Mit einem leeren Papierbogen, der Feder und der Tinte sitze ich schließlich vor Winnetous Pueblo und beginne mit dem schreiben.
Liebe Tante Anne,
du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich über deinen Brief gefreut habe. Es schmerzt mir im Herzen, wenn ich an meine Heimat denke. Der Häuptling der Apachen hat nichts gegen einen Besuch von dir, du bist hier herzlich Willkommen. Doch bedenke, die Reise ist anstrengend und gefährlich. Nicht auszumalen, was dir alles passieren könnte, das würde ich mir niemals verzeihen.
Falls du dennoch entscheidest hier her zu kommen, dein Zielort ist Silvertown eine kleine Stadt am Randgebiet der Apachen. Vom Hafen aus brauchst du sieben Tage und dort komme ich dich abholen. Bitte schicke mir einen Brief bevor du kommst, damit ich Bescheid weiß. Aber ich bitte dich ebenfalls darum, erst im Frühjahr die Reise anzutreten. Ich weiß, acht Monate sind eine lange Zeit, doch im Winter sind die Stürme auf dem Meer sehr stark und hier herschen eisige Temperaturen.
Ich würde mich freuen, dich im Frühjahr hier begrüßen zu dürfen.
In Liebe, RubyIch falte den Brief zusammen, nachdem die Tinte trocken ist und lege ihn dann neben meinen Schlafplatz. Das Leder vor dem Eingang wird zurück geschoben und Tohon erscheint. ,,Du sollst Winnetous Kleidung flicken", sagt er kühl, schmeißt mir einen Stapel Leder vor die Füße und verlässt das Pueblo wieder. Leise seufzend nehme ich die Kleidung und falte sie auseinander. Was habe ich Tohon getan? Er ist so abweisend zu mir, obwohl ich immer versuche, es jedem Recht zu machen. Liegt es an meiner Herkunft? Ich werde aus Tohon nicht schlau.
,,Ich danke dir. Du arbeitest gut. Ich werde dir den nächsten Tag freigeben", sagt Winnetou, als ich ihm sein Oberteil wiederbringe. Er deutet neben sich und ich komme seiner Aufforderung nach. ,,Ich möchte dir gerne das Land unseres Stammes zeigen. Morgen früh reiten wir los." Abwartend sehe ich den jungen Apachen an, ob er noch etwas zu sagen hat, doch er schweigt. Also senke ich dankbar den Kopf und stehe dann wieder auf. Eine Geste, welche Winnetou zu verstehen weiß. Er versteht mich oft, auch ohne Worte weiß er Bescheid, was ich ihm sagen will. Er hat eine sehr gute Menschenkenntnis.
Die ersten Strahlen der Sonne sind am Horizont zu erblicken, als Winnetou die wenigen Sachen auf Chephes Rücken festmacht. Viel brauchen wir nicht, wir werden heute Abend wieder zurückkehren. Lediglich etwas Nahrung, Wasser und seinen Bogen hat Winnetou dabei. Ich bin gespannt, was er mir zeigen möchte. Bis jetzt habe ich leider noch nicht viel von der Landschaft gesehen, doch das, was ich gesehen habe war wunderschön. Das komplette Gegenteil von Brighton. ,,Wir können los", teilt Winnetou mir mit und öffne das Tor um Maka und Chephe rauszulassen. Durch die Übung fällt es mir jetzt sehr leicht, mich auf Makas Rücken zu schwingen, auch wenn es bei weitem nicht so elegant aussieht, wie bei den Apachen. Bevor wir das Lager verlassen fällt mir Tohon auf, welcher mit grimmiger Miene im Schatten seines Pueblos steht und uns beobachtet. Beinahe wäre er mir nicht aufgefallen. Schnell drehe ich mich wieder um und lasse Maka hinter Chephe herlaufen.
,,Wie findest du das Land meiner Väter? Gefällt es dir?" Ich nicke. Mehr als das. Es ist wunderschön, atemberaubend. Aufmerksam sehe ich mich um, versuche mir so viel wie möglich von den ganzen Eindrücken einzuprägen. Wer weiß, wann ich das nächste mal die Möglichkeit habe hier durch zu reiten. Lange reiten wir einen kleinen Hügel hinauf. ,,Dies ist mein Lieblingsplatz", erklärt Winnetou. Noch bevor ich mich fragen kann wieso, verschwindet die Kuppe und wir kommen auf einer kleinen Plattform an. Mein Herzschlag erhöht sich, als ich die unfassbare Aussicht sehe. Man kann meilenweit schauen und sogar das Lager der Apachen am Felshang erkennen. Längst ist Winnetou schon abgestiegen, während ich immer noch auf Makas Rücken sitze und die Aussicht genieße. ,,Wir bleiben etwas hier. Eine Pause wird den Pferden gut tun." Winnetous Stimme reißt mich aus meiner Bewunderung. Schnell steige ich auch ab und lasse mich neben den Apachen nieder. Das Bild, welches sich mir bietet ist wunderschön und ich wünschte, ich könnte die Zeit anhalten, um diesen Augenblick ewig genießen zu können. Ich verstehe, wieso dies der Lieblingsplatz von Winnetou ist. Bis jetzt ist es auch meiner. Doch wer weiß, was er mir noch zeigen möchte.
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Stolen from Britain, brought to America
Historical FictionRuby lebt ihr einfaches Leben in Brighton. Sie wohnt bei ihrer Tante, seit ihre Eltern nach einem Tagesausflug spurlos verschwanden. Eines Tages wird Ruby jedoch entführt und mit anderen auf ein Schiff gebracht. Sie erfährt, dass sie nach Amerika ge...