2. Kapitel

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Hier drinnen war es kühl und leiser. Die Musik drang nur noch gedämpft durch die Scheiben. Außer Mom waren hier nur wenige Leute, und die waren auch nur in der Küche oder auf der Toilette. Meine Mutter hatte vorgehabt, einen Film in ihrem Schlafzimmer zugucken. Irgendeine Liebesschnulze ...
Dass sie die Feier erlaubt hatte, rechnete ich ihr hoch an. Eigentlich hatte sie nämlich um meinen sechzehnten Geburtstag immer ein riesen Tam Tam gemacht. Von wegen man wird nur einmal sechzehn, wir sollten einen Ausflug machen und so weiter.

Ich drängte mich durch das Wohnzimmer und die Küche, an den Feiernden vorbei, nach oben.
„Happy Birthday!", rief mir einer von ihnen hinterher, doch ich beachtete sie gar nicht. Ich war fokussiert auf den Weg zu meinem Zimmer. Mein Atem ging schnell und unkontrolliert heftig. Innerhalb von Sekunden war ich die Treppe hinauf gehechtet und knallte die Tür meines Zimmers hinter mir zu. Ich keuchte nun beinahe. Schmerzen fuhren mir durch Arme und Beine, als würde jemand wie wild an ihnen ziehen. Atemlos ließ ich mich gegen die Tür fallen, die daraufhin bedenklich knackte. Ich fuhr mir mit meinen bebenden Händen, das Gesicht schmerzhaft verzogen, über Gesicht und Haare.
Ich. Wollte. Etwas. Zerstören.
Mein Kiefer verhärtete sich, dieses Gefühl der Wut wurde größer und größer und schließlich schrie ich laut auf. Allerdings war es kein heller, schriller Schrei wie erwartet, sondern ein kehliges Rollen. Erschrocken presste ich meine Hand auf den Mund. Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper sich veränderte, länger, breiter wurde. Meine Hände umklammerten den Türrahmen, ängstlich nach Halt suchend. Ob ich Mom rufen sollte oder Emily? Plötzlich ging ein Ruck durch meinen Körper und meine Klamotten begannen am Körper zu zwängen. Ich wagte es nicht, an mir herunter zu sehen. Stattdessen kniff ich vor Schmerz meine Augen zu. Stöhnend ließ ich mich auf meine Knie fallen. Was war das? Woher kamen diese plötzlichen Krämpfe? Ein knurrender Laut drang aus meiner Kehle und ich zuckte vor Angst vor mir selbst zusammen. Meine Kleidung riss und platzte vor meiner Brust weg. Erschrocken schrie ich auf. Doch da war nur noch ein Knurren. Ich sah auf meine Hände. Perplex stellte ich fest, dass diese nicht länger wie meine aussahen, oder überhaupt menschlich. Es waren Krallen, klauenartige Pranken. Ich knurrte wild und schüttelte mich. Mit einem kräftigen Satz sprang ich von der Tür weg. Meine Hinterpfoten hinterließen einen tiefen Kratzer in ihr. Ich sprang durch mein Zimmer, nun völlig außer Kontrolle. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles woran ich denken konnte, war Wut, Schmerz und Zerstörungslust. Mit zwei kräftigen Sprüngen landete ich auf meinem Bett, die hellblaue Bettdecke darauf ordentlich gefaltet. Speichel tropfte auf die Bettwäsche und ich riss sie herunter. Meine Hinterläufe verhedderten sich in der Decke. Wutentbrannt wirbelte ich um mich selbst und befreite mich. Nun rannte ich in zwei Sekunden zum Bücherregal und schmiss es laut polternd um. Mit meinen Klauen zerrte ich hastig die Bücher heraus. Schneidend zerfetzte ich eine Buchseite nach der anderen und zerkratzte die Cover. Zähnefletschend sah ich mich um. Was als nächstes? Der Schreibtisch. Ich sprang auf die Tischplatte und kratze mit den Krallen tiefe Furchen in das helle Holz. Mit einem Tritt lagen die Schreibtischlampe, ein Ordner und ein Stapel Bücher auf dem Boden.
Ich wollte gerade auf den Kleiderschrank zu hechten, da fiel mein Blick auf dem bodentiefen Spiegel. Bei meinem Anblick wich ich zurück. Ich war ein riesiger Wolf.
Das dunkelgraue Fell stand zottelig in alle Richtungen ab, meine Augen waren von einem grellen Gelb und blitzen im Mondlicht. Aus dem Maul tropfte Speichel und lange, gelbliche Reißzähne waren zu sehen. Ich wand verstört den Blick ab und widmete mich dem Schrank, den ich mit drei Hieben zerkratzte und die eine Tür aus dem Angeln riss.
Ich hatte Hunger. Ich wollte jagen. Unten war die Party.
Mit langen Sprüngen rannte ich zum Fenster und sprang kurzerhand durch die Scheibe. Das Glas zersplitterte und hinterließ blutende Wunden in meinem Fell, doch das war mir egal. Ich brauchte jetzt Fleisch.

Die Straßen waren wie leergefegt als ich in Richtung Wald lief. Mir kam es vor, als bewegte ich mich in Lichtgeschwindigkeit. Meine Pfoten berührten kaum den Boden. Der Wald lag circa zwei Kilometer von unserem Haus entfernt. Minuten später kam er in Sicht und ich legte noch einen Zahn zu. Normalerweise brauchte ich zwanzig Minuten für den Weg, doch nun schien ich beinahe zu fliegen. Knurrend raste ich durch das Meer an Bäumen. Äste knackten unter meinen Pfoten, Vögel flogen auf. Ich roch etwas. Es musste ein Hirsch sein. Etwa siebzig Meter links von mir. Ich pirschte mich langsam an, obwohl ich am liebsten direkt angegriffen hätte. Das Tier war schon alt, es beachtete mich gar nicht. Sprung, Sprung, Angriff. Laut knurrend sprang ich von hinten auf ihn und grub meine Zähne in seine Kehle. Der Hirsch schrie auf und fiel nieder. Noch ein weiterer Biss und er regte sich nicht mehr. Gierig fiel ich über ihn her, zerfetzte ihn förmlich. Blut tropfte aus meinem Maul.
Und über uns stand immer noch der Vollmond.

Ich hatte mich, nun nachdem ich mich genährt hatte, etwas beruhigt und lief zurück nachhause. Im Garten fand immer noch die Party statt. Es schien, als hätte niemand etwas von mir mitbekommen. Ich kam wieder durch das offene Fenster ins Haus und landete in meinem Zimmer. Die Wolken verdeckten nun den Mond und ich spürte, wie ich ruhiger wurde. Dafür kehrte das Zeihen von vorhin zurück. Vor Schmerz windend rollte ich mich auf dem Boden. Die Klauen bildeten sich langsam zurück und das Fell verschwand. Da saß ich nun, komplett nackt und mit kleinen Wunden von meinem Sprung durchs Fenster überseht. Vor mir breitete sich das ganze Chaos aus. Alles war zerstört und zerkratzt. Schweratmend stand ich auf und zog mir ein T-Shirt und eine Jeans an. Meine alten Klamotten lagen schließlich zerfetzt auf dem Boden. Eigentlich hätte ich jetzt anfangen sollen alles aufzuräumen, doch ich war entsetzlich müde. Meine Glieder schmerzten, mein Kopf pochte und ich versuchte mich an das, was eben passiert war zu erinnern. Es war, als wäre alles mit einem Schleier verhüllt. Das einzige, was ich wusste, war dass ich mich in einen Werwolf verwandelt hatte. Und das genügte auch schon um mich, völlig aus der Bahn geworfen, auf mein Bett fallen zu lassen.

Werwolfsnacht - Die Chroniken von IntoriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt