1. Kapitel

6.1K 152 19
                                    

Mein Atem ging auf einmal schneller und mein Puls beschleunigte sich. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Meine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in meine Handflächen. Mein Kiefer verhärtete sich und ich biss die Zähne aufeinander.
Mann, das war jetzt schon das dritte Mal an diesem Tag, dass ich völlig ohne Grund wütend wurde und mich nicht mehr unter Kontrolle hatte! Ich seufzte.
„Alles okay bei dir?", fragte Emily mich.
Ich schätzte es sehr an meiner besten Freundin, dass sie sich um mich sorgte, aber im Moment nervte es mich nur an. „Ja!", antwortete ich härter als erwartet. Emily sah mich verwundert an. Im selben Augenblick tat es mir leid. „Sorry, ich... Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist." Und das war definitiv die Wahrheit. Heute war mein sechzehnter Geburtstag - Eigentlich sollte ich fröhlich sein und die Welt umarmen wollen. Und na ja, das traf im Moment nicht wirklich auf mich zu.
„Ich freue mich schon so auf deine Party heute Abend!", wechselte sie das Thema.
Ich lächelte ihr, ihr innerlich dankend, zu. „Ja, das wird sicher toll!" Meine Stimme klang trotzdem leicht unmotiviert. Bei dem Gedanken heute Abend etwa einhundert Teenager in unserem Garten zu haben, die grölten, kotzten und die Nacht durchmachen wollten, drehte sich mir der Magen um. Wieso hatte ich noch mal eine Party machen wollen? Vermutlich, weil jeder in meiner Stufe eine Party zu seinem sechzehnten Geburtstag schmiss. Hätte ich es nicht getan, würden mich wohl alle noch schräger angucken, als sie es gerade sowieso schon taten.
„Der Garten mit Lampions und Lichterketten dekoriert, das Buffet auf eurer Terrasse, der Geruch von gegrilltem Fleisch und Popcorn..." Em sah träumerisch in die Ferne. „Ich sehe es schon vor mir." Schön, dass wenigstens sie sich darauf freute.

Als gegen zwanzig Uhr die ersten Gäste eintrudelten, war Emily fast komplett durchgedreht.
„O mein Gott! Haben wir alles? Servietten auf den Stehtischen, kleine Kerzen, den Salat aus dem Kühlschrank geholt ...", zählte sie an ihren Fingern ab.
„Em!" Ich berührte sie sacht an der Schulter. Meine Freundin machte sich mal wieder einen viel zu großen Kopf. „Es ist alles perfekt!"
Sie lächelte mich zaghaft an und ließ sich auf einen der Gartenstühle fallen. „Okay. Puh, ich muss glaube ich erst mal durchatmen ..."
Kein Wunder, nachdem sie die letzten zwei Stunden herumgewuselt war wie ein junger Hund, um alles fertig zu bekommen. Man könnte fast meinen, es war ihr Geburtstag, so sehr legte sie sich für mich ins Zeug. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie selbst noch fünfzehn war und sich schon innerlich auf ihren großen Tag vorbereitete.
„Ja, tu das. Ich kümmere mich um den Rest." Mit dem Rest meinte ich, die Gäste begrüßen, Getränke nachzuschenken, dafür zu sorgen, dass das Essen immer aufgefüllt war, und, und, und. Die üblichen Dinge, wenn man eine Party veranstaltete.
Um zehn waren höchstwahrscheinlich alle da. Den genauen Überblick, ob die, die man eingeladen hatte auch da waren oder wer da war, den man nicht eingeladen hatte, hatte man ja eigentlich nie. Die Musik war laut, die Stimmung heiter bis fröhlich und die ersten kotzten gerade in Moms Blumenbeet, aber hey, das würde sicher ein super Abend werden.
Kurz überlegte ich, ob es wohl jemand bemerken würde, wenn ich mich jetzt in mein Zimmer verkrümeln würde. Als mein Blick allerdings auf Emily, die mit ihrem Freund Timothy kuschelte, fiel, dachte ich, dass ich ihr das nicht antun könnte. Meine Freundin hatte sich so für diese Feier ins Zeug gelegt und ich durfte das nicht versauen! Mürrisch sammelte ich ein paar herumliegende Plastikbecher auf und warf sie in den Müll. Dieser Abend würde noch lang werden ...

„Hi! Coole Party!" Ich hatte gerade einen Korb mit Baguette auf die Buffettische gestellt und sah auf. Vor mir stand Ally Kendrick, die Zicke unseres Jahrgangs. Groß, dünn, blond, geschminkt, perfekt - Mehr brauchte ich wohl nicht sagen.
„Ally, hi!" Ich versuchte mich beim Anblick ihres engen schwarzen Minikleides nicht zu übergeben und bemühte mich einigermaßen freundlich zu lächeln. Obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, sie eingeladen zu haben, aber vermutlich hatte sie das einfach selbst in die Hand genommen.
„Hätte nicht gedacht, dass so jemand wie du zu seinem Geburtstag eine Party schmeißt." Was sollte das denn jetzt heißen?! „Na ja, immer hin sind ein paar Leute gekommen..." Für mich waren die etwa hundert Personen hier eine riesige Zahl, doch für Ally, die ihren Sechzehnten in einem extra für sie reservierten exklusiven Club mit etwa fünf mal so vielen Leuten wie hier gefeiert hatte, war das natürlich nichts.
„Willst du was trinken?" Insgeheim hoffte ich, das Gespräch so schneller beenden zu können.
Doch zu meinem Enttäuschen verneinte sie. „Ich trinke nichts - Bin gerade auf Diät." Tja, das war sie eigentlich immer.
„Gut, dann noch viel Spaß!", murmelte ich und drehte mich um. Endlich! Ich war sie los!
Plötzlich überkam mich eine heiße Welle, es war als würde mein Körper mit einem Mal hundertmal wärmer sein. Da war sie wieder, diese Wut. Ich knirschte mit den Zähnen und versteifte komplett. Diese Party... Ich konnte kaum noch klar denken. Was geschah hier mit mir? Hatte ich jetzt auch noch mit unkontrollierbaren Aggressionen zu kämpfen? Während der Party?! Meine Augen waren unbemerkt ganz klein geworden, so sehr kniff ich sie zusammen. Mir war heiß, ich hatte den Drang etwas kaputt zu schlagen.
Jetzt.

Mittlerweile war der Himmel dunkel geworden. Ich sah nach oben. Über allem stand der Mond, der Vollmond. Ich schluckte. Er zog mich praktisch magisch an. Was war das alles? Ich riss meinen Blick los, schnappte mir den nächstbesten Becher und trank ein paar Schluck Bier. Verwirrt blinzelte ich mehrmals. Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter. Ich zuckte heftig zusammen und wirbelte herum. Es war Emily.
„Alles in Ordnung? Du stehst hier so alleine." Sie musterte mich.
„Äh ... ja. Alles klar!", entgegnete ich schnell und strich mir eine Strähne hinters Ohr. „Ich geh nur mal eben nach oben."
„Ist dir nicht gut?" Besorgt kam sie einen Schritt auf mich zu.
Ich wich von ihr weg. „Nein, ich meine ja! Mir geht es gut." Ich ballte die Hände zu Fäusten.
„Sicher? Deine Augen sind ganz komisch gelblich ... Hast du Drogen genommen?!", rief sie entsetzt. Ich konnte nicht glauben, dass sie mich das ernsthaft fragte. Als ob ich das jemals tun würde!
„Was? Nein!" So langsam wurde mir das zu viel. Konnte sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Mein Atem wurde schneller, unkontrollierter. „Ich gehe jetzt nach oben. Folg mir nicht."
Damit drehte ich mich auf dem Absatz um und ging ins Haus.

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt