10. Kapitel

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Um halb zwei war der Kunstunterricht bei Mrs Meyers beendet und Luke, Sam und leider auch Jeff pilgerten zur Mensa. Diese war bereits von lärmenden Schülermengen überflutet. Ich stöhnte leise. Die Vorstellung jeden Tag Mensaessen zu essen, war nicht gerade die beste.
"Kommt! Unser Stammtisch ist noch frei.", rief Sam und lief voraus.
Wir folgten ihr. Unser Tisch lag ziemlich einsam da, beinahe wie ein Flooß inmitten vom Meer. Er war als einziger leer und verlassen, im Gegensatz zu den anderen, die voll besetzt waren. Luke setzte sich neben mich. Sam auf die andere Seite. Notgedrungen musste ich nun Jeff genau in die Augen sehen. Er grinste auffordernd. Ich versuchte ihn zu ignorieren. "Kommst du mit zum Buffet?", fragte ich Sam. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Luke enttäuscht wirkte. Ich achtete nicht weiter darauf. Sam nickte und wir durchquerten die Cafeteria.
"Was geht da eigentlich ab mit dir und Luke?", fragte Sam plötzlich. Sie tat sich ein großes Steak auf und hielt mir die Zange hin.
Ich reagierte nicht und versteifte schlagartig. Damit hatte ich nicht gerechnet. "Ähm, was soll da sein?", spielte ich die Ahnungslose.
"Komm schon er steht total auf dich! Du etwa auch auf ihn?" Sie sah mich prüfend an. Ich wusste nicht, ob es sie einfach nur interessierte oder ob ihr selbst etwas an Luke lag. Immerhin kannten sich die beiden schon lange.
Zögernd wich ich aus. "Das würde ich so nicht sagen ..."
"Also nein?"
"Keine Ahnung! Ich finde ihn echt nett und hilfsbereit, aber ..."
"Also doch!", rief sie. Ihr Gesichtsausdruck war unerklärlich. Ich hätte nicht sagen können, ob sie etwas an ihm fand. "Ich wusste es."
"Nein! Ich stehe nicht auf ihn." Langsam wurde es mir zu blöd. Was sollte der ganze Mist hier eigentlich? Wenn sie auf ihn stand, sollte sie das sagen, anstatt mich auszufragen und zu bedrängen. "Aber du, oder wie?", entgegnete ich schließlich und traf damit offenbar genau ins Schwarze.
Sie wurde rot und schmiss die Zange für die Steaks zurück auf den zugehörigenTeller. "Ich gehe zurück zum Tisch." Mit diesen Worten verschwand sie.

Als ich an den Tisch zurückkehrte, den Teller vollbeladen mit blutigem Steak und anderem Fleisch, herrschte irgendwie eine andere Atmosphere. Jeff stopfte mechanisch Fleisch in sich hinein, Luke schwieg und Sam würdigte mich keines Blickes. Nach ein paar Minuten war mir der Appetit vergangen. Ich schnappte mir mein Tablett und meine Sachen und verabschiedete mich in die Bibliothek.

In San Francisco war ich nur zwei Mal in der Bibliothek gewesen. Einmal mit Emily zum Lernen für eine Buchvorstellung und einmal an dem Tag, an dem ich keinen Internetanschluss zuhause hatte und eine Präsentation am Computer vorbereiten sollte. Das war's. Ich erinnerte mich trotzdem noch gut an die Bibliothek und die schräge Bibliothekarin Mrs Armstrong. Der Name passte so gar nicht, da sie überhaupt keine Muskeln besessen hatte und mindestens sechzig war. Ihre grauen Haare trug sie stets zu einem Dutt im Nacken. Mrs Armstrong hatte immer eine Lesebrille auf der Nase, selbst wenn sie nicht las und staubte die Bücher pausenlos ab.
Mrs Penn, die Bibliothekarin hier, war genau das Gegenteil von Mrs Armstrong. Sie war etwa dreißig, trug eine helle Bluse und eine Jeans und wirkte weder schräg, noch konservativ. Als ich die Bibliothek betrat, zog mir ein Duft von Staub, Büchern und Papier in die Nase. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber der Geruch gefiel mir merkwürdigerweise. Die Bibliothek hatte nur drei Deckenfenster, ansonsten war sie fensterlos. Die Wände waren komplett mit Bücherregalen bedeckt. An der linken Seite befand sich, in der Mitte der Wand zwischen zwei Regalen, die Ausleihe. In der Mitte des Raumes standen ein paar Tische zum arbeiten.
"Hallo!" Mrs Penn trat auf mich zu und lächelte freundlich. Ich wusste nicht wieso, aber ich konnte riechen, dass sie eine Hexe war. "Willkommen, Lia."
"Woher kennen Sie meinen Namen?", fragte ich verblüfft.
Sie lachte. Mrs Penn war einer dieser Menschen, die man sofort ins Herz schloss. "Oh, ich kenne alles und jeden der neu an diese Schule kommt." Komischerweise machte mich diese Aussage nicht skeptisch. Auch nicht, dass sie so nett zu mir war, wo doch die Hexe im Kräuterladen so unfreundlich gewesen war. Scheinbar kamen manche mehr und manche weniger gut mit anderen übernatürlichen Wesen klar.
"Suchst du etwas bestimmtes?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin nur hier für die Hausaufgaben. Ich habe gehört, man soll dafür in die Bibliothek gehen."
"Ja, das kann man", nickte Mrs Penn. "Aber du kannst auch in den Computerraum oder in dein Zimmer gehen."
"Ich würde gerne hierbleiben.", antwortete ich ehrlich. Bei dem Gedanken mit Sam in einem Raum zu hocken und sich zu ignorieren, verspürte ich keinerlei Lust in mein Zimmer zu gehen.
"Das kann ich verstehen. Die Bibliothek ist ein wunderbarer Ort der Ruhe und Entspannung. Wenn du Fragen hast, komm einfach zu mir." Sie zwinkerte mir zu und verschwand wieder hinter der Ausleihe, wo sie begann Bücher nach Genres zu ordnen.
Ich setzte mich an einen der freien Tische und entdeckte weiter hinten Mary-Ann und Rosa. Sie hockten zusammengebeugt über einem dicken Wälzer und notierten sich etwas. Deshalb waren sie also nicht beim Mittagessen gewesen.
Ich seufzte und holte meine Mathesachen heraus. Auf Algorithmenberechnung hatte ich jetzt echt keine Lust. Doch was sollte ich sonst machen? Still und leise erledigte ich meine Aufgaben und bemerkte kaum, wie mich eine Person musterte. Aus dem Augenwinkel sah ich einen dunklen Schatten, der an einem der Bücherregale lehnte. Vielleicht war es ja Jeff ...
Bemüht nicht hochzugucken, arbeitete ich weiter, guckte beim Nachdenken überall hin, nur nicht in diese Richtung. Irgendwann kam es mir schon albern vor, doch ich wollte lieber ungestört arbeiten, anstatt mich mit jemandem rumzuschlagen. Insbesondere, wenn es Jeff oder Sam waren. Irgendwann hielt ich es aber nicht mehr aus. So gut ich auch durchgehalten hatte, ich musste sehen, wer mich nun schon seit circa einer halben Stunde so beobachtete. Ich atmete tief durch und sah hin.
Der Schatten war weg.

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt