13. Kapitel

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Die anderen strömten aus dem Klassenraum, während ich langsam meine Bücher einpackte und nach vorne schlurfte.
"Mrs Williams, dass sie im Werwolfunterricht schon mehrmals aufgefallen sind, ist mir nicht entgangen, doch nun auch noch in Englisch!", fing Mrs Andrews direkt an, während sie noch ihre Sachen in ihre Lehrertasche stopfte. "Können Sie mir vielleicht sagen, was genau der Grund dafür ist?" Als wäre es eine rhetorische Frage, redete sie gleich weiter, ehe ich zu einer Antwort ansetzen konnte. "Dass Sie noch ganz frisch Werwolf sind, ist uns allen bewusst, was eine Prügelei während des Unterrichts oder permanentes Reden leider nicht entschuldigt. Sie wurden in Kenntnis der Schulregeln gesetzt, nicht wahr? Wieso in Gottes Namen verhalten Sie sich dann so? Die Schule ist ein Ort des Lernens und der Konzentration. Hier ist kein Platz für Prügeleien und Gewalttaten. Ich weiß ja nicht, was für eine Erziehung Sie in Ihrem Elternhaus genießen durften, aber das geht nun mal zu weit." Sie holte kurz Luft. "Wenn so etwas noch einmal vorkommt, dann muss ich Sie im Namen aller Beteiligten zu extra Kontrollunterricht verdonnern, verstanden? Und nun verlassen Sie meinen Raum!"

"Hey! Wie lief es?", fragte Luke. Er hatte in der Mensa auf mich gewartet und mir einen Platz an Sams Tisch freigehalten. Wir saßen von nun an wieder alle zusammen, was mich irgendwie beruhigte. Außerdem war ich so nicht Luke und seinem merkwürdigen Verhalten mir gegenüber allein ausgesetzt.
"Ganz gut, schätze ich.", log ich und verdrängte die Tränen, die mir gerade in die Augen stiegen.
"Was soll das heißen?" Sam, die auf unser Gespräch aufmerksam geworden war, sah mich fragend an.
"Na ja, wenn ich so was nochmal mache, muss ich eine extra Stunde Kontrolltraining machen.", murmelte ich.
"Das tut mir echt leid!", rief Luke. "Es war alles meine Schuld! Hätte ich dich bloß nicht im Unterricht angesprochen ..."
"Es ist nicht deine Schuld, sondern meine.", unterbrach ich ihn. "Ich habe mir das selbst eingebrockt." Ich fuhr mir durch die Haare.
Sam legte mitfühlend einen Arm auf meine Schulter. "Das wird schon! Reiß dich einfach beim Werwolftraining zusammen und mach nichts, was ich nicht auch machen würde."
"Was soll das denn heißen?", fragte Jeff. "Du bist doch letzte Stunde ausgerastet!"
Sam verdrehte die Augen. "Das war eine Außnahme!"
"Ja, weil er von Luke und dir gesprochen hat!", rief er. "Klar, dass du da ausrastest."
Sam fing an gefährlich laut zu knurren.
"Sam!" O Gott, wenn sie sich jetzt hier vor allen zum Werwolf verwandelte  ... "Bleib ganz ruhig!"
"Jeff, wieso tust du sowas?", fragte Mary-Anne und vergrub den Kopf in ihren Händen.
"Das ist doch kein Geheimnis!", antwortete der grinsend.
Rosa sah ihn strafend an. "Du bist echt so ein Mistkerl, Jeff! Nur weil es bei dir in der Liebe nicht funktioniert hat, hackst du auf anderen herum. Komm doch erst mal mit deinen eigenen Problemen klar, bevor du andere verurteilst." Das hätte sie wohl besser nicht sagen sollen ...
Jeff begann nun auch zu fauchen und zu knurren.
"Toll, Rosa! Ganz toll!", rief Luke und versuchte Jeff zu beruhigen.
Auf einmal packte jemand Jeff an der Schulter. Ich sah hoch. Es war Chris, der mal wieder gerade rechtzeitig zum Streitschlichten da war.
"Beruhig dich, Junge!", rief seine tiefe Stimme und ihn schüttelnd versuchte er Jeff zurück in die Gegenwart zu befördern, was ihm zum Glück gelang.
Sam hatte sich mittlerweile schon beruhigt und war wieder ansprechbar. Trotzdem verriet ihr verkniffener Blick, dass sie immer noch sauer auf Jeff war. Verständlicherweise ...

Wenig später fand ich mich allein im Gang zum Werwolfteil wieder. Sam und die anderen waren in ihren Zimmern. Mir war das jedoch zu langweilig gewesen. Ich wollte mich bewegen, irgendetwas tun, anstatt direkt die Hausaufgaben zu erledigen. Die Frage war, was. Hier in Overtum gab es nicht gerade ein Überangebot von AGs und da ich mitten im Schuljahr gekommen war, konnte ich auch keiner Arbeitsgemeinschaft mehr beitreten.

Ich beschloss zum Trainingsraum zu gehen. Vielleicht war er offen und ich konnte ein paar Schläge üben. Abseits von der Schulzeit am frühen Nachmittag, waren die Gänge zum Unterricht wie ausgestorben. Jeder wollte diese Flure so schnell wie möglich verlassen. Ich ließ meine Hand an der Wand zu den Vampirräumen entlang schleifen. Sie lagen direkt neben dem Werwolfsraum. Ob es dort auch einen Trainingsraum mit Boxsäcken gab? Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie war ich auf einmal neugierig auf die Vampirräume. Unschlüssig stand ich vor der Tür. Sie war zu, aber vielleicht nicht abgeschlossen ...
Plötzlich wurde die Tür von innen geöffnet. Ich sah hoch. Vor mir stand der hübscheste Junge, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Seine Haut war schneeweiß, seine Haare dunkelbraun und seine Augen waren haselnussfarben.
"Oh, ein Werwolfmädchen." Er lächelte.
Ich errötete - Leider. "Ja. Und du bist?"
"Raphael Light." Ein Vampirjunge. "Was tust du hier? Ist es euch nicht verboten, beim Feind herumzuschnüffeln?"
„Ich hab nicht geschnüffelt!", protestierte ich empört.
„Du bist doch ein Wolf, macht man dann nicht so was?" Er sah mich belustigt an.
„Ach, dann hast du wohl gerade jemanden dadrinnen ausgesaugt und getötet. Das machen Vampire doch so, stimmt's?" Ich verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Der Typ war ja mal so ein Idiot! Allerdings ein ziemlich gut aussehender ...
„Ehrlich gesagt habe ich den Raum sauber gemacht.", antwortete Raphael gelassen.
Ich versuchte unauffällig einen Blick in den Raum zu werfen, doch sein muskulöser Körper verdeckte alles. „Waren die Blutspuren zu auffällig?"
„Ja, zugegeben haben wir etwas mit Blutgruppen gearbeitet und es ist ein bisschen was ausgelaufen."
Ich wurde blass. „Ach ... echt?" Ich schluckte. Blutspuren im ganzen Raum verteilt, tauchten vor meinem inneren Auge auf. „Ich muss dann mal wieder!", verkündete ich und als ich mich gerade umdrehen wollte, fiel mir etwas an seinem Körper auf. Er kam mir so bekannt vor. Diese Statur hatte ich schon einmal gesehen. Ich wusste nur nicht wo ... Blinzelnd versuchte ich diesen verwirrenden Gedanken zu verbannen. „Also dann ..." Ich drehte mich um und dummerweise verknoteten sich meine Füße dabei. Stolpernd fiel ich nach vorne. Es war unmöglich meinen Fall aufzuhalten. Die Augen zusammenkneifend raste ich auf den Boden zu ... Und wurde von starken Armen aufgefangen.
„Hoppla."
Ich sah verwirrt von seiner Schnelligkeit in seine hellbraunen Augen, was das Ganze nicht besser machte. Ich wurde rot und rappelte mich eilig auf. „Ähm, danke."
„Keine Ursache." Er musterte mich und schien durch seinen kleinen Sprint zu mir überhaupt nicht außer Atem zu sein. Er sah immer noch so verdammt perfekt aus, wie vor zwei Minuten. Ich wollte mich gar nicht erst sehen - Rot, verwirrt, unordentliche Haare, um nur mal ein paar Sachen aufzuzählen.
Ich drehte mich um. Es war an der Zeit zu gehen. Ohne mich nochmal umzudrehen, ging ich zu meinem und Sams Zimmer.
Die Lust auf Boxen war mir nach der Aufregung deutlich vergangen.

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt