21 [Hillary]

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HILLARY

Rhys liegt neben mir im Bett, die Augen noch immer zu. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht. Seine Augen sind noch geschlossen, aber seine Wimpern zucken schon.

Mein Blick gleitet über seinen Hals, seine Schulter entlang und dann auf seinen nackten Rücken, der nun von den Rosenrankeln und von dem Kompass geziert wird.

Ich beiße mir auf meine Lippe, als ich die freie Stelle an dem Kompass sehe. Er hat mir nie gesagt, wieso sie frei ist, aber ich weiß genau, dass sie frei ist, weil er keine vierte Person hat, die es wert ist dort verewigt zu werden.

Als ich wieder zurück in sein Gesicht sehe, sind seine Augen auf und strahlen mich an.

Ich versuche mich zu einem Lächeln zu überreden, aber es klappt nicht.

Rhys und ich haben uns zwar vertragen, aber diese Sache steht immer noch zwischen uns. Ich will das ändern, aber ich bringe diese Worte nicht aus meinem Mund. Ich habe nie irgendwem erklären müssen, warum Aiden und ich nicht mehr zusammen sind, denn die, die sich dafür interessiert haben, kennen Aiden sehr gut und haben diesen Unfall mitbekommen, waren manchmal sogar selbst daran beteiligt.

Ich atme tief durch. Irgendwann werde ich es ihm sagen müssen.

Rhys hebt seinen Arm und legt seine Hand auf meine Schulter.

"Ich weiß, das es was mit einer Person zu tun hat, Hill. Es ist okay."

Ich schüttele den Kopf.

"Ich kann nicht die einzige sein, die Geheimnisse hat."

"Bist du nicht, Hill. Versprochen.", sagt er und ich sehe ganz genau wie viel Überwindung ihn das gekostet hat.

Ich lasse die Schultern hängen, weswegen seine Hand runter rutscht.

Mein Blick geht durch das gesamte Zimmer. Eine Wand ist schwarz gestrichen. Das wird er sicherlich noch bereuen, wenn er und Colton hier wieder ausziehen.

Als ich an Colton denke kommt es mir wieder von ganz unten wieder hoch. Colton hat mit mir gewettet, dass wenn Rhys und ich uns wieder zusammenraufen, ich ihm helfen soll eine Freundin zu finden. Ausgerechnet ich soll ihm helfen.

"Rhys es tut mir leid, dass ich dir mit Colton die letzten Tage auf derNase rumgetanzt bin. Ich wollte dir nur zeigen, dass ich ohne dich glücklich bin. Deswegen habe ich so laut gelacht und immer so-"

Ich werde durch die Berührung seiner Lippen an meinem Hals unterbrochen.

"Du solltest aufhören dich zu entschuldigen. Der einzige, der sich entschuldigen muss, bin ich. "

Er küsst meinen Wangenknochen entlang, sieht mich dann wieder direkt an.

"Es tut mir leid, Hill."

Ich nicke, schlinge meine Arme um ihn und drücke mich ganz fest an ihn.

"Ich mag dich, Rhys. ", sage ich und ich spüre an meiner Schulter, dass er grinst.

-

Es ist drei Uhr, als ich die Wohnung von Rhys und Colton verlasse, gedeckt von dem Vorwand, ich müsste meiner Mutter noch helfen. Dabei führt mich mein Weg direkt zu Aiden. Er wohnt ein Paar Straßen weiter, was aber nicht weiter schlimm ist, denn die Sonne scheint und Kopfhörer habe ich sowieso immer dabei.

Ich weiß, dass ich Rhys es hätte sagen müssen. Ich weiß auch nicht, wieso ich es ihm nicht erzähle. Aber es hat mich so runtergerissen, dass er komplett anders aufgewacht ist. Es hat mich so verletzt, dass ich aus seinem Gedächtnis gelöscht wurde. Mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit kommen diese Erinnerungen nie wieder. Alles, was wir erlebt haben zusammen, ist einfach weg. Wir werden nie wieder darauf zurückblicken können.

Ich gehe am Ufer des East Rivers entlang, spüre die Sonne, die auf meine Haut scheint und die Kälte, die sich durch meine dicke Jacke frisst. Es ist gruselig, wie fröhlich New York sein kann, wenn man weiß, wie viel schlimme Sachen hier passieren.

Ich presse meine Lippen zusammen, als ich eine halbe Stunde später vollkommen durchgefroren vor Aidens Wohnungstür stehe.

Mein Gehirn kann meine Hand nicht dazu bewegen die Klingel zu betätigen, obwohl ich es seit dem Unfall schon mehrmals wieder getan habe. Jedes Mal ist es eine Überwindung. Jedes Mal wird es schlimmer. Jedes Mal wird mir bewusster, dass ich es verloren habe. Das ich ihn verloren habe.

Ich zwinge mich dazu Ruhe zu bewahren. Es kann nicht sein, dass ich Angst vor ihm habe. Er ist Aiden. Der Aiden, der mir Schwimmen beigebracht hat, der, der mich als erster Mensch in meinem Leben wirklich aufrichtig geliebt hat.

Mir wird das Klingeln abgenommen, denn die Tür öffnet sich und Joss, Aidens Cousine, taucht im Türrahmen auf.

"Oh, Hi, Hillary.", begrüßt sie mich.

Sie ist nett und wir sind seitdem das mit Aiden war sehr gut befreundet, weil die anderen uns zwar Trost gaben, aber kein Verständnis für das hatten, was wir getan haben, unmittelbar nach dem Vorfall.

"Hi, Joss."

Sie blickt mich an, dann in die Wohnung und wieder zurück zu mir.

"Du hast sein Shirt an.", stellt sie fest.

Ich nicke und beiße die Zähne zusammen.

"Wir haben uns wieder vertragen."

"Ich weiß nicht, ob das so gut ist, Hillary."

Ich schlucke und schüttele nur den Kopf. Das ist der Punkt, an dem Joss und ich immer auseinander gehen. Ich habe ihr vor ein Paar Wochen, als das mit Rhys irgendwie so urplötzlich begonnen hat, von ihm erzählt. Am Anfang hat sie wenigstens noch so getan, als würde sie sich freuen, aber nun - tja, nun, sieht sie mich an, als würde ich Aiden betrügen.

Ich trete in die Wohnung hinein und schließe die Tür hinter mir, als ich sehe, dass Joss gerade zur Treppe läuft.

"Joss? Hast du was vergessen?", ruft Aiden und kommt in den Flur, bleibt aber stehen, als er mich sieht. Seine Augen weiteten sich kurz, aber dann beruhigt er sich wieder.

"Morgen.", sage ich und ziehe meine Schuhe aus. Dann hänge ich meine Jacke an die Garderobe.

"Schön, dass du da bist, Hillary.", sagt Aiden und umarmt mich.

Ich kneife die Augen zusammen, damit ich nicht anfange zu weinen. Es ist jedes Mal das selbe.

Ich fange jedes Mal fast an zu hyperventilieren. Aiden und ich haben so viele Dinge zusammen gehabt und haben so viel gemeinsam das erste Mal getan, dass man wahrscheinlich viel zu lange bräuchte um alles aufzuzählen. Es ist schrecklich zu wissen, dass man mit den Erinnerungen jetzt alleine da steht, keine andere Person hat, mit der man darüber reden kann.

Aiden umarmt mich, weil er Mitleid hat. Er hat Mitleid mit mir, weil er weiß, wie sehr ich ihn geliebt habe, immer noch liebe, er aber nichts mehr von all dem fühlt.

Ich löse mich von ihm und gehe ihm hinter her ins Wohnzimmer, wo ich mich einfach neben ihm auf die Couch setze.

"Als ich dir gesagt habe, dass du dich neu in mich verlieben kannst, war ich sehr verzweifelt, Aiden.", sage ich nach einer Weile, in der wir einen Film geguckt haben, der mich irgendwie gar nicht angesprochen hatte.

Aiden sieht mich an und legt seine rechte Hand auf meine Schulter.

Ich atme tief durch.

"Es tut mir leid, Aiden. Alles."

"Mir auch, Hillary."

"Du kannst nichts dafür."

Er zuckt mit den Schultern.

"Ich habe dir von Rhys erzählt.", fange ich an, "Wir haben uns wieder vertragen. Irgendwann werde ich ihm von dir erzählen müssen und dann könnte er wirklich etwas ganz ernstes werden, Aid."

Aiden nickt und lächelt mich an.

Ich wollte so lange nichts anderes als ihn.

Aiden schließt mich wieder in seine Arme und in dem Moment weiß ich, dass wir beide es verdienen glücklich zu werden. Und trotzdem spüre ich diese Verbundenheit nicht mehr, die sonst immer da war.

Mein Körper kennt Aiden, aber mein Körper weiß auch, dass Aidens Körper meinen nicht mehr kennt.

Show me your darknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt