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2016

Lelaenia schnappte sich ihre Jacke während sie die Haustür öffnete. ,,Bis später, Mom!", rief sie laut, woraufhin Mrs. Kilson auch sofort antwortete. ,,Hast du deine Sachen schon ausgepackt und dein Zimmer eingerichtet?" Als sie zustimmend murmelte, kam Mrs. Kilson seufzend zu ihr. ,,Bitte sei zum Abendessen wieder zurück. Ist denn auch alles in Ordnung?", fragte sie dann vorsichtig, aber besorgt. Lelaenia gab ihr daraufhin ein beruhigendes Lächeln. ,,Klar, ich bin froh, wieder hier zu sein. Ich will mir nur mal ansehen, wie sehr sich die Stadt in den vergangenen zehn Jahren verändert hat." Verständnisvoll sah Mrs Kilson ihre Tochter daraufhin an und nickte, bevor Lelaenia die Tür hinter sich zu schlug.

Einige Monate, nachdem die Kilsons damals den alten Farmer Jack besucht hatten, sind sie weit weg, in eine Großstadt, gezogen, weil Mr Kilson dort eine bessere Arbeit gefunden hatte. Doch es wäre gelogen, wenn sie sagen würden, dass sie diese Kleinstadt, die eher ländlich veranlagert war, nicht vermisst hätten. Und so beschlossen sie sich, wieder zurück zu ziehen. Lelaenia hatte keine Probleme, die zwei Freunde, die sie nach Jahren bekommen hatte, zu verlassen. Sie waren sehr freundlich und manchmal sogar wirklich witzig gewesen, aber Lelaenia spürte keinen großen Unterschied ohne die beiden. Außerdem mochte sie die friedliche Ruhe hier sowieso lieber.

Es wunderte Lelaenia nicht sehr, dass ihre Füße sie zuerst zu der einst magischen Farm führten. Sie war neugierig, nicht weil sie erwartete, die gleichen Dinge zu sehen wie vor zehn Jahren, denn selbstverständlich war das nur ihre große Fantasie gewesen. Und sie erwartete auch nicht, das gleiche schwarze Pferd wiederzusehen, denn dieses war schon damals etwas älter gewesen. Aber die Erinnerungen und dieser Ort machten sie noch immer glücklich.

Zu ihrem Bedauern waren nur noch insgesamt drei Pferde hinter dem Zaun. Sie wusste nicht, ob die anderen Tiere auch weg waren, denn für diese interessierte sie sich herzlich nur wenig. Aber von den Pferden mal abgesehen hatte sich etwas Grundsätzliches hier verändert. Lelaenia wünschte, sie wüsste, was genau. Denn es konnte nicht der Wald sein. Die Blätter leuchteten noch immer in kräftigen Farben und die Baumstämme waren genauso breit wie damals. Seufzend legte sie ihren Zeichenblock in den Schoß und begann den Wald zu zeichnen. Wahrscheinlich kam es ihr bloß anders vor, weil sie nun älter war.

Sie hatte nicht einmal die Hälfte gezeichnet, als sie hörte, wie jemand weit entfernt nach ihr rief. ,,Hey! Du da!" Und tatsächlich war es der alte Jack. Vor lauter Panik rappelte Lelaenia sich auf, packte ihre Sachen und rannte los. ,,Warte! Bleib stehen!", rief er erneut, doch Lelaenia hörte ihn nur noch ganz schwach. Vielleicht fürchtete sie sich doch noch vor Jack Manners.

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,,Wohin willst du denn, Liebes?", fragte ihre Mutter sie überrascht, als sie sich ihre Schuhe schnappte und die Tür öffnete. ,,Ich muss mir noch ein paar Schulsachen für nächste Woche kaufen.", erzählte sie ihr und biss sich auf die Lippe. Das war keine Lüge, aber auch nicht die ganze Wahrheit, was sich Lelaenias Meinung genauso wie eine Lüge anfühlte. Die Sommerferien endeten diese Woche und sie musste sich noch einige Hefte und Bücher kaufen, aber das war nicht der eigentliche Grund, warum sie ging. Man könnte natürlich meinen, dass es total verrückt war, ein weiteres Mal zur Farm zu gehen. Doch Lelaenia konnte gestern ihre Zeichnung nicht fertigstellen und sie ließ keine Zeichnung unvollendet.

Sie verschwieg dies ihrer Mutter aus dem einfachen Grund, dass diese sich zu viele Sorgen machte, wenn Lelaenia Orte besuchte, an denen sie alleine war und somit keine Chance hatte, neue Freunde zu gewinnen. Mrs Kilson sorgte sich darum, dass ihre Tochter schon wieder ganz ohne Freunde dastehen würde, auch wenn sie einige in der Großstadt gefunden hatte. Und selbst wenn Mrs Kilson es nicht laut aussprach, war es doch ziemlich offensichtlich.

Lelaenia machte sich auf den Weg und sie war etwas aufgeregt, da sie befürchtete, Jack Manners wieder zu sehen. Eigentlich hatte sie ja nichts verbrochen, aber man sollte sich eindeutig zurückhalten bei diesem Farmer. Später würde Lelaenia sich aber trotz allem fragen, ob die Zeichnung dieses Waldes es wirklich wert gewesen war, zurückzukehren.

Denn gerade als Lelaenia wieder vertieft in ihrer Zeichnung war, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, woraufhin sie das Gefühl hatte, dass ihr Herz versuchte, hinauszuspringen. ,,Das tut mir leid, Lelaenia. Ich hatte nicht die Absicht, dich zu erschrecken." Jack Manners versuchte so ruhig und freundlich wie möglich zu klingen, um sie nicht schon wieder zu verjagen. Währenddessen beruhigte sich Lelaenia keinesfalls. ,,Entschuldigung, aber woher kennen Sie meinen Namen?" Die Farbe verschwand für kurze Zeit aus Manners' Gesicht. ,,Du hattest ihn mir damals verraten, als du meine Pferde sehen wolltest. Erinnerst du dich noch an deinen Besuch?", lenkte er dann geschickt vom Thema ab.

Beim genaueren Hinsehen war der alte Jack Manners gar nicht so alt, wie man immer meinte. Seine Haare schienen vor nicht allzu langer Zeit noch braun gewesen zu sein und auch sein Gesicht wies noch nicht viele Falten auf. Lediglich die Fältchen neben seinen grünen Augen waren sehr deutlich zu erkennen.

Lelaenia konnte sich zwar nicht daran erinnern, damals ihren Namen genannt zu haben, aber möglich war es. Woher sonst sollte er denn wohl ihren Namen kennen?

Also beruhigte sie sich, stand auf und nickte höflich lächelnd. ,,Es ist sehr schade, dass das schwarze Pferd nicht mehr da ist.", sagte sie, während sie über ihre Hose strich, um den Dreck des Bodens abzuputzen. Manners lächelte daraufhin breit. ,,Oh nein, es ist noch da. Möchtest du vielleicht kurz hineinkommen? Ich habe dir doch versprochen, dich hineinzulassen, wenn du alt genug bist."

Wie konnte es sein, dass das Pferd immer noch lebte? Und sollte Lelaenia es wirklich wagen, in das Haus eines Fremden zu gehen? Merkwürdigerweise machte sie sich über Letzteres eher wenige Sorgen. Lange zögerte sie und biss sich auf die Lippe, woraufhin ihre Neugier jedoch siegte und sie zustimmte. Sie folgte ihm durch die Tür, die er ungeduldig öffnete. ,,Setz dich doch kurz. Ich hole nur noch kurz die Schlüssel und dann erkläre ich dir, warum ... ich dir das Pferd damals nicht zeigen konnte.", murmelte er und verschwand schnell aus der Küche. Verwirrt setzte sich Lelaenia auf einen ziemlich alten Hocker. Sie konnte sich nicht denken, was Manners da noch erklären wollte. Sie wusste doch, dass die Pferde anscheinend viel zu wild gewesen waren, um ein kleines Kind in ihrer Nähe zu lassen. Seufzend sah sie sich die Küche genauer an und stoppte dann bei einem kleinen, quadratischen Esstisch, worauf eine alte Karte zu sehen war. Lelaenia versuchte, sich zurückzuhalten, doch schließlich gab sie es auf und trat näher, um sich die Karte genauer anzusehen.

Drei Länder waren abgebildet, das vermutete Lelaenia zumindest. Sie hatte noch nie etwas von diesen Ländern gehört. Penoria, Noxēn und Dasma. Zwar war sie nie besonders gut in Geographie gewesen, wusste aber dennoch, dass sicher keine Länder dieser Welt so hießen. Was sie aber nur noch mehr wunderte, war, dass hier und da Kreuze eingezeichnet wurden. Bevor sie sich weiter Gedanken dazu machen konnte, öffnete sich plötzlich die Haustür und ein blonder Junge, der ungefähr in Lelaenias Alter zu sein schien, stürmte in das Haus.

,,Vater! Ich habe die ganze Stadt durchsucht und sie dennoch nicht gefunden. Bist du dir auch wirklich sicher, dass du sie gesehen hast?", rief er verzweifelt und warf seine Hände theatralisch in die Luft. Doch als er Lelaenia sah, stockte er und riss die Augen auf. In dem Moment kam auch Jack Manners zurück und nickte seinem Sohn zu. ,,Das ist sie."

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Was glaubt ihr, warum hat Jack Manners nach Lelaenia gesucht? :D
Das nächste Kapitel kommt morgen schon wieder :)

Twin StarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt