19. Kapitel

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"Was machst du denn hier?!", zischte ich ihm zu, als er sich ausgerechnet neben mich setzte.
"Das sollte ich dich fragen!", antwortete Raphael belustigt. "Ich war zuerst hier." Konnte es sein, dass dieser Typ sich über alles und jeden lustig machte? Was für ein Idiot.
Ich schwieg.
Mrs Penn setzte sich an das Kopfende des Tisches und sah in die Runde. "Also, hallo zusammen! Ich dachte, wir sprechen heute über das Buch Tintenherz." Sie machte sich lang, um an das entsprechende Buch in der Mitte des Tisches zu kommen. Der zweite und dritte Band lagen ebenfalls auf dem Tisch. "Ich würde vorschlagen, wir sprechen erst einmal über die Hauptcharaktere und eure Meinung zu ihrem Charakter und ihrer Handlungsweise."
Ich konnte mich jedoch kaum auf die Worte der Bibliothekarin konzentrieren, weil ich versuchte, in Raphaels Nähe einigermaßen ruhig zu bleiben.
Clarissa meldete sich zu Wort. "Also, ich fange mal mit Meggie an. Sie ist mein Lieblingscharakter aus dieser Reihe. Ich liebe ihre neugierige und hilfsbereite Art und wie sie ihren Vater unendlich liebt."
"Ja, das ist wirklich sehr beeindruckend.", sagte Mrs Penn. "Was sagen die anderen dazu?"
"Ich verstehe nicht, wieso sie nach Mos Tod nicht mehr mit Resa und Farid sprechen will.", meinte Jason. "Klar, sie ist sauer und traurig, dass er gestorben ist, aber mit der eigenen Mutter kann man doch sprechen, oder nicht?"
Ich räusperte mich. „Ich kann gut verstehen, wieso sie mit niemandem sprechen will. Ihr Vater war alles für sie und als er stirbt, hat sie sich wahrscheinlich insgeheim gewünscht, auch zu sterben, um bei ihm zu sein. Sein Tod lässt sie in ein tiefes Loch fallen und Resa, die sie noch nicht lange kennt, konnte ihr auch nicht helfen."
Es herrschte Stille.
„Ähm, ja. Richtig." Mrs Penn durchbrach sie als erstes. „Sehr, sehr guter Einwand, Lia!"
„Wen ich nicht verstehe, ist Mo. Er ist Meggies Vater, liebt sie mehr als sein Leben, aber wenn er der Eichelhäher ist, ist im alles egal was mit seiner Familie zu tun hat. Er sieht nur noch seine Mission und vergisst Meggie und Resa und vor allen Dingen das ungeborene Kind!" Maya verschränkte die Arme. „Das kann ich nicht nachvollziehen."
„Ja, dass habe ich mich auch beim Lesen immer gefragt.", murmelte Mrs Penn. Sie sah uns der Reihe nach an. „Hat jemand eine Idee? Raphael, du vielleicht?"
Er setzte sich auf. „Na ja, er hat viele Rollen. Mo, den Eichelhäher, Zauberzunge ... In jeder Rolle ist er jemand anderes. Ich glaube nicht, dass er Meggie als Eichelhäher vergisst oder sie ihm egal ist. Aber er ist in einer anderen Rolle als wenn er Mo, der umsorgte Vater, ist. Jetzt sieht er nicht nur Meggie und die Familie, sondern auch die Armen und die Schwachen, für die er so ein großes Herz hat."
Oh mein Gott! Der Junge hat noch was anderes als Späße im Kopf! Ich staunte nicht schlecht. Als die anderen weiter redeten, sah er mich fast schon triumphierend an. Ich verdrehte die Augen. Okay, er war immer noch derselbe.
Plötzlich bekam ich eine Idee. „Hey!", flüsterte ich ihm zu. „Warst du das am Dienstag in der Bibliothek? Dieser Schatten, der mich beobachtet hat?" Bitte, lass es ihn gewesen sein! Sonst wäre das echt peinlich für mich ... Wer sah bitte Schatten?!
„Ja, das war ich." Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Wusste ich es doch!
„Wieso tust du so was?", fragte ich entgeistert. „Das war einfach nur gruselig!"
„Ich bin ein Vampir. Schätze, wir halten uns gerne im Hintergrund und beobachten." Toll.
Ich zog die Augenbrauen hoch. „Soll das deine Entschuldigung sein?"
Er zuckte die Achseln. „Möglich."
Wir lauschten still dem Gespräch der anderen und als Mrs Penn die Stunde beendete und sich die Gruppe auflöste, nahm Raphael mich beiseite.
„Was ist?", fragte ich verwirrt. „Willst du mich in deine Vampirgruft bringen und aussaugen?"
„Keine schlechte Idee, aber ich hatte an etwas anderes gedacht.", entgegnete er grinsend. „Wie wäre es, wenn wir uns am Sonntagabend in der Bibliothek treffen."
„Wieso das?", fragte ich skeptisch.
„Wieso nicht. Wie könnten über Bücher fachsimpeln, das scheint ein gemeinsames Hobby zu sein." Er zwinkerte mir verschwörerisch zu.
„Ja ...", murmelte ich und überlegte eine Sekunde. „Okay, um neun Uhr hier."
„Gut. Versprichst du zu kommen?" Er sah mich prüfend an.
„Ich verspreche es!", antwortete ich beinahe feierlich.
„Hand drauf." Er hielt mir seine große Hand hin. Zögernd ergriff ich sie und zuckte beinahe zurück. Sie war kalt, aber auf den zweiten Blick war es nichts schlechtes, denn sie war auch trocken und weich. Seine Lippen sahen auch weich aus ... Und seine Haare erst! „Dann bis übermorgen." Er holte mich zurück in die Gegenwart. Ich wurde rot und löste hektisch meine Hand aus seiner.
„Ähm, k-klar."
Dann war er auch schon weg.

Beim Abendbrot erzählten mir Mary-Ann und Sam aufgeregt, dass heute Kino sei. Angeblich fand jeden Freitag eine Filmvorführung in der Eingangshalle von Overtum statt. Das schien hier ein echtes Highlight zu sein, denn alle Schüler freuten sich offenbar total darauf.
Um neunzehn Uhr, eine halbe Stunde nach dem Abendessen, versammelten sich alle Schüler in der Eingangshalle. Sie war vollkommen überfüllt und wir bekamen gerade so noch einen Sitzplatz. Die Schule hatte Stühle in langen Reihen aufgestellt, die alle auf die linke Wand, die den Hexenbereich abgrenzte, gerichtet waren.
„Welcher Film läuft eigentlich?", fragte ich Sam, die rechts von mir saß. Luke und Jeff saßen zwei Reihen vor uns. Luke drehte sich alle paar Minuten nach mir um, was echt unangenehm war.
„Ähm, ich glaube Harry Potter Teil eins.", antwortete sie.
Mhm, den kannte ich schon.
„Den kennt doch eh jeder!" Mary-Ann hatte scheinbar meine Gedanken gelesen.
„Ruhe, bitte!", rief jemand ganz vorne. Ich reckte mich, um zu sehen wer es war. Der Schulleiter Mr Gilbert stand vorne. Ausgerechnet. „Wir zeigen heute in unserem Overtum-Cinema den Film Harry Potter. Teil eins. Ruhe, bitte! Ich weiß, einige kennen ihn bereits ..."
„Einige?", murmelte Sam. „Ich würde mal eher sagen alle!"
„ ... trotzdem wird das hoffentlich ein schöner Abend. Und jetzt viel Spaß! Und Film ab, bitte!" Er verließ seinen Posten.
„Film ab, bitte!", machte Rosa ihn nach. Wir lachten alle. „Oh mein Gott!"
Die Lichter verlöschten langsam. Ich hielt Ausschau nach Raphael und entdeckte ihn zusammen mit ein paar anderen Vampiren an der Wand lehnend. Er sah so gut aus, mit seinen dunklen Haaren und dem blassen, markanten Gesicht. Plötzlich sah er mich an. Ich blickte beschämt zu Boden und errötete. Momentmal, war ich etwa verliebt?!

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt