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Völlig ratlos und nun auch etwas unsicher sah Lelaenia Jack Manners und dessen Sohn an. ,,Nun, ich will ja nicht unhöflich werden, aber wovon reden Sie?", fragte sie auf eine Antwort hoffend, woraufhin sich Vater und Sohn zu ihr setzten. Dabei starrte der Sohn sie weiterhin fassungslos an. ,,Aber Vater, wie ist das möglich? Sie hat schwarze Haare, sie kann doch niemals ein Kind der Bäume sein."

,,Ruhig, Noryn! Lelaenia, ich denke, wir sind dir eine Erklärung schuldig.", fing Jack Manners an und runzelte die Stirn. In diesem Moment sah er viel älter aus als er eigentlich war. ,,Erinnerst du dich noch an deine Zeichnungen in deiner Kindheit?" Zögerlich nickte sie. ,,Ich hatte dir erzählt, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Du hast... bestimmte Dinge gesehen und du wärst nicht in der Lage, diese Dinge zu sehen, wenn du ein Mensch wärst." Lelaenia wusste daraufhin nicht, ob sie seine Worte als beleidigend aufnehmen sollte oder denken sollte, dass dieser Farmer nicht mehr ganz bei Sinnen war. ,,Ich bin also kein Mensch, weil ich als Kind eine große Fantasie hatte? Tut mir leid, aber ihre Worte ergeben keinen Sinn.", antwortete sie und schüttelte den Kopf.

,,Das war nicht die Fantasie eines einfachen Kindes, Lelaenia. Das, was du gesehen hast, war die Realität. Du konntest durch die Schutzschilde starker Magie hindurchsehen.", erklärte er weiter und sah sie verzweifelt an, wohl wissend, dass seine Worte sich vollkommen verrückt anhörten. Währenddessen konnte sein Sohn Noryn sich nicht davon abhalten, das Mädchen anzustarren, von dem seit Jahren heimlich und versteckt getuschelt wurde. Lelaenia hingegen wurde es sehr mulmig zu Mute. Sie wollte am liebsten aufspringen und wegrennen. In was war sie bloß hineingeraten? ,,Also hat das Pferd tatsächlich ein Horn auf der Stirn und Flügel an seinem Rücken?", fragte sie in einem sehr ironischen Unterton. Aber als Jack Manners und Noryn hektisch nickten, wurde es zu viel für sie und sie stand auf.

,,Verzeihung, ich denke, ich sollte jetzt allmählich gehen.", murmelte sie und wollte gerade zum Gehen ansetzen, als Noryn aufsprang. ,,Nein! Bitte tu das nicht! Vater, vielleicht sollten wir ihr Mávros zeigen, damit sie uns glaubt?", verzweifelt und bettelnd sah er Lelaenia und seinen Vater abwechselnd an. Manners nickte kaum merklich und räusperte sich. ,,Wir können dich nicht zwingen, zu bleiben und zuzuhören. Wenn du gehen möchtest, ist das in Ordnung. Aber bitte sieh dir das schwarze Pferd an. Schließlich hatte ich versprochen, es dir zu zeigen." Lelaenia sah ihn unsicher an und verfluchte einen Moment später ihre Neugier. Nachdem sie sich das Pferd angesehen hat, würde sie schleunigst verschwinden.

Als sie zustimmte, atmete Noryn erleichtert aus. ,,Zrao sei dank! Komm mit, es ist ein wundervolles Geschöpf." Sie folgten dem Farmer durch die Terassentür hinaus und Lelaenia hatte jetzt schon das Gefühl, einen großen Fehler begangen zu haben.

Jedoch änderte sich alles, als sie das weite Feld und den großen Wald sah. Jeder Grashalm stach hervor und es schienen kleine leuchtende Perlen an der Spitze jedes Grashalms zu ragen. Eine warme Briese strich Lelaenias Wangen, als sie die Bäume des Waldes betrachtete. So dicke Baumstämme hatte sie noch nie gesehen. Sie waren mit Moos bedeckt, was einen magischen und verträumten Eindruck hinterließ. Lelaenia hatte das Gefühl, aus der Realität entzogen worden zu sein und in einer Traumwelt gefallen zu sein. Der Drang, ihren Zeichenblock wieder hinauszuzücken, war unbeschreiblich groß.

Noryn lächelte sie wissend an, legte eine Hand an ihrem Rücken und spornte sie somit an, weiterzugehen. Dann pfiff er laut.
Ein schwarzes, pegasusähnliches Wesen erschien plötzlich in seiner vollen Pracht und streckte den Kopf weit nach oben. Seine Flügel waren nicht ausgebreitet und trotzdem konnte man erkennen, dass sie gigantisch sein müssten. Lelaenia stolperte zurück und ihre Augen weiteten sich. Ihr Herz schlug fest gegen ihre Brust und ihr Atem verschnellerte sich. ,,Das kann nicht sein.", hauchte sie, erstaunt darüber, überhaupt einen Ton hinausbekommen zu haben. Denn es war tatsächlich das selbe schwarze ,,Pferd", wie sie es in ihrer Kindheit gesehen hatte. Lediglich das Bild flackerte nicht mehr. Wie konnte das bloß sein?

,,Darf ich vorstellen? Das ist Mávros, ein Penorus. Sie kommen ausschließlich in Penoria vor, dem Land der Bäume und der weiten Felder.", erklärte Noryn und strich dabei über Mávros' Rücken. ,,Wundervolle Wesen. Sie suchen ihr Leben lang nach einem Begleiter und wenn sie einen gefunden haben, sind sie genauso unsterblich wie der Zraon, der für immer an ihn gebunden ist. Ich hätte so gerne einen Penorus an meiner Seite.", fügte er dann träumend hinzu.

Als Jack Manners Lelaenias überforderte Miene sah, gab er Noryn mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er es ruhig angehen sollte. Sein Sohn redete meistens ohne Punkt und Komma.
,,Möchtest du dir doch die ganze Geschichte anhören?", fragte er dann mitfühlend. Noryn war in diese Welt hineingeboren und aufgewachsen und konnte den Schock, den Lelaenia gerade fühlte, vielleicht nicht ganz nachvollziehen. Manners jedoch fühlte mit ihr.

Lelaenia konnte das alles nicht ganz fassen. Aber Mávros war Beweis genug, dass der Farmer doch nicht ganz verrückt war und sie in etwas ganz Großes eingeweiht werden würde, wenn sie zustimmte. Sie wusste genau, dass sie es ihr Leben lang bereuen würde, wenn sie jetzt ginge. Ganz langsam nickte sie, doch das genügte Jack Manners und sie gingen wieder in die Küche, um sich hinzusetzen.

,,Ich war auch sehr aufgewühlt, als ich das erste Mal zufällig in diese Welt trat, durch den Wald da draußen. Vor etwa 30 Jahren.", begann Jack Manners zu erzählen und starrte auf den Tisch. ,,Der Wald ist der Eingang zu Penoria, eins der großen drei Länder in Tría. Neben Penoria gibt es auch Noxēn und Dasma. In Penoria leben die Zraonen, die Kinder der Bäume. Sie widmen sich und ihre Magie größtenteils der Natur und sind sehr zuvorkommende und liebenswürdige Wesen. Noryn ist ein Zraon, zumindest zur Hälfte." Noryn grinste daraufhin munter und lehnte sich zurück. ,,In Noxēn, dem Land der Sterne und der ewigen Nacht, leben die Nyreanen. Sehr mächtige Wesen, und bei weitem am unberechenbarsten. Über dieses Volk wissen die Wenigsten viel." Ehrfürchtig schluckte Jack Manners und beugte sich vor, um seine Stimme zu senken. Als könnte jeden Moment einer von diesen Nyreanen hinter ihm stehen. Dieser Gedanke ließ Lelaenia einen Schauer über den Rücken laufen. Daraufhin lehnte Jack Manners sich wieder zurück. ,,In Dasma, dem Land des glühenden Feuers und des ewigen Tages, leben die Dasmanten. Laute und wilde Geschöpfe.", sagte er in einem sehr grimmigen Ton.

Lelaenia fühlte sich so wie in einem Märchen. Jack Manners Worte hörten sich zu fantasievoll an, um glaubwürdig zu sein. Jedoch hatte Lelaenia Mávros gesehen, der wahrscheinlich einzige Grund, warum sie noch nicht weggelaufen war.

,,Das hört sich ja alles schön und gut an. Aber warum ich? Warum soll ausgerechnet ich das alles erfahren? Ich meine, ich bin doch nur ein gewöhnlicher Mensch.", fragte sie dann unsicher und im gleichen Moment erinnerte sie sich daran, dass der Farmer noch vorhin gesagt hatte, dass sie kein Mensch sei. Plötzlich wollte sie doch keine Antwort mehr hören, denn Noryn hörte auf zu grinsen und Manners seufzte traurig.

,,Weil du, wie Noryn, nur zur Hälfte ein Mensch bist. Ich kann dir nicht sagen, wer dein Menschenvater ist. Aber deine Mutter ... ist eine Zraonin."

Twin StarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt