16. Kapitel

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Am nächsten Tag nach dem Unterricht saß ich mit Sam und Luke in der Eingangshalle auf den Sofas. Hier hatte ich erst vor zwei Tagen gesessen. Einsam und ohne zu wissen, was mich erwarten würde. Wie schnell die Zeit verging ...
„Echt krass, wie Jeff heute beim Werwolfunterricht ausgerastet ist!", murmelte Luke.
„Ja." Ich runzelte die Stirn. „Ist das eigentlich immer so? Ständig hat sich jemand beim Werwolftraining nicht unter Kontrolle."
„Jap, das kommt öfter vor. Wir Werwölfe sind ja für unser hitziges Gemüt bekannt.", lachte Sam. Sie räkelte sich auf dem Sofa und legte ihren Arm auf die Lehne.
„Was ist eigentlich mit Jeff los?", fragte ich. Diese Frage stellte ich mir schon länger und hatte bis jetzt nie eine Antwort darauf bekommen.
„Was meinst du?" Sam sah mich fragend an, doch ich glaubte, dass sie sehr wohl wusste, was ich meinte.
Das schien auch Luke zu denken, denn er sagte: „Komm schon, Sam. Wir können es ihr sagen!"
„Sicher? Sollte das nicht immer noch Jeff entscheiden?" Sie zog fragend eine Augenbraue hoch.
Luke sah sie strafend an. „Der würde es doch niemals sagen."
„Deshalb ja!", entgegnete Sam und schmiss die Arme in die Luft. „Er will es geheim halten. Jeff rastet aus, wenn er erfährt, dass wir Lia davon erzählt haben!"
„Aber er wird es nicht erfahren!", antwortete er. Dann sah er sich um, als fürchtete er, Jeff würde jeden Augenblick auftauchen. „Oder siehst du ihn hier irgendwo?"
„Darum geht es doch gar nicht! Wenn er ..."
„Okay, okay! Es war nur eine Frage!", unterbrach ich Sam. „Ihr müsst es auch nicht sagen."
Luke sah von mir zu Sam und zurück. „Doch, das müssen wir."
„Bitte! Sag es ihr, aber ich habe damit nichts zu tun!" Sam stand auf und drehte sich um. „Du kriegst den Ärger!" Und damit war sie verschwunden.
Luke seufzte und beugte sich zu mir. Dann flüsterte er leise: „Okay. Also, du kennst doch Alisha oder?"
Ich nickte. „Das ist doch Sams alte Mitbewohnerin, stimmt's?"
„Ja, genau. Sie ist bei einer Auseinandersetzung zwischen Vampiren und Werwölfen gestorben. War ein ähnlicher Draufgänger wie Jeff. Vielleicht hat er sie deswegen geliebt. Die beiden waren nicht zusammen, aber Jeff war unsterblich in sie verliebt und ist es wahrscheinlich heute noch. Ihren Tod hat er nie verkraftet und gibt sich teilweise die Schuld, obwohl es definitiv nicht seine ist. Darum ist er so abweisend und aggressiv."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Auf einmal tat Jeff mir unsagbar leid. Jemanden Geliebten zu verlieren, ist immer sehr schwer. Das kannte ich ja selbst von meinem Dad. „Das ... tut mir leid.", murmelte ich schließlich.
„Ja, es ist hart für ihn. Sprich ihn besser nie darauf an oder mach Anspielungen auf eine unglückliche Liebe.", warnte Luke mich mit raunender Stimme.
Ich nickte.
„Ach ja, und was ich noch fragen wollte ...", er stockte. „Diese Sache gestern, du weißt schon ..." Oh Gott! Nicht der Kuss!
Ich stand abrupt auf. „Ähm, mir ist gerade was wichtiges eingefallen! Ich muss los!" Lahme Ausrede.
Luke sah mich überrumpelt an und sein Blick glitt verwirrt hin und her. Er tat mir leid, aber es ging nicht anders.
Ich rannte in die Bibliothek - Der einzige Ort an dem ich für mich sein konnte. Dachte ich zumindest ...

„Hallo Lia!", begrüßte mich Mrs Penn, als ich abgehetzt in der Bibliothek ankam.
„Hi!", antwortete ich.
Sie hielt einen Stapel Bücher in der Hand. „Du bist eine der wenigen, die regelmäßig in diese Bibliothek kommen, also habe ich mir erlaubt ein paar Bücher für dich rauszusuchen." Sie drückte mir den Stapel in den Arm. „Ich dachte, die könnten dich vielleicht interessieren."
„Danke!", stammelte ich überrascht. „Das wäre doch nicht nötig gewesen!"
„Oh doch! Jeder Gast an diesem heiligen Ort soll mit Büchern empfangen werden." Sie lachte. „Oder so ähnlich!"
Ich lachte ebenfalls.
„Eine Frage: Hättest du Lust in unseren Bücherclub einzutreten?" Sie sah mich aus großen Augen an.
„Ähm, ja, wieso nicht!", entgegnete ich, überrascht von mir selbst, dass ich so schnell zustimmte, zu etwas, was ich noch nicht einmal kannte.
„Super! Wir treffen uns immer Freitags um siebzehn Uhr hier. Das ist morgen. Ich schreibe gleich eine Randbemerkung, dass wir eine neue Teilnehmerin haben, in meinen Notizblock!" Sie lachte und trat hinter ihren Tisch.
Ich legte meinen Bücherstapel auf einen der Tische und las mir, ein Buch nach dem anderen, die Klappentexte durch. Ein Buch war über Unterweltsgeschöpfe, eins eine ein einfache Liebesgeschichte, und eins war sogar über Horoskope und Sternbilder. Ich betrachtete es genauer. An Horoskope glaubte ich normalerweise nicht, deshalb legte ich das Buch auf den Nein-Stapel. Das über Unterwäldler war schon spannender. Ich beschloss es zusammen mit der Liebesgeschichte und drei weiteren Büchern des Stapels zu nehmen. Nachdem ich sie bei Mrs Penn ausgeliehen und ihr erneut gedankt hatte, machte ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer.
Dort, wo der Gang zu den Zimmern der Werwölfe den Gang zu denen der Vampire kreuzte, rannte ich geradewegs in einen Jungen hinein.
„Hey!", rief er. „Pass doch auf, wo du ... Oh, hi Werwolfmädchen. Lange nicht gesehen!"
Ich sah hoch. Och ne! Vor mir stand niemand anderes als Raphael, der Vampir von gestern. "Hallo.", antwortete ich kühl.
Er sah genauso perfekt aus wie gestern und seine Haare glänzten im Schein der Lampen. Als er lächelte, blitzten seine Augen. "Du scheinst ein Problem mit dem Gehen zu haben. Erst stolperst du über deine eigenen Füße, dann rennst du in mich rein ...", zählte er an seinen Fingern ab. "Was passiert wohl als nächstes?"
Ich merkte, dass eine leichte Wut in mir hochkam. Der Typ wollte mich doch bloß provozieren! Ruhig, Lia! "Ach ja? Und du bist der allerbeste, unfehlbarste Typ überhaupt, oder was?", knurrte ich.
"So würde ich es jetzt nicht unbedingt ausdrücken ... Aber Gehen beherrsche ich. Es ist sogar eine meiner Stärken!" Er grinste. "Ich könnte dir Nachhilfe darin geben." Idiot.
Wie dieser Kerl mich wütend machte! Er glaubte wohl, die Welt würde sich nur um ihn drehen. Der Typ dachte, ich wäre unfähig zu laufen, oder so was. Was erlaubte er sich eigentlich? Ich ballte die Fäuste. Und dann dieses dämliche Grinsen. Ich würde es ihm am liebsten rausschneiden aus seinem perfekten Gesicht! Meine Haut spannte auf einmal, Krallen traten an meinen Händen und Füßen hervor und ich knurrte wild.
„Oh, okay! Ich ... äh, ruhig!", rief Raphael und versuchte es mit beschwichtigenden Armbewegungen.
Zu spät. Ich sprang ihn an und kratzte ihm mit meiner Klaue die Brust auf.  Blut trat hervor. Oh, es tat so gut diesem Mistkerl einmal überlegen zu sein!
„Mrs Williams!", brüllte auf einmal eine donnernde Stimme, die mich aufhorchen ließ. Es war Chris. Er packte mich im Nacken und riss mich mit seinen Klauen von Raphael fort. Er musste sich in Sekunden in einen Werwolf verwandelt haben. Einen Wimpernschlag später war er wieder menschlich. „Ruhig, Lia!"
Ich atmete und versuchte runterzukommen. Gar nicht so einfach, wenn man eben noch auf hundertachtzig war.
Chris reichte mir eine Decke, damit ich nicht nackt vor allen Schaulustigen, die sich mit der Zeit um uns versammelt hatten, stand. Wo auch immer er sie her hatte ... Er half mir hoch. Von Raphael war keine Spur mehr.
Da entdeckte ich einen großen furchteinflößenden Mann in der Tür zum Büro des Schulleiters.
„In mein Büro!", rief er. Sein Name war, glaube ich, Mr Gilbert. „Sofort!"

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt