lass los, verdammt! LASS LOS! Ich ertrag dich nicht mehr, ich will hier weg!", erklärte er ihm vor Wut schnaubend und zerrte zittrig an dem Rucksack, doch Namjoon ließ nicht los.
„Du kannst jetzt nicht einfach abhauen! Ich will mit dir darüber reden, zieh deinen scheiß Mantel aus und beruhig dich endlich! Du kannst in deinem Zustand gerade nirgends hingehen, Jin!"
„Du hast mir nichts zu sagen! Und ich habe nicht vor, jemals nochmal ein Wort mit dir zu wechseln. Egal, was aus deinem Mund kommt, es ist gelogen. Es ist alles nur erlogen gewesen. ALLES! WIE KONNTEST DU MIR DAS ANTUN?!"
„Also ist sein Plan sogar aufgegangen... So ein elender Mistkerl. Er hat das alles so schlau ausgeklügelt und sogar bekommen, was er wollte", nuschelte Namjoon plötzlich in sich hinein und zog etwas fester an dem Träger des Rucksacks, senkte allerdings etwas betroffen den Blick gen Boden.
„Was für ein Plan, wovon redest du?", fragte Seokjin etwas atemlos und eine neue Welle von Argwohn machte sich in ihm breit, als er beobachtete, wie Namjoon sich betroffen auf der Unterlippe herum kaute.
„Sein verdammter Plan. Alles, worauf er je abgezielt hat... Er hat es mir so schamlos ins Gesicht gesagt. Das er immer mehr von dir haben wird, als ich je bekommen werde. Und er hatte sogar Recht. Er hat genau ins Schwarze getroffen, mit dem, was er getan hat"
„WAS STIMMT DENN NICHT MIT EUCH?! Das ist doch kein krankes Spiel! Ich bin doch kein Gegenstand, um den man sich streiten kann!"
„UND WAS IST MIT DIR? Du bist doch auch kaum besser, du hast genau so gelogen! Du hast mir unterstellt, ich wäre nicht so weit, dabei bist du es selbst nicht mal! Du hast mich damals angelogen, als ich dich gefragt habe, ob du auch Gefühle für Yesung hast. Ist doch so, oder nicht? Du empfindest auch etwas für ihn und das Alles steht dir so dermaßen im Weg! Merkst du das nicht, wie sehr dich das beeinflusst?!"
Seokjin schmiss ihm schließlich zornig seinen Rucksack in die Arme und machte hastig auf dem Absatz kehrt, ohne ihm eine Antwort zu geben. Denn er glaubte, dass er ihm keine schuldig war und stürmte aus dem Hotelzimmer in den kalten Flur hinaus. Tatsächlich waren bereits ein paar andere Gäste verwundert stehen geblieben und machten große Augen, als sie letztlich erfuhren, woher der Streit und das Geschrei zu kommen schien.
„Jin! JIN! Bleib gefälligst hier, du kannst jetzt nicht gehen, ich bitte dich!"
Namjoon schien ihm auf den Flur gefolgt zu sein und er wirbelte wieder zu ihm herum.
„Nenn mich nicht so! Und lass mich einfach in Ruhe. Lass. Mich. IN RUHE! Verstanden? Ich will keine deiner Lügen mehr hören. Ich will dich... Ich will dich NIE WIEDERSEHEN! Ich hasse dich... ICH HASSE DICH, hast du Verstanden?!", schrie er ihn unter heftigen Tränen an und es war ihm vollkommen egal, dass die anwesenden Hotelgäste sie argwöhnisch bei ihrem Streit beobachteten.
Namjoon erwiderte zwar seinen Blick, doch seine Augen waren geweitet und er sagte kein Wort mehr, obwohl sein Mund leicht geöffnet war, als wollte er noch etwas erwidern. Doch er sagte nichts mehr.
Verzweifelt rang Seokjin nach Luft, musterte ihn noch ein letztes Mal, drehte sich dann allerdings wieder um und lief schluchzend den Flur hinunter.
Er musste sich ein paar abstützen, denn seine Beine zitterten so heftig, dass er sich kaum noch aufrecht halten konnte.
Als er eine Weile gerannt war und das Hotel schon längst in der Dunkelheit irgendwo weit hinter ihm lag, blieb er schließlich stehen und presste eine Hand auf seine bebenden Lippen. Immer noch rannen die heißen Tränen über seine erhitzten Wangen und seine Kehle schmerzte inzwischen so unerträglich sehr.
Er konnte seine rasenden Gedanken kaum noch ordnen, oder irgendwie im Zaum halten.
Und diese blinde Wut und der Schmerz gewannen immer mehr überhand und machten jeglichen rationalen Gedankengang zunichte.
Natürlich hasste er Namjoon nicht. Doch das war genau der Punkt, welcher ihn so endlos sehr leiden ließ. Das der Mensch, dem er, trotz Allem, am Meisten vertraut hatte und so sehr liebte, ihn so abgrundtief hintergangen hatte. Ihn im Unklaren darüber gelassen hatte, wieso er sich all die Zeit so seltsam und miserabel gefühlt hatte, ihm nicht geholfen hatte, zu den schmerzenden Erinnerungen zu horchen und der Wahrheit ins Auge zu sehen. Ein Teil von diesem perfiden und feigen Spiel zu sein schien, in welchem er schon viel zu lang involviert zu sein schien.
Er schleppte sich mit letzter Kraft zu dem nächsten Gebüsch, welches ihm am nächsten war, um sich heftig zu übergeben.
Es war eine Mischung aus dem Alkohol, welcher ihm inzwischen so sauer aufzustoßen schien und die Erkenntnis über die Tatsache, wie er einfach so schamlos missbraucht und hintergangen wurde und ihm einfach alles entrissen wurde, was jemals seine Unschuld oder seine Unberührtheit ausgemacht hatte. Ihm war alles genommen worden, alles wurde mit erschreckender Leichtigkeit zerstört, was ihn jemals ausgemacht hatte.
Es war nichts mehr von ihm übrig, was ihn nach all dem noch ordentlich zusammen hätte halten können, denn er hatte alles verloren.
Und die Leere war still und bedrohlich einnehmend.
Das einzige Gefühl, welches noch tief in ihm brannte, war die vollkommene Wertlosigkeit, die ihn in jenem Moment beinahe um den Verstand zu bringen schien.
So sehr Seokjin auch wollte, er wusste, dass er Namjoon dies womöglich niemals verzeihen konnte. Und er wusste nicht, wie er ihm jemals mehr in die Augen blicken könnte, ohne sich so endlos sehr zu schämen für das, was er war.
Eine minderwertige Spielfigur in einem kranken Strudel aus Rache und Hass, welcher immer mehr von ihm zu konsumieren schien und das letzte bisschen Glückseligkeit in ihm erschreckend brutal zu Nichte machte.

MONSTER - the creatures we love pt. 1 | BTS NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt