Stirnrunzelnd nahm ich meine Sachen und verließ die Bibliothek. Es war kurz nach drei und bis zum Abendbrot waren es noch drei Stunden. Ich seufzte. Sollte ich in mein Zimmer gehen? Auf die Gefahr, dass Sam dort wäre? Andererseits, was sollte sie schon sagen oder tun? Wir hatten keinen wirklichen Streit gehabt.
Ich machte mich auf den Weg zu unserem gemeinsamen Zimmer. Als ich gerade nach der Türklinke griff und diese runterdrücken wollte, riss Sam die Tür von der anderen Seite auf.
„Sam, ich ...", fing ich etwas überrumpelt an.
Sie unterbrach mich direkt. „Ich wollte sowieso gerade gehen."
„Aber...", versuchte ich es erneut.
Ohne ein weiteres Wort rauschte Sam davon.Nachdem ich zwei Stunden in meinem Zimmer gelernt und gelesen hatte, beschloss ich in den Computerraum zu gehen. Ich wollte Mom und Emily eine e-Mail schreiben. Hoffentlich waren nicht zu viele Vampire oder Hexen dort, grübelte ich. Oder Jeff. Ich hatte keine Lust auf Auseinandersetzungen.
Zum Glück war ich fast die einzige. Langsam ging ich zu einem der hinteren Tische und fuhr den Computer hoch. Ich öffnete das Mailprogramm und tippte Moms Mailadresse in das Empfängerfeld. Dann schrieb ich:Hallo Mom!
Ich habe mich schon relativ gut eingelebt. Sam, meine Mitbewohnerin, und ihre Freunde sind sehr nett.Ich schrieb lieber nicht, dass ich Streit mit Sam hatte und Jeff und ich uns praktisch geprügelt hatten.
Bis jetzt hatte ich noch kein Heimweh und die Lehrer und Fächer sind auch toll. Wider Erwarten ist es gar nicht so schlimm, mit Vampiren und Hexen zusammenzuleben.
Liebe Grüße und Küsse,
Deine LiaDas entsprach jetzt nicht ganz der Wahrheit, aber ich wollte ihr keine Sorgen bereiten oder ihr sagen, dass es nicht so toll lief. Ich seufzte leise und sendete die Mail. Dann schrieb ich an Emily.
Liebe Emily,
es tut mir leid, dass ich mich nicht von dir verabschieden konnte, aber es ging leider nicht anders. Ich werde in Zukunft nicht mehr zur Highschool kommen und bei Mom wohne ich auch nicht mehr. Ich bin jetzt in einem Internat in der Schweiz untergebracht.Die Schweiz war immer gut. Das war ein weit entfernter Ort in Europa, den Emily nicht mal eben so schnell aufsuchen konnte. So leid es mir auch tat, sie anlügen zu müssen.
Ich hoffe wir bleiben in Kontakt und du vergisst mich nicht. Irgendwann sehen wir uns bestimmt wieder! Es tut mir alles so schrecklich leid ...
Ich vermisse dich!
Deine LiaIch schluckte die Tränen herunter. Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr sie mir fehlte. Schweren Herzens drückte ich auf Senden. Mit einem Mal fühlte ich mich einsam und verlassen. Vielleicht sollte ich beim Abendessen mit Luke reden. Er würde sich sicher freuen. Die Sache mit Sam würde ich erst einmal auf sich beruhen lassen.
Als ich die Mensa betrat, fühlte es sich an, als würden mich alle anstarren. Wahrscheinlich kam es mir aber nur so vor. Ich sah zu unserem Tisch hinüber. Sam, Mary-Ann, Rosa und Jeff saßen daran und unterhielten sich. Wo war Luke? Ich hielt Ausschau nach ihm, doch ich konnte ihn nicht sehen.
Plötzlich legte sich eine warme Hand auf meine Schulter. Ich zuckte zusammen.
„Hände über den Kopf und keine Bewegung!", sagte eine tiefe Stimme hinter mir.
Ich wirbelte herum. Luke! Er grinste mich unverschämt an. „Hallo!", murmelte ich erstaunt und lächelte dann.
„Hast du mich gesucht?" Diese Vorstellung schien ihm zu gefallen.
„Ja", gab ich zu. „Ich dachte, du würdest bei Sam und den anderen sitzen."
Er zuckte die Achseln. „Ich hatte heute irgendwie keine Lust mir ihr Geschwätz anzuhören." Er deutete auf einen freien Tisch und sah mich fragend an. „Wollen wir?"
Ich nickte.Fünf Minuten später saßen wir vor unseren voll beladenen Tablets.
„Also das Steak ist hier wirklich das Allerbeste! Insbesondere, wenn es nur ganz leicht angebraten ist." Luke biss herzhaft in sein Stück Fleisch.
Auch ich biss ein großes Stück ab. „Ja, da hast du recht. Bevor ich Werwolf wurde, hätte ich nie gedacht, dass ich mal fast rohes Fleisch so herunterschlingen würde."
Er lachte. „Ja, da ging's mir ähnlich."
„Ehrlich gesagt mochte ich Fleisch noch nicht einmal besonders. Ich hatte sogar mal in der achten Klasse eine Phase, in der ich Vegetarierin war."
„Echt jetzt?", fragte er erstaunt. „Ganz ohne Fleisch wäre nicht mein Ding."
„Was sind eigentlich deine Hobbys?", wechselte ich abrupt das Thema.
„Was sind deine?", fragte Luke zurück.
„Ich hab zuerst gefragt!"
„Okay, okay." Er hob abwehrend die Hände und überlegte kurz. Dabei bildete sich eine Falte zwischen seinen Augenbrauen. „Basketball und Tauchen."
„Tauchen? Klingt interessant." Ich staunte nicht schlecht. „So richtig mit Atemflasche oder wie?"
Er lachte. „Nein, nur mit Schnorchel. Manchmal auch Free Diving, das ist richtig cool! Da hast du nur eine Schwimmbrille auf und tauchst auf Tiefe. Du hast nur deine Lunge, keine Atemmaske oder Flasche oder sonst was."
Ich spürte seine Begeisterung. Er übertrug sie geradezu auf mich. Ehe ich mich versah, sagte ich: „Das kann ich ja auch mal versuchen."
„Was?"
„Tauchen! Aber das mit Schnorchel." Ich trank einen Schluck Wasser.
„Ja klar, ich kann's dir zeigen.", antwortete er direkt freudestrahlend. „Sehr gerne sogar." Er legte eine kurze Pause ein. „Aber was sind deine Hobbys?"
„Zeichnen und Lesen."
Er nickte, als habe er das zur Kenntnis genommen. „Vielleicht könntest du mir ja zeigen, wie man zeichnet."
Ich lachte kurz auf. „Was?"
„Ja!" Er tat beleidigt. „Wieso soll ich dir was zeigen, wenn du mir etwas noch viel Cooleres zeigen kannst?"
Ich stockte. „Du findest zeichnen cooler als tauchen?!"
„Ich finde alles cool, was du machst." Ähm, wie bitte?
Ich versuchte ein Lächeln. „Okay ... Aber wenn, dann zeichnen wir in der Bibliothek."
Er runzelte die Stirn. „Wieso ausgerechnet dort?"
„Weil das der einzige Ort ist, an dem es ruhig ist und man nicht von hundert Werwölfen, Vampiren und Hexen kritisch beäugt wird, die auf Streit aus sind."
„So wie du?" Er grinste schief.
„Ich bin nicht auf Streit aus!"
„Ja klar. Und mein Name ist Hase."
„Ich geh in mein Zimmer.", verkündete ich schmunzelnd und nahm mein Tablett. „Gute Nacht, Hase!"
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Werwolfsnacht - Die Chroniken von Intoria
WerewolfEs geschah in einer Vollmondnacht... Ich sah hoch. Vor mir stand der hübscheste Junge, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Seine Haut war schneeweiß, seine Haare dunkelbraun und seine Augen waren haselnussfarben. "Oh, ein Werwolfmädchen." Er...