Vorsichtig übe ich Druck auf die Wohnungstür aus. Ich atme nicht. Mein Blick ist konzentriert auf die Klinke in meiner Hand gerichtet. Noch ein kleines Stück ... Ich kneife die Augen zusammen. Und dann. Das wohlbekannte, übertrieben laute, blecherne Kreischen, das so klingt, als würde ein Stück Metall über eine Tafel kratzen, schallt durch die Wohnung. Ich verziehe mein Gesicht. Dieser Tür ist wirklich nicht mehr zu helfen ...
„Ich bin wieder da", brülle ich, obwohl sich das jetzt auch erübrigt hat. Aus dem Wohnzimmer kommt ein desinteressiertes Grummeln. Ich lege meinen Schlüssel auf die Kommode, dann schlüpfe ich aus meinen Schuhen und werfe sie in eine Ecke. Mein Blick fällt kurz auf ein am Boden liegendes paar Schuhe, das mir unbekannt ist und so abgenutzt aussieht, dass ich sogar glaube, ein paar Löcher darin zu erkennen. Entweder kauft Zayn plötzlich in Second-Hand-Läden ein, oder wir haben einen Obdachlosen zu Besuch ...
„Louis, komm mal her", ertönt ein Gemurmel aus dem Wohnzimmer. Zayn spricht so leise, weil er keine Lust hat, die nötige Energie aufzubringen und einfach immer voraussetzt, dass man die Worte, die er zwischen seinen halb geschlossenen Lippen hervorpresst, versteht. Wer das nicht tut, hat eben Pech gehabt.
Ich schlurfe durch den Flur und schiebe meinen Kopf durch die Wohnzimmertür. „Was gibts?"
Zayn sieht nicht von seinem Buch auf, bleibt genauso dort auf dem Sofa liegen, die Beine lässig überschlagen und die Brauen zusammengekniffen. Er trägt noch seine Arbeitskleidung: ein blaues abgenutztes T-Shirt mit dem Logo der Tankstelle aufgedruckt, bei der er arbeitet. „Ich habe versucht dich zu erreichen. Du solltest echt mal dein Handy reparieren lassen", sagt er, scheinbar gelangweilt. „In deinem Zimmer wartet eine Überraschung auf dich. Wenns dir nicht gefällt, such dir halt ne eigene Wohnung."
Ich runzele die Stirn. „Schlecht drauf?"
„Natürlich bin ich schlecht drauf."
Ich seufze. Seit Zayn mit dem Rauchen aufgehört hat, ist er unerträglich. „Weißt du, wenn du niemals mit diesem Drogenscheiß angefangen hättest –"
„Halt die Klappe und leb damit."
Ich murmele ein „ist ja gut" und wende mich zum Gehen.
„Louis", ruft Zayn mich nochmal zurück. „Klopf an, bevor du in dein Zimmer gehst, okay?"
Ich öffne meinen Mund und will fragen, was genau diese Überraschung in meinem Zimmer sein soll, aber mir wird klar, dass Zayn es mir eh nicht sagen wird. Ich muss wohl oder übel selbst nachsehen. Ich gehe zurück in den Flur und bleibe vor meiner Zimmertür stehen. Was auch immer dahinter auf mich lauert, es klang nicht so, als ob ich mich sonderlich darüber freuen werde.
Übrigens sollte ich an dieser Stelle die Aussage „Mein Zimmer" vielleicht mal kurz korrigieren. Genau genommen ist es nicht mein Zimmer. Genau genommen ist es Zayns Gästezimmer, in dem ich momentan umsonst und quasi als Notlösung schlafen darf. Was wiederum bedeutet, dass ich kein Recht habe, mich über das – was auch immer dort auf mich wartet – zu beschweren. Genauso wenig wie ich mich über die Sticker von Zayns Lieblingsrappern beschweren darf, die an der Tür kleben. Es ist eine ziemlich hoffnungslose Angelegenheit.
Diese Tatsache im Hinterkopf behaltend, klopfe ich etwas widerwillig an meine Tür. Ich erwarte keine Antwort, natürlich nicht. Selbst wenn Zayn sich irgendetwas Lebendes angeschafft hat, eine giftige Schlange oder ein bissiges Kaninchen, wird es mir wohl kaum antworten. Ich drücke die Klinke. Vor mir tut sich mein Zimmer auf, so wie ich es heute Morgen verlassen habe. Bis auf –
Schlagartig bleibe ich stehen.
Dort, in meinem Zimmer, auf meinem Bett, sitzt ein fremder Junge. Er hält eine Musikzeitschrift in der Hand und sieht mich mit großen, überraschten Augen, über den oberen Rand davon an. Ich blinzele. Was zum ... ?
Der Junge räuspert sich, dann erscheint ein Lächeln auf seinen Lippen. „Hi!", ruft er, etwas zu euphorisch. Er springt auf sodass die Zeitschrift auf den Boden fällt, aber das scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren, genauso wenig wie die Tatsache, dass er fast darüber stolpert, als er auf mich zukommt.
Der Anblick ist absurd. Wenn Zayn Besuch hat, wieso befindet sich dieser dann in meinem Zimmer und nicht bei ihm im Wohnzimmer? Warum sitzt er alleine zwischen all meinen Sachen? Er bleibt vor mir stehen und streckt seine Hand aus. „Louis, stimmts?"
„Ja ... hallo", murmele ich, zu verwirrt, um seine Hand zu nehmen. Ich sehe in sein jungenhaftes, aber gleichzeitig reifes Gesicht, das von wilden, braunen Locken umrahmt ist, die leicht in eine Richtung abstehen, und aussehen, als wären sie eine Ewigkeit nicht gekämmt worden. Seine Kleidung ist löchrig, an seiner Wange ist ein wenig Schmutz und er macht allgemein einen etwas ... verwilderten Eindruck. Ich kann nicht sagen, ob das einfach sein Stil ist oder ob er die letzten Nächte auf dem Boden geschlafen hat.
„Echt cool, dass du dein Zimmer mit mir teilst."
„Was?"
„Ich weiß, es ist ziemlich spontan, aber ich verspreche Ordnung zu halten und dir nicht auf die Nerven zu gehen!"
„Was?"
Jetzt schleicht sich ein Hauch Verwirrung in seinen Blick, die kurz darauf mit Realisation ersetzt wird. „Oh. Er hat dich einfach hier reingehen lassen, ohne was zu erklären?"
Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass mit er Zayn gemeint ist. Ich nicke.
„Ich wohne jetzt hier!", verkündet der Junge gut gelaunt und ich verstehe nicht was er sagt, während die Situation immer bizarrer wird. Soll das die Überraschung sein? Ein neuer Mitbewohner, von dem mir Zayn nichts gesagt hat? Ich meine, ich habe nichts gegen Gesellschaft, aber trotzdem kommt das ziemlich unerwartet.
Während ich versuche, das ganze sacken zu lassen und zu begreifen, rutscht mir ein Lachen raus. Das ganze ist so seltsam und dieser Junge sieht so fröhlich aus ... Da geht man einmal nichts ahnend zur Uni und wenn man wiederkommt, hat man plötzlich einen neuen Mitbewohner.
„... Okay", sage ich langsam, versuche, meine Gedanken zu sammeln. „Und du heißt ...?"
„Harry. Harry Styles. Zayn hat mich bestimmt erwähnt!"
Ich denke kurz nach. Der Name sagt mir nichts. „Ich befürchte nein."
Er wirft einen gespielt empörten Blick zur Tür, als könnte Zayn ihn vom Wohnzimmer aus sehen, lässt sich jedoch nicht von seinem aufgeweckten Lächeln abbringen. „Stimmt, ich bin ja auch nur Zayns Sandkastenfreund, mit dem er die ersten 15 Jahre seines Lebens verbracht hat."
Ich runzele die Stirn. Dort, in meinem verkalkten Gehirn, taucht eine wage Erinnerung auf. Irgendwas hat Zayn mal erzählt ... „Ah!", erinnere ich mich plötzlich. „Du bist der Typ, der vor drei Jahren aus dem Nichts verschwunden ist und sich nie wieder gemeldet hat!"
Harry Styles verzieht das Gesicht. „Autsch." Er sieht verlegen, aber auch ein bisschen amüsiert aus. „Also hat er von mir erzählt. Zu meiner Verteidigung: Ich hatte verdammt viel um die Ohren die letzten drei Jahre ..." Sein Blick schweift kurz über mich, als würde er mich jetzt zum ersten Mal richtig ansehen. Dann lächelt er wieder. „Aber ist ja auch egal. Ich bin jetzt wieder hier und brauche einen Platz zum pennen ... und Zayn hat mir sein Gästezimmer angeboten ..."
„... in dem ich wohne", vervollständige ich seinen Satz.
„Ohne Miete zu bezahlen", fügt er hinzu, und dazu kann ich nichts sagen. Er hat Recht. 1:0 für ihn.
Er sieht mich an, als würde er auf eine Reaktion von mir warten. Ich weiß, dass ich so oder so kein Entscheidungsrecht habe. Und wohnen bleiben werde ich hier wahrscheinlich eh nicht mehr lange – nur bis ich etwas Langfristigeres gefunden habe. Ich werfe einen Blick auf den großen, fremden Rucksack, der auf meinem Bett liegt und aussieht, als hätte er schon so einiges mitgemacht. Ähnlich wie Harry. Er sieht noch sehr jung aus, aber keineswegs naiv oder unerfahren. Eher so, als hätte er eine ziemlich krasse Geschichte zu erzählen. Und er scheint okay zu sein.
Ich räuspere mich. „Na dann ..." Mir fällt auf, dass seine Hand immer noch zwischen uns ausgestreckt liegt und endlich ergreife ich sie. Harry grinst und ich muss wieder lachen, weil ich es noch nicht so ganz glauben kann. „Fühl dich wie Zuhause."
Wir schütteln uns die Hände und ich weißt nicht, wie mein Leben so eine unerwartete Wendung nehmen konnte.
////
Am Abend schleppe ich Zayn mit zum Einkaufen, um ihn von seinem Zigarettenentzug abzulenken. Damit er halbwegs bei Laune bleibt, tätschele ich ab und zu seinen Kopf und verspreche ihm, alles was er haben will zu bezahlen. Wenn ein guter Freund einen für umsonst bei sich schlafen lässt, sollte man schließlich verdammt nett zu ihm sein.
Wir gehen zielstrebig an all dem Gemüse vorbei. Vor dem Regal mit den Tütensuppen findet Zayn endlich seine Sprache wieder. „Ich habe keine Lust mehr auf das Dosenfutter", verkündet er.
Entsetzt sehe ich ihn an. „Du willst aber nicht wieder versuchen zu kochen?" Ich will mich nicht daran erinnern, als wir das letzte Mal versucht haben, eine richtige Malzeit herzustellen. Ich sage nur soviel: Es ist nicht gut gelaufen.
„Nein. Natürlich nicht." Zayn sieht mich an, als wäre das die blödste Frage, die er je gehört hat, was schon was heißen muss, weil er bei seinem Job an der Tankstelle so einige bescheuerte Fragen zu hören kriegt. „Lass uns was bestellen. Du zahlst."
„Mhh ... okay." Wir gehen durch die Gänge und schnappen uns die üblichen Dinge, Milch, Käse, Bier, Brot. An der Kasse scheint Zayn ein Gedanke zu kommen und zum ersten Mal erhellt sich sein Gesicht ein wenig. Ein seltsames Grinsen, das mich ein bisschen an Schadenfreude erinnert, umspielt seine Lippen.
„Sag mal, Lou ... Wie gefällt dir eigentlich dein neuer Mitbewohner?"
Ich verdrehe die Augen. Bis jetzt hat er noch kein Wort darüber verloren, warum Harry überhaupt bei uns ist und jetzt, ein paar Stunden nach seiner Ankunft, scheint ihm plötzlich wieder einzufallen, dass er mich vorhin einfach vor vollendete Tatsachen gesetzt hat, ohne auch nur die kleinste Erklärung. Ich zucke mit den Schultern und tue so, als wäre es mir egal. Meine Verwunderung gönne ich ihm nicht. „Scheint nett zu sein."
Zayns Grinsen wird ein bisschen breiter und ich sehe, dass es ihm Vergnügen bereitet, mich vorhin so überrascht zu haben. Er liebt es, dass ich mich nicht beschweren darf.
„Du hättest mir vorher Bescheid sagen können, dann hätte ich ... ein Willkommensgeschenk oder so gekauft", murmele ich sarkastisch.
„Ob du's glaubst oder nicht. Ich wusste selbst nicht, dass Harry kommt. Er stand vorhin einfach vor der Tür. Hat nicht angerufen oder sonst was. Er stand da, als wäre er nie weggewesen und hat gefragt, ob er bei mir wohnen kann."
Ich runzele die Stirn. „Und du sagst einfach ja?"
„So wie ich bei dir einfach ja gesagt habe, meinst du?"
„Naja, ich dachte Harry hätte dich damals ganz schon verletzt. Dass er einfach ohne ein Wort abgehauen ist, meine ich."
Zayn zuckt mit den Schultern. „Er ist trotzdem jahrelang mein bester Freund gewesen. Lange wird er wahrscheinlich eh nicht bleiben." Zayn wirft einen seltsamen Blick hinter mich und als ich ihm folge sehe ich, dass er das Zigarettenregal ins Visier genommen hat. Es ist spürbar, wie seine Laune in den Keller geht. „Außerdem kann ich nichts dafür, dass meine Freunde alle arme Schweine sind, die sich keine Wohnung leisten können. Ich darf immer noch selbst aussuchen, wer in meinem Gästezimmer schläft. Also wenn du dich beschweren willst –"
„Das will ich gar nicht!", sage ich schnell. Ich weiß, dass ich bei dieser Diskussion nicht die leiseste Chance habe.
„Gut", murmelt er. Dann, plötzlich, lächelt er zuckersüß. „Nur zur Info: Harry schnarcht."
Ich unterdrücke ein Seufzen. „Toll." Wir sind dran mit unseren Einkäufen und ich bezahle schnell alles, bevor wir uns auf den Weg Nachhause machen.
////
Harry lässt sich den ganzen Abend nicht mehr blicken. Als ich in unser Zimmer komme um zu fragen, ob er mit uns Essen bestellen will, ist es stockdunkel im Raum und ich erkenne nur seine Silhouette im Bett liegen. Ein leises, brummendes Atmen ist zu hören. Wenn das sein Schnarchen sein soll, dann kann ich damit leben. Ich schließe die Tür wieder leise und lasse ihn in Ruhe.
„Er hat sicher einiges mitgemacht heute", murmelt Zayn später auf dem Sofa vor dem Fernseher, nachdem wir gegessen haben. „Sah ja schon etwas mitgenommen aus."
Ich sehe ihn aufmerksam an. Zayn scheint in Gedanken und es ist ziemlich selten, dass ihn das Leben anderer Menschen interessiert.
„Wer weiß was passiert ist ... Und warum er nicht dort bleiben konnte, wo er war ... Und warum dieser Idiot sich nicht ein einziges Mal gemeldet hat."
Ich merke, wie ich neugierig werde. „Was ist mit seinen Eltern?"
Zayn sieht mich an, als hätte er vergessen, dass ich da bin und zuckt dann mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vor drei Jahren hat er noch bei ihnen gewohnt, direkt im Haus neben mir, und dann war er einfach weg. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Er wird es uns sicher noch erzählen."
„Hmm." Ich sehe nachdenklich aus dem Fenster. Dann muss Zayn gähnen und wir beschließen, dass es Zeit ist, schlafen zu gehen. Ich öffne so leise wie möglich meine Zimmertür, ziehe mich aus und lege mich neben Harry. Er brummt immer noch vor sich hin, aber es ist kein unangenehmes Geräusch. Ich ziehe vorsichtig an der Decke, in der Hoffnung, auch eine Hälfte davon zu ergattern, aber als er sie nicht hergeben will, lasse ich ihn und rolle mich einfach ohne Decke zusammen.
Ich habe das Gefühl, er hat den erholsamen Schlaf heute nötiger als ich.
DU LIEST GERADE
you are a home that I want to grow up in
FanfictionLouis' Leben stellt sich auf den Kopf, als unerwartet ein fremder Junge in seinem Zimmer einzieht und sich ab jetzt ein Bett mit ihm teilen soll. Dass Louis Jungs eigentlich mag, aber niemals etwas mit ihnen anfangen würde, erleichtert die Sache nic...