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Es ist schon spät abends, als ich vor Hillarys Tür stehe. Wir haben uns ausgemacht, dass wir uns heute abend treffen, wenn die Beerdigung und das Essen vorüber ist.

Hillary war froh, dass ich da war, das hat sie jedenfalls gesagt.

Und jetzt stehe ich hier vor ihrer Tür und es fühlt sich genau an, wie damals, als das mit uns gerade so angefangen hat. Wir waren so kurz zusammen, aber es hat verdammt viel verändert.

"Hey.", sagt sie, nachdem ich die gefühlt tausend Treppenstufen empor gestiegen bin und sie die Tür geöffnet hatte.

Ich ringe mir ein Lächeln ab und trete zu ihr in die Wohnung, schließe hinter mir die Wohnungstür.

Sie sieht mich an, meine Lederjacke mit den Ketten und den Nieten und meine zerrissene Hose. Dann sieht sie sich selbst an und betrachtet wahrscheinlich ihre schwarze Leggings und das bauchfreie Top, das ihre blasse Haut freigibt.

"Ich hab dich vermisst.", sage ich und bringe sie damit dazu mir in die Augen zu sehen.

Sie nickt. "Ich dich auch. Es gab in den letzten zwei Jahren so viele Rückschläge, Rhys. Der Unfall, Aidens Amnesie, sein Tod und - und du."

Ich senke den Blick, lege meine Hände auf ihren Schultern ab.

Ich werde mich nicht entschuldigen. Sie weiß, dass das, was da passiert war, nicht meine Absichten waren. Ich habe in dem Moment nicht realisiert, was ich da überhaupt gesagt habe. Sie weiß, dass ich sie liebe und das muss reichen. Ich werde nicht vor ihr auf die Knie gehen, Ich werde nicht auf alles auf der Welt schwören. Ich will, dass sie es mir glaubt und wenn nicht - dann werde ich gehen. Jetzt sofort. 

Als ich wieder hoch sehe, sieht sie mich schon an. 

"Können wir so tun, als würden wir wieder von da anfangen, wo wir waren, bevor wir uns in Tucson gesehen haben?", fragt sie mich und fragt damit genau das, was ich hören wollte. 

"Machen wir alles rückgängig?", frage ich und spiele dabei auf eine ganz bestimmte Sache an. 

Sie schüttelt den Kopf. "Dass Rhydian Chest mir gesagt hat, dass er mich liebt, wird nicht gestrichen."

Ich ziehe sie an ihrem Hosenbund zu mir und dann küsse ich sie. 

Ihre Hände vergraben sich zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit in meinen Haaren und ich habe das Gefühl, dass es dieses Mal gut wird. 

Es ist makaber, dass wir das jetzt tun. Denn Aiden ist tot. Und es ist unfair von mir zu denken, dass ich mich jetzt nicht toppen kann. Man sollte so nicht über Personen denken, vor allem nicht, wenn sie tot sind. 

Aber was ich mich immer noch frage ist, ob ich meine Vorsätze eingehalten habe, die ich mir gemacht habe, als ich mich praktisch damals selbst bei Hillary eingeladen habe und sie mich nur mit viel Mut in ihr Schlafzimmer gelassen hat. Damals sah sie so verletzlich aus. Jetzt, genau in diesem Moment, wo sich mich eigenhändig in Richtung Bett schiebt, ist von dem Mädchen von damals kaum was übrig. Habe ich diese Vorsätze wirklich befolgt? Daran gedacht habe ich jedenfalls nicht mehr. Aber wenn ich so drüber nachdenke, habe ich vielleicht nicht alle befolgt, aber definitiv den, bei dem ich mir vorgenommen habe, dass ich sie zum Lachen bringen werde. Und das habe ich. Definitiv.

Gerade als Hillary mein T-Shirt hinter sich wirft, klingelt plötzlich ihr Handy. Sie verdreht die Augen und will es ignorieren, aber ich stoppe sie und strecke mich nach ihrem Handy. 

"Heute war seine Beerdigung. Du solltest für alle anderen da sein."

"Sollten sie nicht für mich da sein?"

"Ich bin für dich da."

Sie zieht eine Augenbraue hoch und ich muss lächeln. Ich habe selbst das vermisst. 

"Ach ja?", fragt sie. 

"War ich heute da oder war ich heute da?"

Sie schmunzelt, obwohl sie gerade noch auf der Beerdigung ihrer ersten große Liebe war. Obwohl sie gerade die Person verloren hat, die sie vermutlich für immer geliebt hätte wäre nicht der Unfall dazwischen gekommen. 

Sie atmet tief durch und nimmt den Anruf an. Sie stellt auf laut und legt ihr Handy auf meiner Brust ab. 

Ich lache, als ich ihren Blick sehe, der keineswegs ihr Handy im Visier hat.

"Hey, Joss.", meldet sie sich. 

"Hillary, wieso hat das so lange gedauert?"

"Hab das Handy erst nicht gehört."

Sie verdreht die Augen. "Was ist los?", fragt sie dann ungeduldig. 

"Hast du den Brief schon gefunden?"

"Was für einen Brief?"

"Ich habe dir einen Brief in die Handtasche gesteckt. Er ist von Aiden. Er meinte, du sollst ihn lesen, wenn er beerdigt worden ist."

Sie legt sofort auf und wirft ihr Handy an das anderen Ende des Bettes. 

"Du musst ihn lesen.", sage ich, als sie nach zehn Minuten immer noch nicht aufgestanden ist, um ihn zu holen. 

Sie nickt und geht dann ins Wohnzimmer um den Brief aus ihrer Handtasche zu holen. 

Dann setzt sie sich neben mich und atmet einmal tief durch. 

Wie viele Leute sterben wohl an den Folgen eines Unfalls, der fast zwei Jahre zurück liegt? Wir kann man denn vom Arzt als gesund abgestempelt werden, obwohl man schwere Amnesie hat und mehrere Tumore in der Brust? 

"Hey Hillary. Ich frage mich wirklich, was gewesen wäre, wenn ich dich nicht vergessen hätte. Du hast immer gesagt, wir wären für immer zusammen gewesen, hätten die hübschesten Kinder zusammen gehabt. Du hast mir immer erzählt, dass ich bei dem Unfall alleine war. Du sagtest, dass ich mich umbringen wollte, aber Josslyn hat mir erzählt, dass ich sturz besoffen war und du trotzdem zu mir ins Auto gestiegen bist. Ich habe dich genauso wie mich in Gefahr gebracht. Ich weiß es zu schätzen, dass du das nicht gesagt hast. Und es tut mir leid, dass ich dir nicht dein Happy End geben konnte, das du verdient hast. Aber vielleicht kann es dir Rhydian geben. Du hast so viel von ihm erzählt, dass es irgendwann offensichtlich wurde. Vor allem als du nach dem Beushc bei meinen Eltern in Tucson, als er uns gesehen hat, immer so niedergeschlagen warst, hat dich verraten. Ich hoffe, dass du bei ihm dein Happy End bekommst, dass dir eigentlich schon so lange zu steht."

*

Seitdem Hill den Brief vorgelesen hat, sind schon wieder einige Tage vergangen. Es ist dieses Mal nicht viel in der Zwischenzeit passiert, außer, dass Hillary praktisch bei mir eingezogen ist. Aber es gibt sicherlich viel schlimmeres. 

Gerade sitzt Hillary halb auf meinem Rücken und starrt mein Tattoo an. 

"Ich kann es nicht fassen.", flüstert sie und fährt über das sauber gestochene H, dass jetzt an der fehlenden Himmelsrichtung steht. Ein V für meine Mutter, ein P für Penny, ein N für Nathan und das H für Hillary. 

Ich drehe mich mit ihr um und sitze nun auf ihr. Sie gibt kurz röchelnde Geräusche von sich, fängt dann aber an zu lachen. 

Ich ziehe ihren Ausschnitt zur Seite, bis man das Tattoo sehen kann, das auf ihrem Schlüsselbein prangt. 

Dort steht "Veni, Vedi, Amavi.", was so viel bedeutet wie "Wir kamen, wir sahen, wie liebten." in unsauberen Buchtsaben, denn ich habe diese Wort geschrieben. Der Zettel, auf dem die Wort standen, die das Tattoo ergaben, hängen genau in diesem Moment über uns und sehen auf uns herab. 

Wir haben uns beide unsere Dunkelheit gezeigt und lieben uns. Und sie wird immer eine Richtung sein, die mich immer richtig weisen wird. 

"Ich liebe dich.", sagt sie und ich nehme mir vor, dafür zu sorgen, dass sie mir das auch noch in den nächsten 60 Jahren sagen wird, wenn wir alt und schrumpelig sind und Urenkel an unseren Füßen rumtollen. 

"Ich liebe dich."









ENDE







Show me your darknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt