Kapitel 15

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Tage wandeln sich zu Wochen, Wochen zu Monaten. Immernoch rede ich nur mit Klekih-Petra, doch mit ihm so oft es geht. Die Gespräche mit ihm erinnern mich häufig an die Gespräche mit Tante Anne. Er ist verständnisvoll und immer einsichtig. Zu meinem Bedauern wurde der hübsche schwarze Hengst freigelassen, doch es sei ihm gegönnt. Dafür habe ich in Maka einen wundervollen Freund gefunden. Treu trägt er mich immer auf seinem Rücken. Winnetou zeigte mir wie ich ohne Hilfe aufsteige. Es ist schön zu reiten. Man vergisst alle Sorgen und bedrückende Gedanken, kann mit dem Pferd einige Zeit frei und unbeschwert sein.

Sanft streichel ich Maka über die weichen Nüstern, als Hufgeklapper ertönt. Häuptling Sakima und Tohon sind wieder aus Silvertown zurück um etwas mit Mr. Carter zu besprechen. Es dauert nicht lange, bis sich auf dem Vorplatz Kinder, Frauen und Männer versammelt haben. Häuptling Sakima und sein Sohn steigen von ihren Pferden. Der Häuptling holt einen Umschlag hervor und sieht sich in der Menge um. Nachdem er mich entdeckt hat, fängt er an zu lächeln und kommt zu mir. Unsicher und verwundert warte ich, bis er vor mir steht. ,,Von Tante Anne", liest er langsam vor und hält mir den Umschlag hin. Meine Augen weiten sich. Unfähig etwas zu tun, starre ich auf den Brief in Sakimas Händen. ,,Nimm ihn", fordert er mich sanft auf. Zitternd nehme ich den Brief an und schaue noch einmal auf den Absender. Tatsächlich steht in der krakeligen Schrift von Tante Anne die Adresse von ihr in Brighton. ,,Geh und lies ihn. Du bist von deiner Arbeir befreit", sagt Winnetou freundlich, welcher hinter mich getreten ist. Dankbar werfe ich ihm ein Lächeln zu und gehe dann den Hang etwas hinunter, bis zu einer ungestörten Stelle.

Meine liebste Ruby,
ich bin in Tränen ausgebrochen, als ich deinen Brief bekommen habe. Solche Sorgen hatte ich um dich. Es schmerzt mir sehr diese Worte zu lesen, vorallem weil du nicht wiederkommst. Ich mache mir solche Vorwürfe, ich habe deinen Eltern versprochen auf dich achtzugeben. Doch wenn in deinem Brief die Wahrheit steht, dann ist das ein kleiner Trost für mich. Du bist ein starkes Mädchen und ich hoffe, dich vielleicht doch nochmal wiedersehen zu können. Die Leute im Dorf vermissen dich und William schrecklich, niemand hat bis jetzt etwas von ihm gehört.
Ich würde dich gerne einmal besuchen kommen, doch weiß ich nicht, ob das möglich ist. Es wäre schön, dich wiederzusehen.
Hier in Brighton gibt es nicht viel neues. Seit Wochen regnet es durchgehend und ich hoffe wirklich, dass du schönes Wetter hast.
Ich wünsche dir alles Gute und freue mich, wenn ich einen weiteren Brief von dir erhalten würde.
Ich hab dich unendlich lieb,
Deine Tante Anne

Immer wieder lese ich mir die vertraute Handschrift durch. Ist es möglich, dass Tante Anne mich besuchen kommt? Dulden Häuptling Sakima und Winnetou so jemanden überhaupt als Gast? Lange denke ich darüber nach und komme zu dem Schluss es morgen erst einmal mit Klekih-Petra zu besprechen. Er kennt die Sitten der Apachen besser und nun ist es schon zu spät um mit ihm zu reden. Sorgfältig falte ich den Papierbogen wieder zusammen und stecke ihn zurück in den Umschlag. Einen Augenblick genieße ich noch die Ruhe, bevor ich wieder aufstehe und zu den Pueblos zurückkehre.

Vor Aufregung konnte ich in der Nacht kaum schlafen. Die ganze Zeit überlegte ich, was Klekih-Petra und Winnetou wohl zu dem Brief sagen werden. Als endlich die Sonne aufgeht stehe ich auf und laufe zu Klekih-Petra hinüber. Wie jeden Morgen steht er vor seinem Pueblo und genießt die ersten Sonnenstrahlen. ,,Guten Morgen, Ruby. Wie kann ich dir helfen?" Ich zeige ihm den Brief und deute nach drinnen. Er nickt und wir betreten sein Pueblo. Schnell falte ich den Brief auf und deute auf die richtige Zeile. Aufmerksam liest sich der alte Mann alles durch. ,,Nun, du möchtest sicher wissen, ob Häuptling Sakima und Winnetou sie willkommen heißen, oder?" Schnell nicke ich. ,,Richtig beantworten kann ich dir die Frage leider nicht. Du musst sie schon selbst fragen. Doch sie sind sehr offen darüber, was Besuch angeht." Klekih-Petra lächelt mir freundlich zu und reicht mir den Brief. ,,Danke", murmel ich kaum hörbar und stehe wieder auf. Gerade will ich raus, als mir noch etwas einfällt. ,,Winnetou oder Häuptling Sakima?", frage ich leise. ,,Frag zuerst Winnetou. Wenn er zustimmt, dann wird er seinen Vater selbst fragen." Also verlasse ich das Pueblo und mache mich auf die Suche nach Winnetou.

Genauso wie bei Klekih-Petra zeige ich ihm den Brief und deute auf die Zeile. Winnetou schweigt länger als Klekih-Petra. ,,Sie muss wissen, dass die Reise sehr gefährlich ist. Wenn sie es sich zutraut, darf sie kommen. Niemanden sollte es verwehrt werden, die Familie zu sehen. Doch ich muss es erst mit meinem Vater besprechen." Jedes seiner Worte lässt mein Herz schneller schlagen. Es gibt eine Möglichkeit. Und so wie ich Tante Anne kenne, wird sie sich nicht von diesem Land abschrecken lassen. Auch wenn sie Amerika nicht mag, sie wird nicht zögern, mich besuchen zu kommen.

Stolen from Britain, brought to AmericaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt