16.

3.4K 100 12
                                    

Laura

Wir halten vor einer kleinen, unscheinbaren Shishabar. Ich blicke durch das Fenster in den kleinen Raum, beleuchtet mit Schwarzlicht und Neonröhren. Der Dampf der Wasserpfeifen lässt das ganze gemütlich erscheinen. Ein paar Südländer sitzen direkt an der Scheibe und pusten den Rauch aus ihren Lungen. "Kommst du? Oder magst du keine Shisha?", seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Diese Stimme. Ich nicke "Doch. Alles gut.", und folge ihm hinein.

Wir setzen uns relativ weit nach hinten, sodass wir weitgehend ungestört reden können. "Kennst du hier jemanden?", ich bin etwas vorsichtig. Bis jetzt hat dieser Mann in jedem Ambiente seine Leute herausgefischt. Doch dieses Mal schüttelt er nur den Kopf "Ich wollte auf neutrales Gelände. Mein Bruder hat den Laden vorgeschlagen.", Ach. "Du hast einen Bruder?", seine Mundwinkel zucken und er sieht so aus als müsste er ein lautes Lachen unterdrücken. "Nein?", ich überlege. ? Plötzlich fällt der Groschen. "Oh man! Wie dumm.", er kichert vor sich hin und wackelt mit den Knien hin und her. Irgendwie macht er das ständig, wenn er sitzt. Ich muss Lächeln. So breit auseinander bekomm nicht mal ich meine Schenkel. "Ja mein Bruder.", lacht er und dann "Was willst du trinken?", ich hätte nicht wenig Lust auf Alkohol aber so wie ich ihn kenne muss ich nachher fahren oder uns bleibt nur die Bahn. Alleinig wegen dem Schnee. Der auf der Straße und der in seinem System. "Eine Cola.", er nickt. "Und du?", ich versuche meine innere Unruhe mit einem Gespräch zu lockern. Ich sitze viel zu verkrampft da und pople die ganze Zeit an meinem Ring um den Finger rum. "Was?", er sieht von der Karte auf. "Was trinkst du?", ich stelle die Frage ausführlicher. "Wieso willst du das wissen?", er sieht mir direkt in die Augen, doch sein Blick ist weich und nicht so frech-provokant wie sonst, wenn er so Fragen stellt. "Einfaches Interesse.", er lächelt scheu. Okay, das sieht wirklich süß aus! Für einen Moment geht von ihm gar keine so große Gefahr mehr aus und ich entspanne mich kurz. "Ein Bier, mein Schatz.", grinst er und ich nicke. So gut kenne ich ihn dann wohl doch schon. "Das hab ich mir gedacht.", foppe ich ihn. Er streckt mir frech die Zunge raus. "Hast du eine Lieblingsshisha?", ich schüttle den Kopf "Such du aus. Ich bin nicht so oft Shisha rauchen.", er nickt und bestellt für uns beide als der Kellner kommt.

Eine viertel Stunde später sitzen wir uns gegenüber und spielen ein ziemlich dämliches Spiel: Wir ziehen so viel Rauch in die Lunge wie wir können und pusten den Dampf dann dem anderen ins Gesicht. Wer es schafft nicht zu husten darf eine Frage stellen. Es ist wie im Kindergarten. Er gewinnt fast immer und ich sitze gespannt wie eine Feder da, so aufgeregt bin ich. Nachdem er mein Alter, meine Hobbys (ich habe Pole ausgelassen), meine Familienkonstellation und mein Auto aus mir herausgequetscht hat ("Alter, wie kannst du als Mädel so Auto- verrückt sein?", "Keiner sagt was gegen mein Baby! Wie kannst du als Schwabe nicht immer nur ein Viertele trinken?", er lacht "Das ist doch nicht dasselbe.", ich verschränke die Arme vor der Brust "Na klar ist es dasselbe!") schaffe ich es endlich ihn anzupusten ohne husten zu müssen.

Ich strahle ihn an und anscheinend sehe ich dabei so dämlich aus, dass er lachen muss und tatsächlich: Er hustet! "Ja!", ich reiße triumphierend die Arme in die Luft. Er lacht noch mehr und sein Husten wird sehr gereizt. "Oh Gott, stirb nicht.", er grinst doch seine Augen tränen. "Okay Baby was willst du wissen.", er wirkt neugierig und ein bisschen angespannt. Ich überlege gut bevor ich den Mund aufmache. Zuerst neutrale Themen. "Wie kamst du zur Musik? Ich mein du machst das schon gut.", er gluckst und sieht ein wenig beleidigt aus "Schon 'gut'?", ich verdrehe die Augen "Ja, schon gut. Reicht, wenn dir deine ganzen Groopiehoes Honig um den Mund schmieren ich muss das nicht auch noch machen.", ich denke an Jasmin und grinse in mich hinein. Wenn sie wüsste wo ich hier gerade sitze.

Julian grinst "Eigentlich lutschen die nur meinen Schwanz.", ich verziehe das Gesicht "Achso. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.", er lacht "Und das macht dir gar nichts aus?", doch. "Hey! Ich bin dran mit fragen!", er hebt abwehrend die Hände "Schon gut, schon gut.", und überlegt. Dann erzählt er mir eine Story, wie er in eine neue Wohnung gezogen ist - als Kind mit seinen Eltern - und dort ein altes Keyboard stand. Ich kann nicht anders und stelle mir einen kleinen Jungen mit viel zu großem Hoodie und viel zu großer Cap an einem verstaubten Keyboard vor, der sich durch die Noten probiert. Das Bild ist irgendwie friedlich. Es ist ein ganz anderes als das, was ich sonst von ihm kenne. Auch ein Bausa hat also klein angefangen. Was nicht unlogisch ist und trotzdem fühlt es sich an wie ein neues Puzzleteil von ihm.
Als er fertig ist nicke ich nur "Okay.", und trinke einen Schluck Cola. "Und du? Also, hörst du viel Musik?", ich zucke mit den Schultern. Nur Verruchtes im Club und das was im Radio kommt. Ich ertrage die Fröhlichkeit der Songs meistens nicht. Seit Patrick weg ist, wurde ich zum Musiksnob. "Nicht mehr so viel. Früher...", ich halte inne. Ich will nicht mit meiner Vielleicht-Zukunft über meine Vergangenheit sprechen "Früher war es mehr.", aber Baui ist nicht dumm. Er sieht mich an und nimmt einen Schluck Bier bevor er direkt fragt "Mit deinem Ex?", ich nicke und senke den Blick. Jetzt sind wir beim Thema. "Ja. Er hat viel Musik gehört. Und er hat Autos geliebt. Ich hab manchmal das Gefühl, ich bin er in weiblich. Als wäre ich kein eigener Mensch gewesen all die Jahre. Wir haben dieselben Freunde gehabt und sind seit dem Kindergarten beste Freunde gewesen.", und ich kann meinen Mund nicht mehr schließen. Er setzt sich zu mir rüber, legt den Arm hinter mich um mich zu ermutigen und es hilft. Ich erzähle ihm die ganze Geschichte und am Ende sitze ich da, wie ein Häufchen Elend und er sitzt da wie ein Häufchen Elend. "Es tut mir leid. Ich hätte es dir früher erzählen sollen.", er nickt und schüttelt den Kopf und nickt wieder und zupft unsichtbare Fussel von seiner Hose (das tut er die ganze Zeit) "Nein, das ist okay. Schau, ich hab meinen Vater mit 16 verloren und hab dir das auch nicht gleich erzählt. Ich bin nur sehr eifersüchtig bei Dingen die mir...", er stoppt und starrt ins Leere. Als müsste er sich überwinden. Mein Hirn rattert. Sein Vater starb als er sechzehn war?? Er ist eifersüchtig bei Dingen die ihm..?? "Die dir was?", er sieht mich an, schluckt und sieht weg. "Willst du noch was trinken?", ich fasse mir ein Herz. Bei all dem was bis jetzt passiert ist und auch nach dem Streit am Wochenende, will ich ihn noch immer. Und ich will hören, dass er mich auch will. Und gerade jetzt wo wir wirklich normal miteinander sprechen, tiefer gehen als wir es sonst je gegangen sind und uns Dinge erzählen die man nicht jedem erzählt ist mir meine leere Cola sowas von egal.

Ich hebe die Hand und schiebe sein Gesicht sanft wieder zu mir. So, dass er mir in die Augen sehen muss. Seine Bartstoppeln kratzen auf meiner Haut, doch es ist angenehm. Seine Wange ist warm und seine Haut erstaunlich weich. Und all das registriere ich während ich sage: "Mein Glas ist mir grad scheißegal. Dinge die dir was Julian?", ich sage mit Absicht seinen Namen. Er zieht die Augenbrauen spöttisch nach oben bevor seine Mundwinkel zucken. Dann wird er ernst "Dinge die mir irgendwie wichtig sind. Ich teile nicht gern.", ich blicke ihn einen Moment lang an und er blickt mich genauso lange an. Als hätten wir uns noch nie gesehen. "Dito.", hauche ich und dann küsst er mich.

Er lehnt sich vor, umfasst sanft meinen Kopf und legt seine Lippen auf meine. Es ist nicht dasselbe Feuerwerk wie in den Geschichten. In mir explodiert nichts, ich Schwebe nicht auf Wolke 7 und ich bin mir zu 100% sicher das wir die nächsten Wochen nicht heiraten werden und er ist viel zu versoffen und viel zu sehr "Nutten und Koks" um mein Traummann zu sein aber ich habe selten einen solchen friedlichen Aufruhr in mir erlebt. Ich fahre mit meinen Händen zaghaft über seine Brust, seine Schultern bis zu seinem Nacken und halte mich fest, halte mich an ihm fest, halte mich in unserem Kuss fest und er küsst wirklich verdammt gut. Unsere Lippen bewegen sich als hätten wir nie etwas anderes getan. Ich will gar nicht aufhören, so gut küsst er. Ich schmecke Bier und Shisha und Kaugummi und ihn. Und bei Gott, die Mischung machts! Es ist wie im Schlaraffenland wo der goldene Honig alles einhüllt in seiner Süße und der klebrigen Wärme und ich, als hungrige Fliege, bleibe darin kleben, in diesem tödlichen Gold.

Als er sich löst halten wir uns einen Moment fest. Wir sehen uns nicht an und ich zittere wie Espenlaub aber als sich das Adrenalin legt kann ich mich nach vorne lehnen und mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben. Er schlingt die Arme um mich und wir sitzen eine Weile einfach so da. Es muss nichts gesagt werden, weil alles klar ist in diesem Moment und trotzdem möchte ich noch Stunden mit ihm reden und ihm zuhören.
Doch ich halte mich zurück und schließe die Augen. Egal, wie dieser Abend ausgeht. Diesen Moment vergesse ich nicht so schnell.

360° | BAUSAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt