Laura
Als ich die Augen aufschlage bin ich allein. Es ist hell draußen und kurz muss ich mich orientieren. Ich liege in meinem Schlafzimmer, mein Bett ist warm und kuschelig. Mein erster Griff geht zu meinem Handy. Fünf Nachrichten und ein Update bei dieser komischen Bilderapp wo die Shots nach einem Tag verschwinden. Was eine dämliche Idee. Mein bester Freund lädt mich zum Mittag ein. Kurz überlege ich, bevor ich zusage. Mir bleiben noch drei Stunden bis ich in der Uni sein muss, so viel Zeit muss sein.
Gerädert, von Muskelkater geplagt und noch immer müde schleppe ich mich in die Dusche. Das warme Wasser entspannt meine Glieder und ich verliere mich unter dem Geprassel des Duschstrahls auf meiner Kopfhaut. Früher wäre er zu dir rein geklettert und hätte dich mit sanften Händen geduscht. Es fühlt sich an wie ein Eimer eiskaltes Wasser. Ich beginne zu zittern und steige aus der Dusche. Gott im Himmel, hört das je auf?
Als ich mich mit meinem Frottéhandtuch abrubble gehe ich meinen Tagesplan durch:Mittagessen/Frühstück mit Rico.
Mit der Bahn zur Uni.
Teambesprechung mit der Regieführung und vermutlich ein kennen lernen des Musikers um den sich das ganze Theater dreht.
Durchplanen der Materialliste mit Scout.Beim Zähne putzen und schminken stellt sich meine gewohnte Grundmotivation ein. Es ist ein bisschen wie einen Gasherd den man aufdreht. Ich bin immer in der Lage was zu starten und freue mich über jede Art von Beschäftigung. Warte schon Abends voller Freude darauf wer mir am nächsten Tag wohl meine Laune verbessert. Vor allem jetzt, da ich im Nichtstun meine Trauer wieder finde.
Ich schlüpfe in eine dunkle Jeans, ein weißes Oberteil mit 3/4 Ärmeln und ein weißes Paar Socken bevor ich aus dem Bad in mein Zimmer laufe. Diesmal voller Elan. Ich wiederhole mein tägliches Mantra, welches ich mir zurechtgelegt habe immer wieder: Sei die beste Version von dir selbst!
Ich lege Ringe, Armreifen, Ohrringe und die Goldkette mit dem Glückskleeblatt als Anhänger von Oma an und föhne mir die Haare bevor ich sie glätte.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass die Zeit noch für einen Kaffee reicht.Als ich die Kaffeemaschine anschalte bemerke ich die erdrückende, gedehnte Stille in der Wohnung. Und mit diesem Gefühl kommt die Panik zurück. Verzweifelt vergrabe ich mein Gesicht in meinen Händen und versuche die Tränen nieder zu kämpfen. In der abschirmenden Dunkelheit meiner Finger formt sich auf einmal tatsächlich ein anderes Bild. Ein Typ, unter mir, grinsend, nackt. Kurz lasse ich mich darin gehen. Der Gedanke gefällt mir. Lange Zeit war ich unfähig Männern überhaupt nur ein Lächeln zu schenken. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Leidenschaft die von ihm ausgeht. Seine Augen genauso tiefbraun wie Espresso. Bis mir das Gesicht bekannt vorkommt. Scheiße! Der Typ ist Baui. Ich habe erotische Tagträume mit IHM. Den ich noch nie bei Tag gesehen habe. Genauso wenig wie seine Augen. Trotzdem wäre der Braunton perfekt bei ihm. Um Himmels Willen!
Erschrocken fahre ich herum und nestle an der Kaffeemaschine rum bis sich das laute Brummen einstellt und ich wieder in die Realität gerissen werde. Wie kann sowas nur passieren? Ich bin mehr erschrocken darüber, dass mir der Gedanke ihn zu reiten gefällt als über die Tatsache das er ein Typ ist, der sich in Puffs rumtreibt und ich ihn gut finde. Du tanzt da! Verwirrt schüttle ich den Kopf und verbanne "Baby" ein für alle Mal in mein Unterbewusstsein. Auf gar keinen Fall sollte ich mich auf die Spielchen in meinem Kopf einlassen. Das Eine ist eine völlig andere Geschichte wie das Andere. Ich hätte niemals zustimmen dürfen für ihn zu tanzen. Aber als er den Club zum ersten Mal betrat war ich noch nicht Herr meiner Sinne. Es war zwei Wochen nachdem ich das Krankenhaus verlassen konnte, vier Wochen nach dem Unfall und eine Woche nachdem die lebenserhaltenden Maßnahmen kein Leben hätten mehr erhalten können. Sieben Tage nach Patricks Tod. Ich ziehe scharf Luft ein und drehe mich ruckartig zu den Küchentresen um, so als könnte ich dem Schwall an Emotionen entkommen, als hätte ich die Möglichkeit, mich einfach wegzudrehen.
Ich schlürfe meinen Kaffee und wähle Ricos Nummer. Teils um mich abzulenken, teils um wirklich zu fragen wo wir uns treffen wollen. Beim dritten Klingeln geht er ran. "Honey!", sofort schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. "Hey du.", ich suche meine Schlüssel. "Ich wollte fragen wo wir uns treffen?", am anderen Ende der Leitung raschelt es "In unserem Stammkaffee?", endlich finde ich meinen verdammten Schlüsselbund "Okay bin in fünfzehn Minuten da.", auf dem Weg zu meiner Handtasche laufe ich an meinem Spiegel vorbei. "Super bis gleich Mäuschen.", wir legen auf und ich betrachte mein Spiegelbild. Blass unter der Schminke, grüne viel zu große Augen, ein bisschen zu dünn in letzter Zeit, drahtig, ein bisschen größer als geplant, lange dunkle Haare. In einem irrwitzigen Impuls greife ich nach meiner Fakebrille und schiebe sie auf meine Nase. Mein Gesicht wirkt ganz anders. Ich mache eine Notiz in meinen Kopf, wieder mehr zu essen. Keiner mag Knochengestelle. Aber es fällt mir schwer dem Genuss zu frönen seit ich ihn verloren habe. Vieles erscheint mir so sinnlos, so langweilig. Pizza macht nur glücklich wenn man sie isst aber nie langfristig. Ich schüttle den Kopf über die Richtung meiner Gedanken und mache mich auf den Weg.
"Hey Mäusezahn.", Rico drückt mich fest an sich. Es tut gut in Kontakt mit Menschen zu sein. Ich merke wie sehr mir der Mangel an Kuscheleinheiten zusetzt. "Hey.", ich setze mich ihm gegenüber. "Was willst du trinken?", ich überlege kurz "Einen Cappuccino denk ich.", er nickt und ich sehe mich nach der Kellnerin um. Nachdem ich bestellt habe widme ich mich ganz meinem gegenüber. Er mustert mich mit gerunzelter Stirn. "Was?", er sagt nichts. Diese Dramaqueen. Ich verdrehe die Augen "Rico was ist?", "Wann war deine letzte richtige Mahlzeit. Ich mein du verschwindest immer mehr vor meinen Augen.", ich senke den Kopf "Ich hatte gestern ein Brötchen.", "Mädchen das reicht nicht. Schau doch mal du bist GoGo und ich kenne keinen der auf Skelette steht.", Bitte was?! Ich funkle ihn an. Wie kann er es wagen. "Du weißt warum es mir scheiße geht.", zische ich. Er nickt "Ja. Ich kann dich auch voll verstehen. Aber deshalb darfst du nicht aufhören zu essen. Ich bitte dich Kleines, wenn du tottraurig bist und ein Häufchen Elend ruf mich an, schrei mich an, schlag mich. Was du willst! Aber hör nicht auf zu essen.", ich schlucke "Einsamkeit macht satt. Und müde.", er nickt als mein Kaffee kommt und nippt selbst an seiner heißen Schoki. "Das kann ich mir vorstellen aber du hast mein Angebot erstmal bei mir zu wohnen ja abgelehnt.", ich weiß auch wieso. "Ja weil ich das schaffen kann. Es ist nur hart. Er war immer da. Für mich, für alle anderen und er war immer ein so guter Mensch. Und dann fährt uns dieses Drecksschwein einfach rein.", ich könnte schon wieder heulen. Rico nimmt meine Hand. "Ja und jetzt sitzt der Typ vor Gericht. Mäuschen du musst nach vorne schauen. Das ist jetzt bald ein halbes Jahr her.", ich nicke doch meine es nicht Ernst. Ein halbes Jahr ist keine Zeit wenn du den Menschen verlierst mit dem du seit deiner frühen Kindheit alles geteilt hast. Patrick und ich waren bereits im Kindergarten unzertrennlich und wie es das Leben so will haben wir uns, als wir alt genug waren um Liebe für uns zu definieren, ineinander verguckt. Ich habe praktisch mein ganzes Leben mit ihm verbracht. Rico lernte ich über ihn kennen, Scout lernte ich über ihn kennen, meine Leidenschaft für Poledance und schnelle Autos lernte ich über ihn kennen. Es gab nichts was wir nicht voneinander wussten.
Und mit einem Schlag war er weg. Von mir gerissen von einem dämlichen LKW Fahrer der zu blöd ist um rote Ampeln zu deuten. Ich seufze. "Okay Baby Themawechsel.", bei dem Kosenamen bekomme ich Gänsehaut. Etwas das mir den Kloß aus dem Hals nimmt und ich schaffe es aufzuschauen. "Danke.", meine ich nur. Rico lächelt doch ich habe nur Patricks Lächeln vor meinem Inneren Auge. Und dann plötzlich ein anderes. Bauis Lächeln.
DU LIEST GERADE
360° | BAUSA
Fanfiction"Wenn man die ganze Nacht auf High Heels tanzt, sind Sneakers am Tag wie Wolken" Laura führt eine Art Doppelleben. Obwohl sie eigentlich nur niemanden hat, vor dem sie ihre beiden Seiten verheimlichen müsste. Nachts sammelt sie die Scheine vom Bode...