9.

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Laura

Es ist 1:23 Uhr als Ju und ich aus dem Studio laufen. Beide rotzevoll und er seit einer guten halben Stunde übelst schlecht gelaunt. Wie kann man in so einem winzigen Raum so viel Alkohol Bunkern. Er beäugt sein Auto und ich ziehe ihn demonstrativ weiter während ich theatralische Verneinungsgeräusche von mir gebe. Er entzieht mir genervt seine Hand "Chill mal ich wollt nich fahren.", mir ist schon seit einer Weile aufgefallen wie er ein CH wie SCH ausspricht und ich finde allmählich Gefallen daran. Es ist lustig wie man sich an jemandes Ticks gewöhnt sobald man denjenigen sympathisch findet. Aber jetzt gerade ist er mega komisch. Richtig zickig.

Vor Scout und den anderen haben wir beschlossen erstmal die Klappe über unser Tête-à-tête im Studio zu halten. Der Hennessy vernebelt meinen Kopf und die Cola stößt mir böse auf aber ich grüble nur über die kurze Zeit nach in der wir uns so nah gekommen sind. Und er weiß noch immer nicht, dass ich Baby bin. Wo soll das nur enden? Ich habe das Gefühl ich sollte es ihm sagen doch die Wahrheit ist, dass ich Angst davor habe ihn anzuekeln oder noch schlimmer ihn zu enttäuschen. Immerhin tanze ich nicht nur für ihn.

"Laura!", ich bleibe stehen. Hat er mit mir gesprochen? "Was?", keife ich zurück. Mehr vor Schreck als aus Zorn. "Ob du bei mir pennen willst.", er verdreht die Augen. Müde und genervt und hungrig und besoffen ist ein Bausa ziemlich eklig. "Kack mich doch nicht so an hey.", gebe ich zurück. Sowas fangen wir gar nicht erst an. Er schüttelt den Kopf und kommt auf mich zu "Du hörst ja nichts.", ich verschränke die Arme vor der Brust "Sorry! Aber du musst nicht schreien.", er wischt meinen gereiztes Kommentar einfach so mit einer Handbewegung weg "Ich bin so.", ist alles was er sagt und dann läuft er an mir vorbei. Ich bleibe einfach stehen und starre ihm nach. Ernsthaft?! Da dreht er sich um - kurz bevor ich einen Aufstand machen will - breitet die Arme aus und brüllt "Kommst du jetzt oder was?!", und ich setze mich tatsächlich in Bewegung. Denn so verschlossen und unnahbar er gerade auch ist: das Letzte was ich will ist, versoffen irgendwo in Bietigheim auf einer Parkbank zu schlafen.

"Da hats noch ein extra Kissen falls du noch eins brauchst.", murmelt er und schleudert mir das Teil voll ins Gesicht. Ich schnappe nach Luft und er kichert los. "Mein Gott kannst du nicht fangen?", ich versuche nicht auch los zu lachen doch meine zuckenden Mundwinkel verraten mich "Nein.", gebe ich zurück und er lacht schon wieder. "Okay. Naja wenn dir die Couch zu unbequem wird kannst du auch zu mir ins Bett kommen mein Schatz. Baui hat immer einen Platz für dich.", ich verdrehe die Augen und er läuft dreckig grinsend in Richtung seines Schlafzimmers.

Wäre ich nicht so betrunken und müde würde ich sein Angebot sogar annehmen. Oder auch nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich bin so durcheinander und das ich in seiner Wohnung sitze und überall er ist und sein Geruch klebt und da Bilder von ihm und Freunden hängen und Klamotten rumliegen und Schuhe und eine Gitarre und alles was er so besitzt macht die Sache überhaupt nicht leichter. Ich lösche das Licht neben mir und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. In der Dunkelheit allein kommen plötzlich andere Gedanken zurück und ich verfalle in einen Zustand, der sich so eklig und unangenehm anfühlt, dass ich nicht einmal weinen kann. Ich sitze da, auf seinem Sofa, denke an meinen gestorbenen Exfreund und wage es kaum zu atmen.
Im Schlafzimmer wird das Licht gelöscht und ich kann ihn husten hören. Das Geräusch vertreibt die düsteren Gedanken für kurze Zeit und ich denke nach. Bestimmt eine Stunde sitze ich so da und quäle mich auf den Morgen zu. Ich brauche Schlaf. Und wenn ich ohne ihn nicht zur Ruhe komme dann scheiß ich auf sein Sofa und die Distanz.

Ich schlage die Decke zurück, tapse durch die stille Wohnung zu seiner Schlafzimmertüre. Sie ist noch einen Spalt offen und durch die geöffneten Rolläden im Wohnzimmer kann ich erkennen wo ich hin muss. Ich schiebe die Tür leise auf und schleiche zum Bett. Meine Augen haben sich in der Zeit an das Dunkel gewöhnt und ich kann seine Umrisse da liegen sehen. Die Decke endet knapp über seinem Bauchnabel, die Arme und Beine in alle Richtungen verstreut. Seine Haare liegen in einem wirren Chaos auf dem hellen Kissen und seine Lippen sind leicht geöffnet. Ich beobachte ihn eine Weile, wie er einfach so da liegt und schläft. Sein Brustkorb hebt und senkt sich langsam und regelmäßig. Seine Atemzüge sind durch die Nase lauter als meine es sein würden. Vermutlich zu viel gekokst, denke ich und grinse in mich hinein.
Ich atme ein letztes Mal tief ein und aus und krabble zu ihm ins Bett. Ich ignoriere, dass er nur Boxer und ich nur ein T-Shirt und eine Boxer von ihm trage und hebe die Decke leicht an, damit ich drunter schlüpfen kann.
Ups! Scheiße! Er trägt nicht mal Boxer!

Und okay, ich werde rot wie eine Tomate in der Dunkelheit und er schläft einfach weiter und ich kann nicht aufhören hinzugucken bis ich mich beinahe Ohrfeigen könnte und mich dann zitternd doch noch an ihn schmiege und meinen Kopf halb auf seiner Brust, halb auf seiner Schulter ablege. Gott im Himmel ist das peinlich! Ich versuche, mich zu beruhigen. Es ist nur ein Penis, rede ich mir ein und in dem Moment schlingt Ju im Schlaf seine Arme um mich, dreht sich und drückt mich an sich, so dass besagter Penis an meinen Schenkel gedrückt wird, was jetzt echt zu viel ist weshalb ich mich so sanft wie es geht umdrehe. Er grummelt etwas unverständliches und schmiegt mich noch enger an sich. Doch so ist es okay. Ich lasse mich fallen und er vergräbt seine Nase in meinen Haaren und ich rieche Alkohol, Rauch und ihn und muss nicht mehr nachdenken weil ich jetzt endlich an einem Ort bin wo es mir besser geht. Ich schlafe ein sobald ich mich an seinem Atemmuster sattgehört habe. Und ich Träume zur Abwechslung mal nichts. Nur von braunen Augen, kratzigen Stimmen und Songs.

Ich wache auf weil mich etwas sanft streichelt. Meine Hüfte, meine Taille und meinen Bauch. Als ich die Wärme an meiner Seite spüre und die Hände zuordnen kann höre ich auch, dass er singt. Auf englisch. Ganz leise und seine Stimme ist noch kratziger als sonst. Ich tue so als würde ich noch schlafen um den Moment nicht zu zerstören. Ich liege da, lasse mich streicheln und fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr. Er weckt mich letztendlich indem er mich sanft mit der Nase anstupst. Sein Bart kratzt an meiner Wange. "Baby.", schnurrt er und ich räkle mich in seinen Kissen "Guten Morgen, Kleine.", er lächelt auf mich herunter. Seine Haare fallen ihm wirr ums Gesicht. Ich kann nicht widerstehen und lasse meine Finger durch seine Mähne gleiten. Sie sind ganz weich. Ein bisschen trocken aber weich. "Guten Morgen.", murmle ich. Ich versuche meinen Mund nicht zu weit zu öffnen weil ich Angst habe aus dem Maul zu stinken.
"Wie kommts das ich das Vergnügen habe dich doch noch ins Bett gekriegt zu haben?", ich zucke mit den Schultern und grinse. Einerseits weil ich nicht antworten will und andererseits weil ich die Antwort nicht weiß. "Was ist heute für ein Tag?", frage ich als ich auf die Uhr gesehen habe. "Samstag.", meint er und dreht sich auf den Rücken. Samstag, Samstag. Irgendwas war Samstag um 1.
Mir wird siedend heiß. Scheiße! "Ju wir haben in der Uni heut Besprechung wegen deinem Video!", ich springe aus dem Bett. Er wird blass bis er sich einen Moment später wieder fängt und nach seinem Handy greift. Ich renne wie gestochen durch seine Wohnung und sammle mein Zeug zusammen. "Baby Chill.", ruft er nur, doch ich ignoriere ihn.

Er hat vielleicht die Zeit und das Geld zu chillen aber ich will meinen Studiengang gern noch beenden und nicht wegen Verhältnissen rausgeschmissen werden. Aber wir haben gar kein Verhältnis! Ach verdammt!

Im Augenwinkel sehe ich wie er in die Küche kommt. Mit Boxer. Nur in Boxer. Schöner Mann. Ich hüpfe total dumm auf einem Bein beim Versuch meine Hose anzuziehen. "Was machst du da? Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit.", lacht er. Ich funkle ihn an "Schon mal darüber nachgedacht, dass ich diesen Auftrag brauche für meine Bewertung und es uncool ist wenn ich was mit dem Klienten habe?!", keife ich. Er zieht die Stirn kraus "Eigentlich hast du nichts mit ihm. Gerade zickst du ihn an und hüpfst dumm in seiner Küche rum.", er zuckt mit den Schultern "Wie ist die Version: Du hast nur hier geschlafen und warst mit mir im Studio.", wie ernüchternd und wie wahr. Er schüttelt den Kopf "Du wolltest dir halt einen genaueren Eindruck über mich verschaffen und weil der Bausa so nett ist hat er dich natürlich mal mitgenommen.", grinst er selbstgefällig. Eigentlich eine geniale Idee. Langsam entspanne ich mich und lächle. "Zieh dich an. Dann kommen wir wenigstens nicht so ganz zu spät.", er funkelt mich arrogant an, nickt und verschwindet im Bad.

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