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Das Blut in Lelaenias Körper schien zu gefrieren. Das konnte doch gar nicht sein! Es existierten immerhin Bilder, auf denen Mrs Kilson schwanger war. Nur weil sie keine Ähnlichkeiten mit ihren Eltern besaß, hieß das doch noch lange nicht, dass sie nicht ihre leiblichen waren.

,,Deine Mutter konnte dich damals nicht behalten, also suchte sie sich ein anständiges Menschenpaar aus, welches nicht in der Lage war, selbst Kinder zu bekommen. Es... tut mir leid. Das muss ein ziemlicher Schock für dich sein." In Jack Manners Augen war ehrliches Mitgefühl zu erkennen.
Lelaenia hatte das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube verpasst zu bekommen. ,,Warum konnte sie mich nicht behalten? Und warum können Sie mir nicht einfach sagen, wer meine Mutter ist?", fragte sie entsetzt und schüttelte ungläubig den Kopf.
,,Ich... ich habe nicht das Recht dazu, es dir zu sagen. Wahrscheinlich würde die Königin von Noxēn mich dafür köpfen lassen.", versuchte er ihr verzweifelt zu verdeutlichen. Warnend sah Noryn daraufhin seinen Vater an und befürchtete, dass er zu viel fürs Erste verraten würde. ,,Die Königin von Noxēn? Was hat sie denn mit der ganzen Sache zu tun, wenn meine Mutter doch eine Zraonin ist?", fragte Lelaenia, noch verwirrter als je zuvor. Manners wurde blass, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. ,,Ach, nicht so wichtig. Du musst deine Mutter selbst finden, wenn du wissen möchtest, warum sie dich weggegeben hat. Dafür müsstest du aber mit Noryn nach Penoria reisen. Und es würde eine lange Reise werden.", fügte er hinzu und räusperte sich. Er machte auf Lelaenia mächtig den Eindruck, etwas Grundlegendes zu verschweigen.

Lelaenia antwortete erst nicht und sah Manners nur bedrückt an. Sie versuchte, sich einzureden, dass es keinen Unterschied machte, denn die Kilsons blieben ihre Eltern und liebten sie unendlich sehr. Der Farmer bemerkte dies, stand auf und legte eine Hand auf ihre Schulter. ,,Deine Eltern wissen es nicht. Sie sind der festen Überzeugung, dass du die leibliche Tochter bist, die sie sich immer gewünscht haben. Und deine leibliche Mutter hatte Gründe, die du ebenfalls verstehen wirst." Aufmunternd sah er sie an und es lag eine unbeschreibliche Wärme in seinen grünen Augen, die Lelaenia etwas beruhigte. Noryn stand nun auch auf, da er sich bewusst war, dass sie sich jetzt entscheiden musste. Und bei Zrao! Ihre Entscheidung könnte Hoffnung oder Zerstörung für Penoria bedeuten. Nur wusste Lelaenia das noch nicht und Noryn wusste, dass es auch besser so war. Zumindest für den Anfang.

Sie seufzte und fühlte, wie von nun an eine schwere Last auf ihren Schultern sitzen würde. ,,Ich werde meine Mutter finden und dann wieder zurückkommen mit der Absicht, nie wieder etwas von dem Ganzen zu hören. Denn ganz egal, wer meine Mutter ist: Ich bin ein Mensch. Und ich gehöre in diese Welt.", sagte sie entschlossen. Noryn und Manners sahen sich traurig an, wohl wissend, dass es nicht so kommen würde, wie Lelaenia es sich erhoffte.

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Jack Manners übergab Lelaenia einen braunen Stoffrucksack, in welchem sich überlebenswichtige Dinge befanden, wie zum Beispiel Wasser, Nahrung und ihr Zeichenblock. Sie standen vor dem Wald, der wohl wortwörtlich magisch war. Noryn grinste ihr zu. ,,Bereit?" Lelaenia atmete noch einmal tief ein, bevor sie überzeugt nickte. Daraufhin fiel Noryn in die Arme seines Vaters. ,,Bis bald, mein Sohn. Pass auf sie auf, sie wird überfordert sein, wenn sie es erfährt. Und bitte achte auf deinen Wortlaut. Zu diesen Zeiten darfst du dir keine frechen Anmerkungen leisten.", flüsterte Manners seinem Sohn nachdrücklich zu, woraufhin dieser nur grinste. ,,Soll König Kydraen mich doch hinrichten lassen, ich werde ganz sicher nicht aufhören." Munter winkte er ihm noch ein letztes Mal zu, ließ somit seinen Vater besorgt stehen und führte Lelaenia in den Wald. Und etwas Wichtiges fiel ihr dabei auf. Je weiter sie in das Innere des Waldes gingen, desto weniger Blätter hatten die Bäume. Doch nicht nur das, die Bäume sahen fast schon krank aus, denn sie strahlten nicht so sehr wie die am Anfang des Weges. ,,Noryn? Was ist mit den Bäumen los?" Langsam schritt er neben ihr her, denn ihn schien die Lage auch zu beschäftigen. Wehmütig sah er sie an. ,,Driana, die Königin von Penoria, scheint gerade schwach zu sein. Nicht nur sie, sondern auch einige Zraonen. Einige scheinen ihre Magie beinahe zu verlieren. Wenn das so weitergeht..." Stockend sah er Lelaenia an. ,,Wird dieser Wald nicht der einzige Ort sein, der zugrunde gehen wird." Seine Worte brachten Lelaenia zum Schaudern. Sie würde gerne fragen, warum die Königin denn schwächer wurde, hatte aber das Gefühl, dass es unpassend wäre.

Schlagartig blieb sie stehen, als sie Noryns Schritte nicht mehr hörte. ,,Wir sind da." Ein gigantischer Baum, dessen Äste doppelt so dick waren wie gewöhnliche Bäume und dessen Wurzeln eine weite Fläche beanspruchten, war in all seiner Herrlichkeit vor ihnen zu betrachten. ,,Das ist der Eingang zu Penoria. Jetzt wird sich auch herausstellen, ob du tatsächlich eine Zraonin bist." Zwinkernd nahm er ihre Hand und legte sie auf das weiche Moos der Baumrinden. ,,Keine Sorge, wird nur ein wenig schmerzen." Als Lelaenia ihn daraufhin beunruhigt ansah, fing er an zu lachen.

Doch bevor sie etwas erwidern konnte, wurde sie mit einem gewaltigen Schlag aus dieser Welt, der Erde, gezogen. Sie hatte das Gefühl, für kurze Zeit ihre Existenz verloren zu haben und in all ihre Einzelteile auseinander genommen zu werden, nur um dann wieder auf vollkommen falscher Art und Weise wieder zusammengeflickt zu werden. Alles wurde schwarz, bis sie bemerkte, dass sie ihre Augen zugekniffen hatte. Ihr Kopf knallte gegen den Baumstamm, weshalb sie ihre Augen aufriss. Doch es dauerte etwas bis sie etwas sehen konnte. Ihr Magen schien Purzelbäume zu schlagen, weshalb sie auch ihren Kopf sofort wegdrehte, um ihren gesamten Frühstücksinhalt hinauszuwürgen, als sie Noryns grüne Augen vor ihren erkannte. Noryn war währenddessen so aufmerksam und hielt ihre Haare geduldig zurück. Als sie fertig war, reichte er ihr ein Tuch. Erschöpft und noch immer schnell atmend wischte sie über ihren Mund. ,,Nur ein wenig schmerzen? Du hättest mich vorwarnen können!", rief sie entsetzt.

,,Und deine Reaktion verpassen?" Lachend schüttelte er seinen Kopf. ,,Du hast dich tapfer geschlagen. Ich habe beim ersten Mal das Bewusstsein verloren.", erzählte er, während er in seinem Rucksack nach etwas Nahrung kramte. Er drückte ihr etwas Schokolade in die Hand und nickte ihr zu. ,,Iss das. Du wirst die Energie brauchen." Nun, da Lelaenia sich etwas beruhigt hatte,  bemerkte sie auch die Veränderung an Noryn. Seine blonden Haare waren verschwunden und hatten nun genau den gleichen Farbton wie seine grünen Augen. Seine Ohren wurden spitz und reichten bis zu seinen Haarspitzen. Allgemein schien er etwas gewachsen zu sein. ,,Was zum...", begann Lelaenia, doch unterbrach sich selbst mittendrin. Sie starrte ihn mit offenem Mund an und spürte schon, wie ein Kribbeln durch ihre Finger schoss, weil sie so gerne ihr Zeichenblock herauskramen wollte, um Noryn zu zeichnen.

Noryn lachte und strich sich über die Haare. ,,Daran wirst du dich gewöhnen müssen. In Penoria haben alle grüne, braune, gelbe und manchmal auch violette Haare wie Augen." Sofort griff Lelaenia nach ihren Haaren, die aber stets schwarz waren. ,,Das wundert mich auch. Du musst eine Zraonin sein, anders ... geht es nicht. Aber deine Haare sind so schwarz wie die eines Kindes der Nacht.", murmelte er nachdenklich, während Lelaenia nun endlich aufstand. ,,Nun ja, zumindest haben sich deine Ohren und deine Länge verändert. Menschenohren sind wirklich seltsam." Fasziniert strich sie sich über die erstaunlich langen, spitz zulaufenden Ohren. ,,Vielleicht habe ich meine schwarzen Haare ja auch von meinem Menschenvater.", schlug sie fragend vor und packte ihre Sachen zusammen. ,,Ja, vielleicht. Vielleicht aber-" Er stoppte mitten im Satz und schüttelte entschlossen den Kopf. ,,Ach, das werden wir ja schon herausfinden. Aber jetzt sollten wir losgehen. Das wird sicher aufregend." Grinsend machte er eine Handbewegung in Richtung des Weges vor uns. ,,Willkommen in Penoria, dem Land der weiten Felder und der gigantischen Bäume."

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