Winnetou und Mapiya lernen sich immer besser kennen und die Hochzeit wird bereits vom ganzen Stamm vorbereitet. Bei Klekih-Petra habe ich mich bereits gut eingelebt und doch fehlt Winnetou mir etwas. Zu wissen, dass er nicht zwei Meter neben mir liegt und mich bei einem Alptraum tröstet, macht es schwer Schlaf zu finden. Auch wenn ich weiß, dass Klekih-Petra ebenfalls immer für mich da sein wird, es ist irgendwie etwas anderes.
Der Tag der Hochzeit steht an und beide Stämme sind in heller Aufregung. Alles wird für das Fest vorbereitet, Essen wird gekocht und die Gesichter und Körper der Stämme werden mit bunten Mustern und Farben bemalt. Winnetou und Mapiya habe ich seit gestern nicht mehr gesehen. Vermutlich bereiten sie sich auf die Zeremonie vor. Ich helfe wo ich kann und versuche mich von meinen Gedanken abzulenken. Jedes mal, wenn ich an Winnetou und Mapiya denke, bekommt mein Herz einen kleinen Stich. Ich weiß zwar, dass ich ihn nicht verloren hab und er vermutlich weiter für mich da sein wird, und doch tut es weh zu wissen, dass er mich nie wieder trösten wird oder wir alleine durch die Prärie reiten können.
Die Sonne sinkt immer tiefer und allmählich versammeln sich alle um das große Feuer. Doch je mehr Zeit vergeht, umso mehr habe ich den Drang woanders hinzugehen. Da mich sowieso niemand beachtet, stehle ich mich leise davon. Ich weiß, dass es respektlos gegenüber Winnetou ist, doch aus irgendeinem Grund möchte ich mir nicht ansehen, wie die beiden heiraten. Auch wenn es mir sehr leid für Winnetou tut. Kurz überlege ich, ob ich mit Maka wegreiten soll, doch das erregt zu viel Aufsehen. Also schleiche ich den kleinen Pfad runter in die Prärie und mache mich auf den Weg zu Winnetous Lieblingsplatz. Die lauten Stimmen werden immer leiser und schließlich umgibt mich nur noch das sanfte Rauschen vom Wind.
Der Stein ist noch angenehm warm und die untergehende Sonne taucht alles in ein leichtes Gold. In Brighton waren die Sonnenuntergänge nie so schön. Lange sitze ich einfach nur da und betrachte die Landschaft, bis ich leisen Hufklang vernehme. Alarmiert springe ich auf, doch als ich Chephe entdecke, drehe ich ihm den Rücken zu und betrachte wieder die weite Landschaft. Was tut Winnetou hier? Sollte er nicht bei seiner Hochzeit sein? Chephe bleibt stehen und ich höre wie Winnetou von seinem Rücken springt. Vorsichtig legt er mir eine Hand auf meinen Rücken. Kurz zucke ich unter der Berührung zusammen, doch dann genieße ich seine warme, beruhigende Hand. ,,Wieso bist du gegangen?" Es klingt nicht wie ein Vorwurf, fast klingt seine Stimme etwas traurig. Stumm blicke ich weiter über die Prärie. ,,Ich habe die Hochzeit abgesagt." Ungläubig drehe ich mich um. Wieso hat er das getan? ,,Wir wären niemals glücklich geworden. Sie liebt einen Krieger ihres Stammes", sagt er leise und legt eine Hand an meine Wange. ,,Und ich, ich liebe dich Ruby", flüstert er. Ich blicke in seine Augen, versuche zu verstehen, was er mir gerade gesagt hat. Doch seine Augen strahlen seine Worte ebenfalls wider. ,,Bitte, werde meine Frau. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als dich an meiner Seite zu haben." Ohne noch länger darüber nachzudenken nicke ich. Ein erleichtertes Lächeln bildet sich auf seinen Lippen. Dann beugt er sich vor und küsst mich. Ganz sanft, als wäre ich eine unendliche Kostbarkeit, etwas, dass er nie wieder verlieren möchte. ,,Kommst du wieder mit zurück?" Ich nicke und lasse mich von ihm zu Chephe führen. Mit seiner Hilfe bin ich schnell oben und er setzt sich hinter mich.
Im vollen Galopp kommen wir am Lager an. Chephe bleibt stehen und schon haben wir die gesamte Aufmerksamkeit von beiden Stämmen. Ohne noch länger zu warten springt Winnetou ab und hilft mir runter. Dann greift er nach meiner Hand und zieht mich zu Häuptling Sakima. Mapiya sitzt neben Häuptling Okemos und einem anderen Krieger. Sie sieht erleichtert und auch etwas glücklich aus. ,,Vater, dies ist die Frau, die ich aus ganzen Herzen liebe." Es ist komplett still. Keiner wagt es, etwas zu sagen. ,,Ich wusste es. Er liebt dieses Bleichgesicht. Vater, er ist eine Schande für unsere Familie", ruft Tohon aufgebracht, wird allerdings durch eine Handbewegung von Häuptling Sakima zum Schweigen gebracht. ,,Nun, Ruby, liebst du Winnetou auch?", fragt er und ich kann einen leichten Ansatz eines Lächeln in seinem Gesicht erkennen. Liebe ich Winnetou? Ich habe keine Ahnung was Liebe wirklich ist. Ich liebe Tante Anne und William, jedoch so wie Winnetou seinen Vater und seine Mutter liebt. Wenn Liebe bedeutet, dass ich mich jedes Mal freue, wenn ich Winnetou sehe, ein angenehmes Gefühl in meinem Bauch aufkommt, sobald er mich berührt, ich mich bei ihn geborgen fühle, wenn das Liebe ist, dann liebe ich Winnetou vermutlich. Alle Augen liegen gebannt auf mir. Meine Hand liegt immer noch in Winnetous. Dann nicke ich. Ich bin mir sicher. Ich liebe Winnetou. Häuptling Sakima lächelt. ,,Wir haben heute doch eine Hochzeit zu feiern", ruft er und bringt die zwei Stämme zum aufjubeln. Etwas unbeholfen stehe ich nun neben Winnetou. ,,Du wirst deine Entscheidung nicht bereuen. Versprochen", sagt er leise bevor er meine Hand loslässt und das Fest beginnt.
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Stolen from Britain, brought to America
Historical FictionRuby lebt ihr einfaches Leben in Brighton. Sie wohnt bei ihrer Tante, seit ihre Eltern nach einem Tagesausflug spurlos verschwanden. Eines Tages wird Ruby jedoch entführt und mit anderen auf ein Schiff gebracht. Sie erfährt, dass sie nach Amerika ge...