Hinter der Durchgangstür befand sich eine schmale versteckte Tür. Niemals hätte ich vermutet, dass es hier zum Keller ging.
„Folg mir einfach!", murmelte Raphael und stieg als Erster die Stufen zum Gewölbe hinab. Es roch, je weiter es nach unten ging, immer modriger und es war ziemlich feucht. Licht gab es nur durch ein paar vereinzelte Neonleuchten an der Decke, die hektisch flackerten.
„Gruselig ...", wisperte ich und sah mich um. Dieser Ort war nass, kalt und dunkel - Keine besonders gute Kombination.
Am Fuße der Treppe angelangt, machte er Halt. Wassertropfen platschten von der Decke auf den Boden. Ich fragte mich, wann hier wohl zuletzt ein Mensch gewesen war. Vor uns taten sich zwei Gänge auf. Im ersten sah man zwei Türen und im zweiten drei.
„Wo lang?", flüsterte ich ihm zu. Hier laut zu reden, kam mir irgendwie falsch vor.
„Ich hab mal eine Mutprobe hier unten machen müssen.", antwortete er genauso leise. „Die Tür dort führt zu einer Art Kammer mit Decken und Notrationen. Falls mal ein Notfall auftritt und hier keiner raus kann. Da können wir hin."
Ich nickte. Er lief voran und bog in den zweiten Gang ein. Die Tür war aus Metall und schon ziemlich zerkratzt. An einigen Stellen war die Farbe abgeblättert. Er drückte die Klinke herunter und wir traten ein. Erst lag der Raum völlig in Dunkelheit, doch dann ging das Neonlicht an der Decke an. Alles wurde in kaltes, gleißendes Licht getaucht. Tatsächlich, überall standen Regale aus Metall, die mit braunen Decken oder Kartons befüllt waren.
„Komm, wir setzen uns hinter das da, da sieht man uns nicht." Er schob ein paar Kartons zur Seite und ließ sich an der Wand herunterrutschen. Ich tat es ihm gleich.
Hier waren wir also. In einem kalten, feuchten Keller, um uns vor Dragozius zu verstecken. Und das in der Nacht. Es war zum kaputtlachen.
Ich fing an zu lachen.
„Was ist?", fragte Raphael ahnungslos.
Ich kicherte nur noch mehr. „Oh mein Gott!"
„Was? Wieso lachst du?" Jetzt musste er auch schon grinsen. Lachen war ansteckend.
„Wir sitzen hier, mitten in der Nacht, mutterseelenallein im Keller unserer Schule und verstecken uns vor einem Vampir. Hätte mir jemand das vor einer Woche gesagt, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt.", sagte ich von Lachanfällen unterbrochen.
„Na ja, bedenke, dass Dragozius der mächtigste Vampir aller Zeiten ist. Er kann dich und uns alle töten." Er war ernst geworden.
Ich hörte auf zu lachen. „Aber das tut er nicht, weil er diese Armee gründen will."
"Ja, wahrscheinlich nicht."
Stille.
Sollte ich den Kuss nochmal ansprechen? Ja, ich musste es ihm erklären - Zumindest so gut es ging. „Raphael? Ich würde gerne nochmal mit dir über den Kuss sprechen. Ich will es dir erklären!"
Er sah mich erst nur ausdruckslos an, dann nickte er. „Okay."
„Gut. Also, die Trennung hat mich so überrumpelt, verstehst du? Ich wollte es nicht wahrhaben und musste meinem Ärger Luft machen. Dann bin ich boxen gegangen. Aber als ich den Trainingsraum betrat, war Luke schon da, und ich wollte nicht einfach wieder rausgehen, also habe ich ein paar Schläge gemacht. Doch dann dachte ich: 'Scheiß auf Raphael und die Trennung! Soll er den Kuss doch sehen.' Verstehst du, ich hab nicht nachgedacht, keinen kühlen Kopf gehabt. Und dann habe ich ihn einfach, von meiner Wut und Enttäuschung dir gegenüber geleitet, geküsst." Puh, es war raus. „Und es tut mir wahnsinnig leid! Ich weiß, ich kann das nie mehr geradebiegen und ich bin dir auf ewig etwas schuldig, aber es wäre schön, wenn du mir irgendwann verzeihen könntest. Ich liebe dich und ich schäme mich ehrlich gesagt wahnsinnig für das, was ich getan habe und du hast so jemanden wie mich nicht verdient. Du verdienst etwas besseres!" Was ein Monolog ... Ich sah ihn erwartungsvoll an. Was würde er jetzt sagen?
„Ich ... Danke für deine Ehrlichkeit." Hilfe! Kam dieser Satz nicht immer vor 'Aber ich trenne mich von dir.' ? Nun ja, waren wir das nicht eh schon? „Es war falsch von dir ihn zu küssen ..."
„Ich weiß, ich weiß.", unterbrach ich ihn. „Es tut mir auch wahnsinnig leid. Ich hätte es niemals tun dürfen!"
„Lia, lass mich doch ausreden!" Er berührte mich an der Schulter und eine Art elektrischer Schlag ging durch meinen Körper.
„Ja.", murmelte ich zerknirscht.
„Ich verzeihe dir."
„Was?! Einfach so? Echt?"
„Ja."
„Aber warum?" Ich konnte es nicht glauben.
Er musste lächeln. „Ich kenne dich, Lia. Und ich liebe dich und ich vertraue darauf, dass du die Wahrheit sagst." Wow, Respekt. Ich wüsste nicht, ob ich ihm ähnliches auch einfach verzeihen könnte. „Am Ende verzeihen wir doch immer denjenigen, die wir lieben."
„Ja, du hast recht.", antwortete ich leise und konnte mein Glück kaum glauben. Es war alles wieder gut! „Das heißt, du nimmst die Trennung zurück?"
„Ich denke ja.", sagte er. Ich sah ihn empört an. "Ja! Natürlich. War nur ein Witz."
„Haha!" Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn auf den Mund. "Aber ich hab dich trotzdem lieb."
„Ich hab dich auch trotzdem lieb.", murmelte er lächelnd zwischen zwei Küssen.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Es hörte sich an wie ... „Da waren Schritte zu hören!", zischte ich und fuhr alarmiert hoch. Das Licht flackerte.
„Quatsch." Er versuchte mich wieder zu ihm zu ziehen. „Das bildest du dir nur ein."
„Nein, ganz bestimmt nicht! Psst!" Ich hielt einen Finger vor die Lippen. Da war es ganz deutlich zu hören - Schritte, die auf dem Boden widerhallten und zwar mehr als zwei und sie kamen näher.
„Los, los, los!" Ich fing an Kisten zu stapeln, die uns wie eine Mauer verdecken konnten. Raphael half mir direkt. „Glaubst du, er kommt in Begleitung?", fragte ich und zog zwei Decken aus ihrer Verpackung, um sie über uns zu werfen.
„Er kam, soweit ich weiß, immer allein. Aber dieses Jahr könnte es anders sein.", sagte er.
Die Schritte waren jetzt ganz nah. Ich schmiss die Decken so über uns, das nichts mehr von uns zu sehen war. „Und jetzt ganz leise!"
Ich hielt die Luft an, als die Tür sich öffnete.
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Werwolfsnacht - Die Chroniken von Intoria
WerewolfEs geschah in einer Vollmondnacht... Ich sah hoch. Vor mir stand der hübscheste Junge, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Seine Haut war schneeweiß, seine Haare dunkelbraun und seine Augen waren haselnussfarben. "Oh, ein Werwolfmädchen." Er...