Kapitel 29

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MONSTER – Kapitel 29 –

Gedankenverloren blickte Seokjin in sein Spiegelbild und betrachtete die dunklen Ränder unter seinen Augen. Er merkte, wie ihn die Müdigkeit wieder einholte und er blinzelte ein paar Mal angestrengt, um sie irgendwie abzuschütteln. Erst jetzt fiel ihm auf, das der Wasserhahn immer noch aufgedreht war und er immer noch seine Hände unter das kalte Wasser hielt. Hastig drehte er den Hahn zu und wischte sich mit seinen kalten Fingern über die Stirn. Er war so angespannt und der Knoten in seiner Brust schien sich nur noch mehr zugezogen zu haben, nachdem er das Foto gesehen hatte. Erschöpft ließ er sich auf dem Badewannenrand nieder und atmete ein paar Mal tief durch. Er spürte, wie er leicht zu wanken schien und er legte eine Hand an die Wand neben sich, um irgendwo halt zu finden. Wenn er mit Namjoon zusammen war, versuchte er in letzter Zeit so zu tun, als wäre er stark und dass er das schon alles irgendwie wegstecken würde. Er wollte ihn nicht weiter beunruhigen und nicht ständig streiten oder über die schlechten Dinge sprechen. Doch mit jedem Tag der verging, merkte er deutlich, dass auch seine Kräfte zu schwinden schienen. Er hielt es einfach nicht mehr aus, die Ungewissheit und das verzweifelte Interpretieren von jedem Blick, den Namjoon ihn schenkte. Und mit einem vollkommen vernebelten Unterbewusstsein, welches wie zu einer anderen Person zu gehören schien und von ihm nicht akzeptiert werden wollte. Und die neuen Erkenntnisse, die er gewonnen hatte, nachdem er das Polaroid gesehen hatte, verwirrten ihn nur umso mehr. Wenn er sich daran zurück erinnere, das Yesung ihn so direkt danach gefragt hatte, ob er die Tabletten wirklich nur wegen dem Leistungsdruck nehmen wollte, konnte er dann davon ausgehen, dass er irgendwie über ihn Bescheid gewusst hatte? Hatte er ihn damals schon indirekt auf Namjoon angesprochen? Die Fragen erschütterten ihn förmlich und er spürte, wie sich sein ganzer Körper verkrampfte. Da war wieder dieses unkontrollierbare Verlangen nach den Tabletten, nach dem sein Körper immer dann so heftig schrie, wenn es einfach zu viel wurde. Zu viele Gedanken und zu viele Emotionen, die nicht auszuhalten waren. Yesung war nicht dumm, er hätte ihn sicherlich damals nicht einfach so geküsst, wenn er nicht irgendwas gewusst hätte. Dafür war ihm sein Ruf und seine Position viel zu wichtig. Das hätte er niemals für eine wage Vermutung aufs Spiel gesetzt. Hatte er die Fakten einfach nur durch seine Beobachtungsgabe erkannt? Wie lang hatte Yesung ihn schon beobachtet und mit was für einem starken Interesse musste er hingesehen haben, um ihn einfach so deuten zu können. Er schüttelte den Kopf und stand schließlich auf und er merkte, wie schwer sich seine Beine anfühlten. Jedoch musste er jetzt durchhalten, denn er würde an seinem Plan festhalten. Das war der einzige Strohhalm, an welchen er sich so verzweifelt festklammerte. Denn er sehnte sich so sehr nach Ruhe. Ruhe um neue Kräfte zu sammeln, die er ebenfalls dazu brauchte, um auf Namjoon zu warten und um ihn seine Zeit zu geben, die er brauchte. Er würde alles dafür tun, um sie aus diesem Desaster zu befreien, denn er ertrug es einfach nicht länger. Und er bezweifelte, das Yesung einfach damit aufhörte, wenn er ihn darum bitten würde, dafür war er viel zu verbissen in seine Sache und seine Ansichten. Und seiner Eifersucht. Yesung hatte es ihm selbst gesagt, dass er glaubte, er hätte schon längt gewonnen. Aber er wollte kein Preis sein, er wollte viel mehr als das sein. Als Seokjin das Bad verließ, um zurück zum Wohnzimmer zu gehen, von welchem immer noch hitzige Monologe von Akuma zu hören waren, hielt er schließlich inne. Er überlegte kurz, ehe er langsam zu der Garderobe hinüber ging und nervös blickte er sich um. Doch die Tür vom Wohnzimmer war angelehnt und nur ein kleiner Lichtstrahl, welcher durch den schmalen Spalt fiel, erhellte den dunklen Flur und wog ihn in eine gewisse Sicherheit. Zittrig suchte er nach Yesungs Mantel, doch es war nicht schwer ihn von den anderen zu unterscheiden, denn er roch deutlich nach kaltem Zigarettenrauch. Er tastete den Mantel vorsichtig ab und glitt mit den Fingern in die Taschen. Zuerst fand er nicht mehr als altes Kaugummipapier und eine angebrochene Schachtel Zigaretten. Bis ihm schließlich ein Handy in die Hände fiel und verblüfft zog er es aus einer seiner Innentasche hervor. Seokjin hätte niemals gedacht, dass das Glück doch noch mal auf seiner Seite sein würde. Atemlos hielt er es zwischen den Händen und starrte es eine Weile an. Schließlich betätigte er eine der Tasten und es gab tatsächlich keine Passwortsperre. Sollte das sein Glückstag sein? Eilig drehte er sich mit dem Rücken zur Tür und ging ein paar Schritte weiter in die Dunkelheit, wobei ihm das Licht des Displays unangenehm in den Augen brannte. Hilflos starrte er auf das Gerät und zuerst wusste er gar nicht, wonach er eigentlich suchen sollte, denn er war so überrascht über Yesung Unvorsichtigkeit.  Schließlich glitt sein Finger auf das Symbol der Messenger Dienstes und er betrachtete neugierig die Liste der Leute, mit denen er zuletzt geschrieben hatte. Ein paar Namen kannte er, sie waren die von seinen Freunden, mit denen er die meiste Zeit rumhing. Er belegte allerdings so gut wie keine gemeinsamen Kurse mit all diesen Leuten, deshalb kannte er sie nicht wirklich, nur von den Auseinandersetzungen, welche sie in der Vergangenheit gehabt hatten. Unfreiwillig erreichte ihn die Erinnerung an den kalten Regen und den Matsch von jenem Nachmittag hinter der Sporthalle, an dem dieser eine Kerl gnadenlos auf ihn eingetreten hatte. Seine Rippen ziepten unangenehm bei dem Gedanken und er konnte sie förmlich wieder brechen hören. Wie damals, als er kaum Luft bekam, weil der starke Regen so erbarmungslos auf sein Gesicht eingeschlagen hatte und er deshalb kaum atmen konnte. Der Name ganz Oben in der Liste kam ihm nicht bekannt vor und der Chat war mit einem Favorit markiert worden. Die Uhrzeit neben dem Namen sagte ihm, dass sie erst vor einer Stunde zuletzt geschrieben hatten und er tippte darauf, um die Unterhaltung genauer lesen zu können.

MONSTER - the creatures we love pt. 1 | BTS NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt