14.

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Baby

Der Schmerz fließt mit den Bewegungen in ein Ganzes als ich mich an der Stange verbiege. Mein Rücken dreht sich einmal um sich selbst, meine Beine in einem aufreizenden Spagat, die High Heels fest um das Metall geschlungen. Die Pole ist auf Spinning und bei jeder meiner Figuren drehe ich mich nochmal zusätzlich um meine eigene Achse. Ich schlinge die Beine in wilden Bögen um die Stange um mich festzuhalten, immer darauf bedacht die Schmerzen nicht zu zeigen. Es ist göttlich. Jedes Mal wenn ich hier bin erwacht ein Teil von mir, den ich mit dem Teufel selbst vergleiche. All diese Blicke, all die Bewunderung, all die Scheine. Nichts bereitet mir so viel Vergnügen wie das hier. Bis jetzt, denke ich und verdränge schnell das Bild von Ju in meinem Kopf. Nicht, dass ich ihn nicht gern genauso staunen sehe aber es ist ein anderes Staunen und mittlerweile viel persönlicher als das der ganzen Deppen hier.

Nachdem ich gestern nicht in die Uni musste, weil meine Kurse und das Meeting (oh, Wunder!) abgesagt wurden, ist heute Dienstag. Morgen ist der Tag aller Tage. Mich überfällt ein flaues Gefühl. Ich bewege mich noch intensiver und konzentriere mich ganz auf meine Show um mich abzulenken.

Als ich mit einem lauten Knall der Heels wieder auf dem Boden ankomme und meine Haare beim aufrichten zurückwerfe (Beyoncé lässt grüßen) ernte ich Applaus und Pfiffe. Einige kommen her und schieben mir gelbe und grüne Scheine in den Slip. Ich lächle kokett und zwinkere zur Antwort. Es ist jedes Mal so. Berührungen machen mir nichts mehr aus. In dem Moment fällt mein Blick zur Bar. Mein Herz setzt für einen Moment aus. Er sitzt da, raucht und süffelt an einem Glas. Hennessy so wie ich ihn kenne. Hennessy und Marlboro. Hier hat alles begonnen. Ich laufe auf ihn zu. Die Cap und die Brille verdecken das Nötigste - wie immer. Doch jetzt kenne ich sein Gesicht, ich kenne seinen verschleierten Blick, wenn er etwas sieht, dass ihm gefällt und ich kenne seine Art, das ganz offen zu zeigen. Ich weiß, es ist ein Fehler, aber heute tanze ich nicht für Bausa - ich tanze für Julian.

"Hey. Na?", ich bete, er erkennt meine Stimme nicht. Er grinst lüstern "Hey Baby.", ich zwirble eine Haarsträhne um meinen Finger und blicke ihn von unten herauf an. Das mag er. "Wie immer?", frage ich und er nickt. Ich greife nach seiner Hand und ziehe ihn in unser Stammzimmer. Es ist so verstörend. Morgen treffen wir uns auf ein Date und heute ziehe ich mich schon für ihn aus. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, wie dumm er sein muss, dass er mich noch immer nicht erkennt. So krass verändert bin ich doch nicht, meine ich zu wissen. Aber gut, durch die Sonnenbrille sieht man eben noch weniger.

Ich führe ihn zu der dunklen Couch an der Wand und drehe die Musik lauter. Stripperin. Ein Lied von ihm. Und zum ersten Mal seit er in diesem Club Kunde ist, muss er wirklich lachen. Ich grinse selbstgefällig und er hebt abwehrend die Hände. "Du hast mich also erkannt, Kleine.", ich nicke, traue mich nicht zu sprechen. Wortlos beginne ich die Show. Er lehnt sich zurück und ich frage mich, wieso er sich sowas antut. Wichsen ist hier nämlich verboten und jedes Mal sitzt er da und ich meine ihn innerlich zerbersten zu hören. Ich bewege mich im Takt und weiß nach der ersten Drehung schon, dass er mir machtlos ausgeliefert ist. Das ist meine Rache für das Theater am Wochenende, denke ich und verführe ihn noch ein kleines bisschen mehr, komme ihm noch näher. Bis ich am Ende doch tatsächlich auf seinem Schoß sitze. Er hebt die Hände um mich zu berühren doch ich drücke sie nach unten, lehne mich vor, Kreise die Hüften und flüstere ihm nur ins Ohr: "Stripperinnen werden nicht angefasst.", damit lasse ich ihn sitzen. Er stöhnt auf, gequält und absolut fertig. "Ich wünschte, ich könnte.", ich zucke keck mit den Schultern "Ich weiß.", und dann - in einem impulshaften Mutanfall - "vielleicht ja bald.", er legt den Kopf schief und mustert mich intensiv. Scheiße, bin ich zu weit gegangen? "Kennst du eine Laura Becker?", fragt er unverblümt. Mir rutscht das Herz in die Hose. Meine Hände beginnen zu schwitzen. In diesem Moment bin ich dem schummrigen Licht so dankbar wie nie. "Nein wieso?", ich versuche abschätzig zu klingen. "Weil sie meine Traumfrau wär wenn sie tanzen könnte wie du mein Schatz.", grinst er. Ich schlucke. Dummerweise kann Laura das und dummerweise hast du ihr gerade gestanden, dass sie deine Traumfrau ist. Ich lache gespielt arrogant. "Was ist schon eine Traumfrau.", und lenke vom Thema ab indem ich mich wieder um die Pole schlinge. Er sitzt da und sagt nichts mehr bis ich fertig bin. "Wie viel?", meint er nur und ich verdrehe die Augen "Das weißt du.", und dann "heute kein Kuss?", als ich ihm die Scheine aus der Hand zupfe. Er schüttelt den Kopf, ernst. "Nein.", damit verlassen wir den Raum und ich stelle mich wieder auf das normale Podest. Als er vorbei geht raunt er "Du bist der Hammer, Baby.", ich grinse und er verlässt den Laden. Er verlässt einfach den Laden, ohne Drink, ohne Kippe und - vor allem - ohne Kuss. Ach du Scheiße!

Drei Stück wollen mich noch Séparée bevor Giulia meint ich hätte Pause. Keine Ahnung wie viel Uhr es ist. In der Küche stehen noch zwei Mädchen. Ich lasse mich ziemlich unsexy auf einen der klapprigen Plastikstühle fallen. "Na? So fertig von dem Typ?", meint die eine. Sie ist neu und hat rote Haare. Sehr exotisch. "Von welchem?", meine ich und die beiden kichern. "Na der mit Cap und Brille.", meint sie. Ja, der macht mich fertig. "Geht.", speise ich sie ab und hole mein Handy aus meiner Tasche. Giulia öffnet schwungvoll die Tür. Die beiden anderen zucken zusammen, doch ich kenne das schon "Nadine du bist dran.", die Rothaarige nickt und zieht ihre Freundin mit sich. "Du packst das Süße.", meint diese und beide kichern albern. Herrgott, diese Kinder die meinen sie könnten hier groß anfangen. So oft hatten wir schon Mädels da, die nach ihrem Probetag so schockiert waren, dass sie nie mehr einen Fuß in den Club gesetzt haben. Ich habe eine Nachricht von Rico und... Julian. Vorhin. Kurz nachdem er hier raus ist.
Ich lese zuerst die von Rico. Um Zeit zu schinden.

An: Laura
Rico: DREEEEH DICH DREHH DICH NOCH EIN LETZTES MAL FÜR MIIIIICH ❤

Ironischerweise muss ich lachen. Was ein dummer Zufall schon wieder. Ich antworte mit einem Lächeln. Gerade gestern habe ich ihm gestanden wie ich dieses Lied liebe.

An: Rico
Laura: für dich nicht hahaaahhaha

So. Jetzt zum eigentlichen Thema. Ich atme tief durch bevor ich den Chat öffne. Irgendwie habe ich Angst, dass er mich doch erkannt hat. Ich will einfach nicht, dass er anders von mir denkt. Und schon drei Mal will ich mich nicht mit seiner Eifersucht anlegen, ich meine er ist nicht der einzige der mich hier nackt sieht.
Gott im Himmel, ich will nicht wissen wie er ausrasten würde!

An: Laura
Julian: du fickst mein Kopf

Verwirrt starre ich auf den Bildschirm. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder er hat es gecheckt, oder er ist verknallt. Vielleicht hat ihn vorhin ja eine Erkenntnis getroffen. So wie mich heute Mittag. Ich beschließe, alles auf eine Karte zu setzen.

An: Julian
Laura: wieso???

Er antwortet noch in derselben Minute.

An: Laura
Julian: weil andere Frauen nich mehr wichtig sind

Oha! Seltsamerweise ist etwas in mir gekränkt. Hat ihm die Show nicht gefallen? Ich schüttle den Kopf. Diese ganze Zwei-Gesichter-Scheiße macht mich wahnsinnig. Ich probiere es mit einer anderen Tour.

An: Julian
Laura: welche anderen Frauen??

Er tippt schneller als ein Düsenjet.

An: Laura
Julian: das klang falsch. Ich war bei der Stripperin und es is so anders wie sonst wegen dir

Und dann..

An: Laura
Julian: ich wünschte sie wäre du

Er ist verdammt ehrlich. Jetzt ist ein anderer Teil in mir gekränkt. Nur weil ich eben auch eine brave Studentin bin. Es ist verdammt kompliziert mit ihm. Und mit mir. Und mit dem Ganzen. Alles ist gerade kompliziert. Gestresst und verzweifelt klaue ich mir eine Kippe aus der Schachtel die auf dem Küchentisch rumliegt. Marlboro. Oh man.

Eine Nachricht kommt noch bevor ich wieder rein gehe. Ich lese sie, doch ich antworte nicht. Ich wüsste nicht, was.

An: Laura
Julian: stripperinnen werden nicht angefasst. Ich kann glaub ich auch nich mehr sei jetz nicht sauer. bis morgen

Okay. Aber er wollte mich anfassen. Ich beschließe nach ein paar tiefen Atemzügen, dem ganzen seinen Raum zu geben. Irgendwann, denke ich, wird sich schon alles fügen. Ich will ihn nicht bedrängen und solang es nur ich bin, die er haben will kann ich auf der anderen Seite auch damit leben. So weiß ich, dass er mir letztendlich doch treu bleibt. Er betrügt mich dann ja nur mit mir. Dabei sind wir noch nicht einmal ein Paar. Das ist abgefuckt wie Kacke!

Die ganze Nacht unterdrücke ich die Gedanken an das Thema. Erst als ich wieder in meinem Auto sitze dresche ich in Hysterie auf mein Lenkrad ein und lache so laut wie schon lang nicht mehr. Oh mein Gott! Ich werde verrückt!

Ich heize nach Hause und springe unter die Dusche. Ich sollte schlafen, damit ich für die Uni und heute Abend fit bin. In meinem Bett kuschle ich mich in die Kissen. Ich hätte Lust auf Sex aber ich bin zu müde um mich zu rühren. Also schlafe ich unbefriedigt ein. Vielleicht ja später, denke ich. Darauf einlassen würde ich mich.

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